Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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Aus dem TageLuche eines Hypochonders. 
Mitgetheilt von BaptistaVanoni, Naturarzt in München. 
Motto; „Natur führt den Mensck'cn zur Tugend, 
Und Tugend führt ihn zur Natur." 
S e um e. 
Nicht auf dem Lande, bei dem Volke, welches das Feld, 
die Flur und den Wald bebaut und bewacht, nicht in den 
Werkstätten, wo es lustig hämmert und klopft, nicht bei Jenen, 
die im Schweiße ihres Angesichts bis in die finkende Nacht 
arbeiten und mit dem Lohngelde eine Stube voll Kinder und 
ein fleißiges Weib ernähren und welche die Kinder in der 
frühesten Jugend schon zur Beihülfe der Arbeit anhalten, 
findet man jene bedauernswerthen Gemüthskranken, Hypo 
chonder genannt, nein, wir treffen selbe unter den Reichen, 
den Beamten, Büreau-Condemnirten, unter den gelehrten Stu 
benhockern, bei denen das Denken ein Gewerbe ist und welche 
„Wissenschaft" als Brodverdienst treiben, unter jenen armen, 
blassen Tagelöhnern der Wissenschaft, auch unter den Ziffern- 
und Tabellenschreibern, bei jenen Capital-Herren und Coupons- 
Schneidern, unter den Feinschmeckern und Gewohnheits-^Me- 
ä'llote-Gästen; — dort sind sie zu suchen und zu finden! 
Vor wenig Jahren noch die „fidelsten Bursche", 
findet man solche bald wieder in der Eigenschaft eines mehr 
oder minder hohen Beamten als — Hypochonder, die sich 
giftig grämen über harmlose Scherze und jugendlichen Muth 
willen; dann sehen wir sie ihre eigenen Kinder, ihre Umgebung 
und ihre Parthei tyrannisiren und wie sie Alles grau in grau 
auf Gottes schöner Welt erschauen. 
Solche Beklagenswerte bezähmen und beherrschen sich 
— wenn sie guten Herzens und Gemüthes sind —, oft noch 
viele Jahre, und ersteigen sie eine einträgliche Stellung, so 
erlangen sie Mittel, alle Jahre etwa 4 bis 6 Wochen eine 
Bade- oder Urlaubs-Reise zur Erholung zu machen —; aber 
andere Tausende ihrer Leidensgenossen müssen auf solche 
Wohlthat verzichten, und in den wenigen Freistunden, die 
ihnen der Bureau-Dienst gestattet, „Neben-Ar beiten" 
(aber auch sitzende) übernehmen, um das zu erschwingen, wozu 
der karge Sold und Lohn für Weib und Kind nicht ausreicht! 
Aber was nützt hier Jammer und Klage, wo einmal 
die socialen Verhältnisse und die sogenannte Civilisation sich 
so garstig gestalteten und wo dieser und Jener besser thäte, 
Axt und Säge zu nehmen, oder mit Pflug und Spaten zu 
handtiren, statt — wie er erwähnt — „vornehmer" zu 
sein und auf einem Büreau einen Schreiber mit Tagelohn 
zu 30 bis 48 kr. zu machen und damit allen wirklichen Ge 
nuß des Lebens zu verhocken? — 
Noch zur Stunde ruft so mancher Mittel-Beamte und 
Staatsdiener, wenn von der Standeswahl seiner Söhne die 
Rede geht: „Ich kann doch meinen Sohn kein Handwerk und 
Gewerbe lernen lassen?" Als ob ein tüchtiger Landmann, 
Arbeiter, Gewerbs- und Geschäftsmann nicht weit selbstständi 
ger und freier im Staate lebte, als ein oft nur sehr mittel- 
mäßig geistig begabter Büreau-Herr — der stets ein armer 
Knecht bleibt! — 
Am schlimmsten sind wohl jene unter den sogenannten 
Hypochondern daran, welche durch geschlechtliche Ausschweifung 
und Übersättigung in allen Lebensgenüssen endlich lebens 
überdrüssig geworden sind und den Nerv des Lebens frevel 
haft geschwächt haben. 
Solche, natürlich fast ausschließlich der bemittelten Klasse 
angehörige Kranke laufen in der Regel zu allen Aerzten, sie 
raisonniren bei Einem über den Andern, klagen über falsche 
Behandlung und bieten großmüthige Erkenntlichkeit an, wenn 
sie wieder hergestellt werden; selbe correspondiren mit auswär 
tigen Celebritäten von Heilkünstlern, kaufen alle bezüglichen 
Schriften, um die verlorene „Manneskraft" wieder zu 
finden 
Fast dieselbe Erscheinung finden wir beim Arznei- 
Siechthum. 
Diese jämmerlichen, traurigen Gestalten, das Heer der 
ausgemergelten Wüstlinge, beglücken zuletzt auch noch die 
„Wasserheil-Anstalten", und wenn sie noch soviel Herr 
schaft haben zur Ausdauer und soviel Willenskraft, eine diä- 
tetisch-hydriatische Kur durchzuführen, so gelingt es noch häufig, 
sie wenigstens relativ gesund zn machen. 
Mittheilung einiger Krankheitsfälle. 
Von v. Böhm in Hirschberg. 
Wottto: Alles Große und Kleine an dem menschlichen 
Körper ist bedeutend; die Natur hat eine tau 
sendfache Sprache, in welcher sie mit uns 
redet. Von sich selbst redet sie sehr verständ 
lich, sehr unzweideutig, und es fehlt nicht an 
ihr, sondern an nns, wenn sie nicht verstan 
den wird. 
1. 
Ein Kind von 2 Jahren bekam, nach dem Urtheil zweier 
allopathischer Aerzte und nach den begleitenden Symptomen, 
Gehirnausschwitzung. Der eine Arzt hatte selbst ein 
Kind daran verloren, und beide gaben sie wenig Hoffnung zur 
Genesung; der eine wollte Kalomel anwenden, der andere 
Zinkpulver. 
Da mir beide Mittel nicht zweckentsprechend erschienen, 
ich selbst aber Homöopath bin, so kurirte ich das Kind durch 
kalte Umschläge auf Kops und Hinterkopf bis zur Stirn und 
desgleichen auf den Unterleib, unausgesetzt durch 6 Wochen. 
Dabei gab ich ihm während der ganzen Krankheit nur schwa 
ches Himbeerwasser als alleinige Nahrung Das Kind verfiel 
nach 3 .; Wochen in eine Apathie, daß es wie todt lag, und 
nur wenn es trinken wollte, die Lippen öffnete, wo ihm durch 
eine Schnabeltaffe das Himbeerwasser gereicht wurde. 
In diesem regungslosen Zustande befand sich das Kind 
8 Tage lang, dann öffnete es die Augen und verlangte, daß 
das Rouleau aufgezogen werde. Das erste Zeichen wieder 
von Bewußtsein nach langer Apathie! — Die nun erfolgen 
den Ausleerungen waren wie geronnenes Blut, pechschwarz 
und zäh, in langen Streifen abgehend. 
Der Kopf des Kindes fiel beim ersten in die Höheheben 
herab, als hinge er an einem Fädchen, und alles that dem 
Kinde weh; es war ganz abgemagert, erholte sich aber von 
Tag zu Tag sichtlich. Als ich darauf nach 6 Wochen den 
Aerzten das Kind mit rothen Backen genesen vorstellte, schlu 
gen sie die Hände über dem Kopfe zusammen und wollten 
ihren Augen nicht trauen, gestanden mir aber, daß sie es auf 
gegeben hätten, und erklärten: allein meiner Sorgfalt und
	        
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