Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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angreifend war, und mit einem lauen Bade vertauscht werden mußte. 
Nach einer Wiederholung desselben am folgenden Tage trat jedoch 
merkliche Besserung ein, aber nun brachte auch der Arzt mit seinen 
Medicamenten dasselbe wieder so weit herunter, daß er es völlig 
aufgab. 
Hierauf wurde bei dem kleinen Patienten, hinter des Arztes 
Rücken, die innere Hitze aller drei Stunden durch ein Lavement von 
kaltem Wasser gekühlt, dem seine Mutter noch einen wenigstens un 
schädlichen Umschlag von rothem Weine beifügte, wornach er jedesmal, 
wie neu belebt, sich besser und ruhiger befand. Dessen ungeachtet 
kehrten die Aeltern zu den allopathischen Mitteln zurück, aber nun 
kam auch das Kind bald dahin, daß es der Arzt zum zweiten Male 
aufgab und ihm höchstens noch 4Etunden Lebensfrist einräumte. Doch 
zum zweiten Male ward es gerettet durch bloßes Wassereinflößen, alle 
halbe - tunden 1 Eßlöffel voll Es erfolgte hierauf ein sechsstündiger 
Schweiß, der mittels steten Wassereinflößens unterhalten ward. Der 
wiederkehrende Arzt war erstaunt, und dennoch behandelte er den neu 
auflebenden Kranken wieder mit den früher gebrauchten Mitteln, welche 
das schwache Leben auf's Neue und zum dritten Male in die äußerste 
Gefahr brachten, so daß nuu der Arzr alle Hoffnung auf längere Le 
benserhaltung gänzlich aufgab. Allein auch dieses dritte Mal ward es 
mittels des Wassereinflößens gerettet, und dennoch überließ man es 
der allopathischen Behandlung des Arztes nach wie vor, so daß es nock- 
unentschieden bleibt, ob der Arzt mit seiner Kunst über die gute Natur 
des Kindes, oder diese über jenen den Sieg davon tragen wird. 
Mein früheres Dienstmädchen, Namens Rosenbaum, war seit 
einer langen Reihe von Jahren mit Flechten und Schwinden auf bei 
den Armen behaftet, und konnte trotz des Gebrauches homöopathischer 
Mittel, während dreier ganzer Jahre, nicht davon berfreit werden; im 
Gegentheil wurde ihr Uebel schlimmer; denn die Schwinden nahmen 
endlich auch ihre Finger bis an die Fingernägel ein. Sie entschloß 
sich also, eine andere Heilmethode zu versuchen und frug einen der ge 
schicktesten Allopathen um Rath. Dieser nahm sie auch, jedoch nur 
unter der Bedingung in die Kur, daß sie, um seinen Verordnungen 
pünktlich nachkommen zu können, ihren Dienst aufgebe. Denn 
bei den Hausarbeiten aller Art, und dem häufigen Handtieren im 
Wasser, sagte er, könne sie nicht besser werden; sie müsse sich wenig 
stens ein halbes Jahr der Kur ganz allein widmen. 
Glücklicher Weise hatte sie eben jetzt eine kleine Summe ererbt. 
Diese verwendete sie mit zur Kur, und befolgte dabei die Vorschriften 
des Arztes auf's Genaueste; allein geheilt wurde sie dennoch nicht. 
Nun rieth ich ihr gegen diejes so hartnäckige Uebel alltägliche 
kalte Waschungen nicht allein der Arme, sondern auch des ganzen Kör 
pers nebst vielem Trinken kalten Wassers, bis auf 8 Kannen täglich, 
und eine strenge Diät. In solcher Lebensweise solle sie nur 2 Monate 
lang fortfahren und mich dann wieder besuchen. Nach Verlauf dieser 
Zeit kam sie wieder zu mir und erzählte mit Freuden, daß sie völlig 
geheilt sei 
Seitdem habe ich sie oft, und erst vor einigen Tagen, wieder ge 
sehen und mich von ihrem gegenwärtigen, jetzt bereits zwei Jahre 
dauernden Wohlbefinden gänzlich überzeugt 
Ueber die bei dieser glücklichen Heilung streng' beobachtete Diät 
fügte Herr M. noch bei, daß sie außer jenem, bis aus 8 Kannen täg 
lich zu trinkenden Wasser, Tag für Tag bestanden habe in 2 Tassen 
des gewohnten Kaffees und etwas altbackener Semmel zum Frühstück, 
des Mittags gleichfalls altbackener Semmel mit Obst und leichtem 
Gemüse ohne Fleisch, und des Abends in zwei weichen Eidottern. 
Des Naturarztes D. Helfer Leiden und Freuden. 
Somatisch-hydriatische Novelle. 
(Fortsetzung.) 
Der Medicinalrath Dr. Kazor befand sich noch nicht all 
zulange in der Nachbarschaft von Mölsitz; er hatte — vor 
ungefähr 2 Jahren — an seinem früheren Wohnorte N., wo 
er Oberarzt des allgemeinen städtischen Krankenhauses gewesen 
war und den Namen K e z e r geführt hatte, wegen der Rück 
sichtslosigkeit, mit welcher er namentlich die unbemittelten Pa 
tienten dort behandelte, und wegen der Starrheit, mit der er, 
sehr häufig den ausdrücklichen Wünschen auch gut zahlender 
Pensionäre des Krankenhauses gegenüber, Jeden der streng 
allopathischen Heilmethode unterwarf und die Bitten um Be 
handlung nach den Grundsätzen der oder jener Art der Na-' 
turheilmethode stolz zurückwies, einen in öffentlichen 
Blättern geführten Streit mit dem Publikum gehabt und da 
bei schließlich den Kürzeren gezogen, so daß er für gut befun- 
den, nicht blos die Stadt, die seine Schwächen und Unge 
rechtigkeiten kennen gelernt, sondern überhaupt das Land zu 
verlassen. Sein Weizen war dafür in einem benachbarten 
kleinen Staate erblüht, wo die Domänen - Verwaltung schon 
lange in Verlegenheit gewesen war wegen Wiederaufbringung 
eines ihr gehörigen, aber in moralischen und pecuniären Ver 
fall gerathenen Mineralbades. Dieses Bad war dem Ex- 
Oberarzte unter der Hand und mit der Aussicht auf einen 
bestechenden Titel zum billigen „Pacht" angetragen worden, 
Herr K. hatte zugegriffen und trat nun eines schönen Tages 
als „Medicinalrath" Dr. Kazer in dem fraglichen Mineralbade 
auf. Die Geschäfte mochten aber daselbst weder nach Wunsch 
des betr. Domänen-Jnspectors, noch nach dem des Herrn Me- 
dicinalraths selbst, ihren Gang genommen haben, Zerwürfnisse 
auch persönlicher Art zwischen beiden Herren dazu gekommen 
sein — kurz, der Herr Medicinalrath verließ sehr bald auch 
diesen Wirkungskreis und ließ sich nun in B., der Hauptstadt 
des fraglichen Staates, ganz nahe unserem Städtchen Mölsitz, 
von dem B. nur durch einen Grenzberg getrennt ist, häuslich 
nieder, aber nicht ohne auch seinen Namen abermals verschö 
nert und aus Kazer nunmehr Kazor gemacht zu haben. Nie 
mand kannte ihn in Mölsitz unter einem anderen, als diesem 
Namen, und hätte nicht das Schicksal den Dr. Helfer eben 
dahin geführt — den ehemaligen Unterarzt an demselben 
Krankenhause zu N., der, ohne Schuld, mit zur Ursache des 
Kazer'schen Austrittes daselbst geworden war — so würde 
Niemand so leicht in dem Herrn Kazor den ehemaligen Kezer 
kennen gelernt haben. Denn Herr Kazor war in der That, 
sei es nach seinen Erfahrungen in N oder in Folge der Hof 
luft, die er in B. athmen gelernt, ein Anderer geworden; 
seine Starrheit hatte einer ungemein großen Nachgiebigkeit ge 
gen die Wünsche seiner Patienten Platz gemacht und von den 
streng diätetischen Grundsätzen der sogenannten Wiener oder 
physiologischen Schule, denen er in N. als durchaus anhan 
gend sich producirt hatte, war nicht viel mehr übrig geblie 
ben. In seinem jetzigen Wirkungskreise verlangte man etwas 
Sichtbares für das Hausarzt-Honorar oder für das überhaupt 
den ärztlichen Rath erkaufende Geld —tüchtige Medicinbullen 
oder doch Mineralwasser-Flaschen, womöglich aus den unver 
meidlichen allerorts anzutreffenden Struve'schen diessallsigen 
Beglückungs-Anstalten, und auch in Mölsitz, wo schon seit 
Jahren kein Apotheker mehr seine Rechnnng gefunden hatte 
und das frühere zu diesem Geschäftsbetrieb bestandene 
Local bereits länger, als Folge einer Nebenthätigkeit des 
Gotthold Augustin, zu eiüer kleinen Flachszubereitungs- 
Anstalt umgewandelt worden war, war seit dem 
Auftreten Herrn Kazor's wieder stark von der Neuerrichtung 
einer Apotheke die Rede; ja, es wäre vielleicht bereits dem 
Herrn Chirurg Schöppe, der sich der ganz besonderen Aufmerk 
samkeit des Herrn Medicinalraths zu erfreuen hatte, die schon 
einmal nachgesuchte Concession zu Nebenbeiführung von Apo 
thekerwaaren gestattet worden, hätte nicht Herr Medio bei 
damaliger Behandlung dieser Frage in der ersten Kammer auf 
die Mißstimmung hingewiesen, welche im Allgemeinen unter 
den Angehörigen der zweiten Kammer und hier ganz beson 
ders in Folge der diessallsigen Ansichten des daselbst allemal 
vor Eintritt in die erste Kammer viel und freundschaftlich ver 
kehrenden Gotthold Augustin, gegen Wiedereinführung des 
Apothekerkrams herrsche. In Folge dessen sah sich Herr Me-
	        
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