Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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Des Naturarztes v. Helfer Leiden und Freuden. 
Somatisch-hydriatische Novelle. 
(Fortsetzung.) 
Frau Augustin erklärte nun dem gegenüber, daß sie, ob 
gleich sie freilich immer die Anwendung von Wasser als in 
solchen Zuständen gänzlich unthunlich von Aerzten habe be 
zeichnen hören, vielmehr selbst und an sich früher in ähnlichen 
Zuständen habe Senfpflaster auf Waden und Fußsohlen auf 
legen, auch örtliche Essiganwendungen habe vornehmen müs 
sen, doch das vollste Vertrauen in ihn, Dr. Helfer, setzen und 
seiner Ueberzeugung die geeignetste Manipulation überlassen 
wolle. 
Man begab sich hierauf in das Zimmer der kranken 
Dame, und Dr. Helfer sah bald vor sich die Constitution eines 
gefährlich genital-hyperämischen Frauenkörpers, der aber, wie 
sehr häufig in solchen Fällen, im Uebrigen die Zeichen der 
sogen. Anämie (Blutarmuth) an sich trug. Die Dame hatte, 
obgleich ihr das Bevorstehen der Periode bekannt war, doch 
am Abend zuvor sich noch außergewöhnlich in der Versorgung 
der Wirthschaft angestrengt und heute, statt der nothwendigen 
Ruhe sich hinzugeben, auf schlechtem Wege und im stoßenden 
Wagen den Besuch nach Mölsitz vorgenommen; jetzt büßte 
sie diese Unvorsichtigkeiten, zu denen sie sich bei der ihr be 
kannten Eigenthümlichkeit ihres Körpers, oder besser gesagt, 
bei der nach und nach nicht ohne ihr Zuthun und Wissen 
entstandenen Reizbarkeit ihres Gebärmutter-Organes, durch 
aus nicht hätte verleiten lassen sollen. 
Frau D., so hieß die kranke Dame, gehörte zu der jetzt 
so großen Anzahl weiblicher Wesen, welche fast ohne alle ver 
nünftige Hautpflege — wenigstens bei nicht mehr, als der 
dem Gesicht, dem Halse, Nacken und allenfalls bisweilen einem 
Theile des Busens zugewendeten — aufwachsen, dafür aber 
mit desto mehr innerer Pflege, d. h. mit heißen Thees, 
Kaffee's, gewürzrerchen und pikanten Speisen und reichlicher 
Fleischkost vom zartesten Alter an versehen werden. Durch 
diese einseitige Nervenerregung und Blutbereitung (ohne an 
dererseits ein in beiderlei Hinsicht ausgleichendes und dazu 
kräftiges, äußeres Hautorgan), wird von der Zeit der begin 
nenden Entwickelung an die Gemtalfphäre vorzugweise der 
Ort der Blutströmung und nervösen Reizung. Tritt nun 
die Entwickelung rechtzeitig wirklich ein, so ist das noch der 
günstigste Fall, obgleich auch dann meistens solche Personen 
schmerzhafte und entweder zu starke oder zu schwache Regeln, 
überhaupt Abnormitäten dabei, fast ihr Lebelang behalten. 
Sind aber solche Mädchen nebenbei von leicht geistig erregba 
rer Beschaffenheit, oder hat ihre Phantasie durch das in diesem 
Alter so nachtheilige Les en spannender (wenn auch im Uebri 
gen guter) Schriften no ch einen besonderen Stachel bekommen, 
so daß, vermöge der vorzugsweisen Erregung des animalen 
Nervensystems, besonders des Gehirns, die Blutcirculation in 
Kopf, Hals und Brust hervorstechend begünstigt wird, so sind 
solche arme, in ihrem Hautleben vernachlässigte oder durch 
falsche Behandlung dessel ben verweichlichte junge Wesen, neben 
mehr oder weniger bedeutenden Störungen in der Genital 
sphäre beim Monatsflusse, auch noch mancher anderen sowohl 
körperlichen als geistigen Gefahr ausgesetzt; sie werden leicht 
an Brust und Hals leidend, oder reizbar in der Gehirnmasse, und 
nicht blos schwere Kopfleiden, Migränen und Ohrenleiden, 
Zahnleiden, sondern auch geistige Störungen, vom Tiefsinn 
an bis zur Raserei, charakterisiren dann die Strafe für ju 
gendlich verkehrte Lebensweise. 
Auch Frau D. hatte als Mädchen, wie ja fast alle Mäd 
chen, hinter dem Rücken der Eltern weit mehr, als ihr gut 
gewesen, in zwar sonst ganz guten, aber doch ihre jugendliche 
Phantasie außergewöhnlich erregenden Büchern gelesen, leider 
aber nebenbei ebenfalls die so übliche Vernachlässigung ihrer 
Hautkräftigung erfahren, welche als hauptsächliches, ja einziges 
Schutz- und Gegenmittel gegen krankhafte Abweichungen, wie 
des Körperlebens so auch des Seelenlebens bei jungen Leuten, 
anzusehen ist. Glücklicher Weise hatte sie andererseits, als 
Tochter eines Gutsbesitzers, und angehalten zur Mithülfe in 
der Wirthschaft, wenigstens eine gewisse, wenn auch sehr ein 
seitige körperliche Thätigkeit zu Hause entfalten müssen, und 
so hatte sie nur die wenn auch nicht bedeutungslose und ihr 
namentlich seit ihrer Verheirathung die Mutterfreuden versa 
gende Gebärmuttercongestion mit häufigen, sehr lästigen und 
auch in ihrer Regelmäßigkeit zu starken Blutungen, aber doch 
keinen Schaden in der noch edleren und deshalb in ihrer Stö 
rung auch bedenklicheren Hirnthätigkeit, von ihrer Hautver- 
weichlichung und falschen inneren Jugenddiät davon getragen. 
Dr Helfer verordnete der Dame flüchtige, ganz kalte 
Schwammaufdrückungen auf die ganze Genitalsphäre, nament 
lich auch, soweit irgend thunlich, auf die Kreuzgegend, zu glei 
cher Zeit aber feuchte, erregende Einpackungen jedes Beines und 
Fußes für sich, wobei er, zur schnelleren Erwärmung dieser 
Extremitäten und also zur Ausdehnung ihrer Blutgefäße, Fla 
schen mit heißem Wasser, welche mit feuchten Tüchern umhüllt 
waren und daher bald einen dampfbadähnlichen Effect hervor 
brachten, Anfangs und auf kurze Zeit, in die Nähe der Füße und 
Waden legen ließ. Auch die Arme erhielten ähnliche erre 
gende Umschläge und der Nacken nebst Rücken und Gesichts 
haut häufige, flüchtige, ganz kalte Ueberwaschungen. Bald 
zeigte sich der günstige Erfolg dreser Behandlung, indem Frau 
D. aus dem ohnmachtähnlichen, erschlafften Zustande, in dem 
sie sich bisher befunden, mehr und mehr erwachte und deut 
liche Zeichen des sich kräftiger Fühlens zu erkennen gab. So 
bald die Blutungen den Anschein des Nachlassens annahmen, 
wurden auch die Unterleibswaschungen reducirt und im Grad, 
wie in der Häufigkeit, auf die Hälfte der anfänglichen Appli- 
cationen ermäßigt. Nach 4 Stunden, innerhalb welcher die 
Fuß-, Bein- und Armumschläge 2—3mal erneuert und dabei 
die bedeckt gewesenen Stellen mit frischem Wasser gewaschen 
worden waren, fühlte sich die Patientin bereits so weit ge 
stärkt, daß sie sich im Bett aufzusetzen verlangte und den 
Wunsch nach Speise und Tränk äußerte, dem auch, wiewohl 
in mäßigster Weise und kühlster Form, mit etwas erwärmter 
frischer Milch und altbackener Semmel gewährt wurde. Der 
Zustand nahm daher bald eine Gestalt an, welche es der Frau 
Augustin möglich machte, wenigstens den größten Theil des 
Nachmittags noch, ihren zahlreich geladenen und erschienenen 
Gästen sich mitzuwidmen; aber sie wurde dadurch und deswe 
gen auch Zeugin eines Vorfalles,wieder mit unserem guten, 
armen Helfer', der sie tief erschüttern mußte und der übri 
gens einen wesentlichen Einfluß auf die Gestaltung ihres gan 
zen Familienlebens herbeiführen sollte. 
(Ob diese Novelle hier schließt oder weiter fortgesetzt wird, können wir 
erst nach noch mehrseitiger Aussprache in dieser oder jener Richtung 
Seiten der geehrten Leser bestimmen; bis jetzt liegen ziemlich gleich 
viel Stimmen für wie gegen die Fortsetzung vor. Die Redaction) 
Verantw Redakteur und Verleger: Dr. Meiner t. Druck von Liepsch Reichardt in Dresden. 
(Das Jnhaltsverzeichniß und Sachregister zum Jahrgang 1863 folgt mit der Nr. 1 oder 2 des neuen Jahrganges.)
	        
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