Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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dicinalrath Dr. Kazor genöthigt, für Mölsitz im Allgemeinen 
wieder, mehr als in B., auf die Maxime der Wiener Schule 
zurückzukommen, d. h. es geh'n zu lassen mit den Mölsitzern, 
wie's Gott gefiel; nur selten einmal — namentlich dann aber 
für's Carl Augustin'sche Haus, wo er Hausarzt war und wo 
der Hausherr ebenfalls auf sichtbare Gegenleistungen für seine 
Zahlungen viel hielt — nur selten also war er genöthigt, 
der täglich zwischen Mölsitz und B. verkehrenden Post oder 
Botengelegenheit von den Kostbarkeiten der B.'schen Apotheken 
etwas zuzuschicken; und diese Seltenheit solcher Beglückung 
schien den Mölsitzern in der Mehrheit sehr gut anzuschlagen; 
denn es gab auffällig wenig Krankheit da. Herr Schöppe 
wußte aber nicht genug bei allen Zusammenkünften der Möl- 
sitzer diese treffliche Jndividualisirung und seltene Begabung 
des Herrn Medicinalraths hervorzuheben, vermöge deren er 
für den einen Ort den Arzneischatz anwende, wie z. B. in B., 
wo dies die Individualität der Bewohner durchaus nöthig 
mache, in dem anderen wieder fast ganz von Medieingaben ab 
sehe, weil Lebensweise, örtliche Lage und sonstige Verhält 
nisse hier diese Ausgabe nicht nur nicht räthlich, sondern so 
gar schädlich erscheinen lasse und die an sich unbemittelten Be 
wohner besser handelten, das ihnen mögliche Wenige lieber auf 
den ärztlichen Rath für Gesundheitsregeln und diätetische Vor 
schriften bei Krankheiten, als für Medicamente, zu verwenden. 
Herr Medieinalrath Dr. Kazor galt daher, in Mölsitz 
wenigstens, für einen eminent gescheidten Arzt und selbst in den 
Geruch der Humanität hatte er sich zu setzen gewußt dadurch, daß 
er bei dem Magistrate schließlich, für ein gewisses Fixum, der Be 
sorgung des ärztlichen Rathes für alle Mölsitzer sich unterziehen 
zu wollen erklärt, und dieses Fixum durch verhältnißmäßig sehr 
niedrige besondere Besteuerung jeden Haushaltes als ausführbar 
nachgewiesen und zur Einführung wirklich auch gebracht hatte. 
Die Mölsitzer waren und blieben in Folge dessen — wie 
Herr Schöppe gar häufig zu bemerken Gelegenheit nahm — 
gesund, und der Herr Medieinalrath hatte sein Fixum, zu 
dem natürlich die Wohlhabenderen des Ortes auch mit bei 
steuerten, ohne deswegen, in vorkommenden Krankheitsfällen 
bei ihren Familien, sich einer besonderen Honoration dann 
entschlagen zu können. Denn die Beisteuer zum „Kranken- 
Fixum" geschah ja nur „für die Armuth"! 
Doch kehren wir zurück zur ersten Kammer des Mölsitzer 
Rathskellers und lauschen wir ein wenig, was bei und seit 
Ankunft des Herrn Medicinalraths sich da wahrnehmen und 
vernehmen ließ. Offenbar war derselbe, nachdem er das ihm 
von den Anwesenden mitgetheilte Beilagsblatt der Dorfzeitung 
und die betreffende, die ehrbare Gesellschaft so aufregende 
Annonce überflogen hatte, nicht blos unangenehm berührt, 
sondern stark betroffen; denn von seinem hochrothen, die Vor 
liebe für starken Biergenuß bekundenden Gesichte verschwand 
für einige Augenblicke das künstliche Purpur, die Lippen ver 
zogen sich zu einem gewaltsamen, ganz anderen (als dem ge 
wöhnlich von ihm geführten humanen) Lächeln, und momentan 
schien er unschlüssig, wie aus die allerseits an ihn gerichtete 
Frage: „was er dazu meine" zu antworten habe. Wie gern 
hätte er den wohlgekannten, so unangenehme Erinnerungen 
aus der Vergangenheit hervorrufenden Collegen ignorirt, wäre 
es nur nicht zu wahrscheinlich gewesen, daß er eher oder spä 
ter mit demselben zusammentreffen, von ihm erkannt und we 
gen seiner Vergangenheit bloßgestellt sein werde. Dies aber 
klug und als gewandter Weltmann schnell berechnend und nach 
allen Seiten erwägend, kam er nothwendig zu dem Entschluß, 
hier gute Miene zum bösen Spiele zu machen und, die Herr 
schaft über sich augenblicklich wiedergewinnend, bemerkte er da 
her mit diplomatischer Schlauheit: „I, i! treffen wir uns hier 
wieder? — „Ein alter Bekannter von mir, meine Herren — 
ein eigenthümlicher, höchst sonderbarer Mensch — dieser Helfer! 
Ich ersehe aus dieser Annonce, daß er in seinem Paroxismus 
eher schlimmer, als besser geworden ist - leider recht oft die 
Folge der Wasserkur und des Lebens darnach bei ihren fana 
tischen Verehrern! Dieser Helfer ist wüthender Hydriat, d. h. 
ein enragirter Vertreter der, glücklicher Weise noch sehr gerin 
gen Anhang unter der ärztlichen Welt findenden Meinung, 
es könne mit Wasser — oder wie sie neuerdings sagen, mit 
sogen. Naturheilmitteln, worunter sie Wasser, Luft, Nahrung, 
Bewegung, Ruhe, Wärme u. s w. verstehen — Alles be 
handelt und geheilt werden; es wird ihm aber gehen, wie 
von seinen Vorgängern Vielen, er schließt entweder seinen 
Berus im Lrrenhause, oder wird, verlassen von seinem Fana 
tismus in Folge unglücklicher Kuren, Quacksalber mittelalter 
licher Art, jedes Ehrgefühls dann los und ledig. Es ist be 
denklich, sich für die Experimente dieser Herren herzugeben. 
„Möchte nur wissen, fiel hier der Bürgermeister ein, was 
dem Menschen den Gedanken eingegeben, gerade uns zu be 
glücken ?" 
C. Augustin. Ich frage vielmehr, ist unser Ort denn 
verpflichtet, die Niederlassung eines solchen Charlatans zu 
dulden? 
Medieinalrath. Das Recht, sich im Heimathlande 
niederzulassen und zu prakticiren, wo es ihm beliebt, steht 
allerdings jedem promovirten Arzte frei. 
Bürgermeister. Muß ich allerdings bestätigen! 
Stadtschreiber. Aber der Ortsobrigkeit steht doch 
jedenfalls die Beaufsichtigung eines solchen Arztes zu, welcher? — 
Pastor. — der Bevölkerung einen wahren Schreck mxi 
seiner kalten Behandlung einflößen, — 
Stadtschreiber. — allerdings, und daher dem bis 
herigen allgemein guten Gesundheitszustand unseres Ortes 
großen Schaden zufügen könnte. 
Medieinalrath. — Wenn sich nämlich dazu, sich so 
behandeln zu lassen, Jemand hergäbe. — 
C. Augustin. Ja, ja — ha, ha! man bratet die 
Tauben freilich nicht eher, als man sie hat! 
Stadtcassirer. Vom Braten wird wohl bei einem 
Wasserdoctor nicht viel die Rede sein — ich meine erstlich be 
züglich der Wärme, und zweitens hinsichtlich der Kosten; ich 
habe wenigstens bis jetzt noch nichts vom Einstandsgeld Sei 
ten des Herrn Dr. Helfer zu sehen bekommen. 
Bürgermeister. Das Recht der Beaufsichtigung steht 
uns allerdings zu, ja, ist unsere Pflicht! 
C. Augustin. Ich meine aber, unsere Pflicht geht 
selbst weiter — bis zur öffentlichen Warnung des Publikums, 
und in dieser Hinsicht war es, daß ich Ihnen, geehrter Herr 
Pastor, vorhin an's Herz legen wollte, gerade die morgende 
seltene Gelegenheit der Einweihungspredigt zu Neuwiesa, wo 
sich aus der ganzen Umgegend die Landbewohner einfinden 
werden, zu benutzen, um einige Warnungsworte vor dem 
falschen Propheten — diesem Dr. Helfer — mit einfließen zu 
lassen. (Forts, folgt.) 
Krankencorrespondenz. 
Herrn Pastor S. in Kl.-E. bei R. 
Ihre 5 Anfragen beantworten wir vor der Hand in 
Folgendem:
	        
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