Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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Grenze zwischen Medicamentösem und Nichtmedicamentösem?*) 
Wenn man die Sache auf die Spitze treiben wollte, wo bliebe 
unsere Küche? Ja, nicht einmal roh dürften wir die Speisen 
essen. Die Kochkunst entfernt vieles geradezu Schädliche und 
macht anderes Schädliche durch Zusätze unwirksam. 
Doch nun zum Kochsalz. Das Kochsalz ist kein Nah 
rungsmittel, aber ein Gewürz und ein Medicament**) und 
dennoch unentbehrlich zum Leben; ohne Kochsalz würde der 
Mensch krank, scorbutisch. Eben wie das Kochsalz unentbehr 
lich ist, so hat es die Natur auch überall hin verstreut. Es 
hat unbedingte Beziehung zu den Verdauungsorganen, es ist 
ein wesentlicher Bestandtheil des Magensaftes, aller Säfte und 
des Blutes überhaupt. So unentbehrliches Gewürz, muß es 
auch Arzneimittel sein (?), insofern es aus die Säfte alterirend 
einzuwirken vermag. Zuviel Kochsalz macht ebenfalls krank, 
scorbutisch, es reizt die Absonderung der Schleimhäute zu 
sehr, stört daher deren verdauende Wirkung, übersättigt das 
Blut. Die reizende Einwirkung auf die Verdauungsschleim 
haut kann sehr Vortheilhaft benutzt werden, wo diese zu reiz 
los ist. Aus diesem Grunde ist Kochsalz ein stuhlförderndes 
Mittel, und hierzu vernünftig benutzt, wirkt es vortheilhafter, 
als manches Andere. Daher ist nicht nur ein Zusatz vom 
Kochsalz zum Lavement unter Umständen gerechtfertigt (?), 
sondern das unmittelbare Einnehmen größerer Mengen Koch 
salz ist ebenso gerechtfertigt (?!), ebenso gerechtfertigt der in 
nere Gebrauch von Mineralwässern, Soolen, deren Hauptbe 
standtheil das Kochsalz und das ihm nahe verwandte Glau 
bersalz ist, welches stets das Kochsalz begleitet ***). Die na 
türlichen und künstlichen (letztere fast noch mehr) Soolen sind 
daher höchst wichtige (?), stuhlfördernde Mittel und in der 
Hydriatrik wohl zu dulden (?). — Ein 12 jähriges Mädchen 
litt an heftiger Obstruction, die weder Lavements, noch auch 
drastischen Arzneien wich; das Trinken eines Soolwassers 
*) Anm. der Red. Sie liegt gewiß im instinktiven Angezogen 
oder Abbestoßenwerden des Menschen von einem Gegenstände! Und 
bis zu emer gewissen Grenze ist dieses instinktive Für oder Gegen 
allen Menschen und Thieren gemeinsam, daher von einem Naturge 
setz abhängig. Als Medicamente werden daher richtiger alle solche 
Substanzen «ohne Unterschied, ob sie aus dem Mineral-, Pflanzen 
oder Thierreich herrühren), bezeichnet, gegen welche der Mensch einen 
natürlichen Widerwillen besitzt und welche er nur mit Selbstüberwin 
dung und auf Zureden Anderer zu sich nimmt. Nachdem es aber ge 
schehen, erhebt die Körpernatur nochmaligen Widerspruch gegen die 
wider ihren Willen ihr aufgedrungenen Substanzen durch Anstellung 
der Brechneigung. Kämpft auch diese der Wille oder die Kunst des 
Menschen (durch täuschende Hüllen des fremdartigen Gegenstandes oder 
sonst die Nerven beschwichtigende Nebengenüsse) nieder, so hört zwar 
nun der äußerlich wahrnehmbare Kampf der Natur gegen den einge 
drungenen Feind auf, nicht aber der innere, der sich nun in einer hö 
heren Thätigkeit hes ganzen Schleimhaut-Drüsensystems entfaltet. Lei 
der aber wird diese dritte Gegenaction der Natur- gegen das in ihr 
vorhandene Fremdartige meist ganz falsch verstanden, und die Wirkung 
davon, sei sie Schweiß, Durchfall oder Trink- und Eßlust rc. als eine 
wohlthätige angesehen. Die wenigsten Menschen wissen eben noch, daß 
alle durch dem Körper fremdartige, von ihm mit Widerwillen aufge 
nommene Substanzen — also Medicamente — hervorgebrachte Organen- 
thätigkeit eine Gegenanstrengung, ein Kampf, also eine mehr oder we 
niger nachtheilige, weil anstrengende, schwächende, aufreibende Action ist. 
**> Anw. der Red. — soweit es nämlich über den instinktiven 
Appetit hinaus genossen, resp. dem Körper aufgezwungen wird. Ein 
ungewöhnlich starker Appetit nach Salz wird bei naturgemäß lebenden 
Menschen wohl niemals wahrgenommen; wo er bei Änderen vorhan-, 
den, ist es ein Zeichen, daß schon ein auch im klebrigen die inneren 
Organe reizendes Leben geführt wird. 
***) Unserer Seits kann natürlich diesem Satze nicht beigepflichtet 
werden; wir müssen vielmehr dabei stehen bleiben, daß ein Genuß von 
Soolwasser schädlich wird, sobald sich der Instinkt dagegen sträubt. 
brachte endlich die gewünschte Wirkung*). — Daher ist bei 
Obstruction, wenn Lavements nicht helfen wollen, wohl anzu 
reihen, des Morgens einen Theelöffel voll Kochsalz zu 
Wasser zu nehmen. Am besten wirkt es aber im Verein mit 
viel Kohlensäure, z. B. als ein künstliches Soolwasser. Die 
Kohlensäure, ein wichtiger Bestandtheil guten Trinkwassers, 
übt, wenn sie in Masse darin vorhanden ist, eine Ausdehnung 
der Gedärme aus und befördert auf diese Weiseß zum Theil 
mechanisch, die Leibesöffnung. Auf die größere Ausdehnung 
der Darmwand folgt eine kräftigere Zusammenziehung dersel 
ben, welche dann erst recht förderlich ist. Daß sie sonst eine 
üble Einwirkung habe, daß namentlich etwa zu viel in das 
Blut ausgenommen werde, ist durchaus nicht zu fürchten**). 
Es ist also für den Wafserarzt, auch wenn er ängstlich 
das Princip zu wahren gedenkt, als ein Hilfsmittel zu kräftigerer 
Stuhlförderung, wie sie bei Kranken häufig genug nöthig 
wird, geradezu unentbehrlich (?). Ein künstliches Soolwasser eig 
net sich, meiner Meinung nach, am besten dazu. Man reizt 
dadurch die ganze Darmfläche, was bei einem Zusatz von 
Kochsalz zum Lavement aus den kleinsten Theil derselben ge 
schieht, der am wenigsten zu einer Absonderung von Darm 
saft geeignet ist. Erst in jüngster Zeit habe ich durch den 
Gebrauch eines guten künstlichen Soolwassers neben reichliche 
rem Wassergenusse, wie er hier geboten war, außerordentlichen 
Erfolg erzielt, den die applicirten Lavements und die ver 
ordnete Bewegung nimmermehr gehabt hätten. Der Fall war 
ein Asthzna (Lungenemphysem) mit wassersüchtigen Anschwel 
lungen der Füße, wo ein Mißverhältniß zwischen Herz- und 
Lungenthätigkeit obwaltete. Es ist nicht der Zweck solcher 
Salzzufuhr, eine sehr schnelle Wirkung zu erzielen, sondern 
daß sie allmälig, aber dann auch sicher und nachhaltig, aus 
die Ausscheidungen im Darmkanale wirke. Häufig habe ich 
früher eine Auflösung von Kochsalz und Glaubersalz, je ein 
Loth auf eine Weinflasche Wasser, früh und Abends zu einem 
halben bis ganzen Weinglase entweder allein oder als Zusatz 
zu einem Glase Wasser mit dem besten Erfolge trinken lassen. 
Jeder Wasserarzt wird gar bald die Erfahrung machen, daß 
er bei manchem seiner Patienten seine liebe Noth mit der lei 
digen Leibesöffnung hat, daß diese ihm stets klagend in den 
Ohren liegen und er das starre Princip verwünschte. Ich 
weiß gar wohl, daß Mancher hierzu seine Anmerkung für 
oder wider machen wird, und es soll keineswegs gesagt sein, 
daß man sofort zu diesem Mittel greifen müsse; nein erst 
dann, wenn das andere im Stich läßt, wenn die Noch drängt 
und man endlich die gewünschte Erleichterung schaffen muß. 
Bei Demjenigen, der sich früher gut gewöhnt hat, der sich 
die allgemein diätetischen Regeln gesagt sein ließ, wird dies 
nicht nöthig sein, seine Natur wird leiseren Winken schon ge 
horchen Der Ausspruch der alten Aerzte ist ein sehr wah 
rer : „Qui bene purgat, bene curat.“ 
Aber hat das Mädchen nicht vielleicht seit dieser Zeit desto 
mehr habituell, also chronisch, an Hartleibigkeit gelitten? Je jünger 
ein Organismus, desto weniger halten wir solche Hülfsmittel für ge 
rechtfertigt 
**) Auch gegen diese Sätze hätten wir mancherlei einzuwen 
den, namentlich scheint uns aber die Annahme der mechanischen 
Besörderungskraft der Kohlensäure im Darm, wenn sie dahin nicht 
etwa durch Klystiere gebracht wurde, eine anatomisch-physiologisch — 
dem Pförtner und der peristaltischen Bewegung gegenüber — nicht 
füglich zu rechtfertigende Hypothese zu sein.
	        
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