Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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gen oder dieselbe zu mäßigen. Wenn wir nun in unserem 
Clima diese römische Sitte des Einsalbens, Einölens nach 
einem Bade Abends vor Schlafengehen bei wieder erwärmter 
Haut nachahmen, so muß wohl derselbe physiologische Vorgang 
stattfinden, nämlich eine Verminderung der Körperausdünstung 
(welche im warmen Bette gewöhnlich reichlicher zu geschehen 
pflegt) und eine geringere Gasaufnahme; dadurch wird der 
Stoffwechsel mehr oder weniger retardirt, und dies mag in 
manchen Krankheitszuständen, wo die Stoffausgabe die Stoff 
einnahme überwiegt und abnorme Abmagerung dadurch er 
folgt, von therapeutischem Werthe und exacter Prüfung nicht 
unwerth sein! So ungefähr denke ich mir den physiologischen 
Vorgang und die gute Wirkung der Richter'schen Fetteinrei 
bung. Warum Richter aber blos Hals, Brust und Bauch, 
die Hauptdrüsengegenden, einreiben läßt, das ist mir nicht 
recht erklärlich. Ihm, dem schwergelehrten Herrn, zuzutrauen, 
daß er glaube, das Fett werde an den eingeschmierten Stel 
len in die Drüsen aufgesaugt und erzeuge da nach allopathi 
scher Anschauung eine geheimnißvolle Wirkung, wäre bei Rich 
ter ein doppeltes crim6ii laesae majestatis; denn erstens ist er 
ja jetzt „Wasserarzt" und hat den Arzneikolben abgeschwo 
ren (?) und zweitens sagt er ja selbst in seinem „Wasser 
buche" Seite 28: „Die Haut, die auch wohl als Quelle der 
„Wassereinfuhr in den Organismus betrachtet wird, scheint im 
„gesunden Zustande kein atmosphärisches Wasser aufzunehmen 
„und selbst eine Aufnahme durch dieselbe im Bade hat bis 
„dahin durch die sorgsamsten Untersuchungen noch nicht nach- 
„gewiesen werden können und scheint auch nicht möglich zu 
„sein, weil die Oberhaut bekanntlich eine Hornschicht und über- 
„dies mit einem fettigen Ueberzuge versehen ist." 
(Alle neueren Physiologen behaupten nun aber das Ge 
gentheil, namentlich hat Lehmann genaue Untersuchungen dar 
über angestellt und gefunden, daß Wasser von der Haut aus 
genommen werden kann und unter Umständen auch wird!) 
Wo nun nach Richter kein Wasser aufgenommen wird, 
da hat das Schweinefett noch weniger Aussicht dazu; was 
ist nun aber wohl das Motiv Richters, solche partielle 
Fetteinreibungen anzuordnen? 
Es wäre interessant, das von ihm selbst zu erfahren. 
Ueber „Lungenschwindsucht, Tuberculosis der 
Lungen", sagt Dr. Richter Seite 319 seines „Wasser 
buches" Folgendes! 
„Die ursprüngliche Veranlassung dieser langwierigen, meistens 
tödtlichen Krankheit liegt in einer perversen Nutrition (Ernährung!, 
wobei sich im Blute jene käseartigen Stoffe bilden, welche, in die Lunge 
abgelagert, die Räumlichkeit derselben beengen und zur Degeneration 
und Verschwärung des Zellgewebes derselben führen. Diese falsche 
Mischung des Blutes hat in physikalischer (?) Beziehung sehr viele 
Ähnlichkeit mit derjenigen, welche sich in der Scrophelsucht 
findet, und deshalb ist man geneigt, die Tuberculose für eine 
fernere Entwickelung der Scrophulose zu halten, um 
so mehr, als tuberculose Individuen in ihrer Jugend sihr häufig schon 
an Scrophulosis, hauptsächlich in den Drüsen des Unterleibes, litten. 
Der tuberculose Krankheitsproceß in den Lungen entwickelt sich 
oft sehr allmälig. ohne ausfällige und beschwerliche Erscheinungen, und 
ist in diesem Falle nur durch die mittelbare physikalische Untersuchung 
der Lunge und durch chemische Untersuchungen des Urines frühzeitig 
zu erkennen. Beim kunstmäßigen Beklopfen der Brust hört man be 
sonders in den Spitzen der Lungen einen dumpfen, vollen Ton und 
vernimmt an dieser Stelle mit dem Hörrohre kein Respirationsgeräusch. 
Die Untersuchung des Harnes ergiebt unter diesen Umständen 
folgende Resultate: er ist specifisch leichter als der normale und ent 
hält, qualitativ abweichend von dem gesunden, zeitweise Albumin 
(Eiweißstoff), Harnstoff im Ueberschuffe, desgleichen Harnsäure und mei 
stens viel Oxalsäure und oxalsauren Kalk. Den Physiologen ist es 
bekannt, daß bei einer solchen Beschaffenheit des Urins die Ernährung 
qualitativ und quantitativ darniederliegt, denn die stickstoffhaltigen 
Nahrungsmittel, welche das eigentliche Ersatzmaterial für unsere Organe 
und deren Functionen sind, kommen unter diesen Verhältnissen dem 
Organismus entweder gar nicht oder doch nur in sehr unvollkommener 
Weise zu Gute. 
Durch diese überwiegende Ausscheidung der Ernährungssubstanz 
mit dem Urine wird die bei tuberculösen Individuen stattfindende 
Hagerkeit erklärlich, welche auch schon dann eintritt 
wenn sich bei ihnen noch keine consumptiven und 
colliquativen Erscheinungen, z. B. Schleim- und 
Eiterauswurf aus den Lungen, Nachtschweiße und 
Diarrhoen eingestellt haben. 
Zuweilen leiden in diesem Stadium der Krankheit die betroffe 
nen Individuen an plötzlichen, durch die Brust fahrenden Stichen, an 
Oppression auf der Brust und leichtem, trockenen Hüsteln, aber nach 
Tische in den Nachmittagsstunden ist ihr Puls beschleunigt und hart 
und ihr blühendes Aussehen scheint alsdann noch gesteigert, und sie 
selbst für den unbefangenen Beschauer ein Bild der Gesundheit zu 
sein, zumal der beschleunigte Blutkreislanf das Nervenleben anregt 
und dadurch ihre geistige Stimmung eine heitere und muntere zu wer 
den pflegt. 
Wird in diesem Stadium ernstlich und beharrlich gegen das sich 
entwickelnde Leiden eingeschritten, alsdann ist es sehr häufig vollkom 
men heilbar oder wenigstens aus viele Jahre hinaus stillstehend zu er 
halten Mit energischem Kurverfahren — werden zu diesem nun Me- 
d i c a m e n t e oder das kalte Wasser gewählt —, ist das ge 
nannte Ziel jedoch keineswegs zu erreichen, sondern zu diesem 
gelangt man nur durch sorgsame diätetische Pflege, durch welche sich 
nach und nach die Säfte verbessern und die Kräfte heben und dem 
Individuum eine gewisse Abhärtung gegen allzu leichte Erkältungen 
und dadurch eine Immunität vor zu häufigen Catarrhen gegeben wird. 
Zu der diätetischen Pflege gehört: der Aufenthalt 
in reiner, gesunder Luft, jedoch weniger aus Gebirgen, als vielmehr 
auf dem flachen Lande und an der Meeresküste, Vermeidung 
aller sauren, gewürzhaften und reizenden Spei 
sen und Getränke und der Genuß von süßer Milch mit 
Butte rsemmel Morgens und Abends, Mittags: 
leicht verdauliches Gemüse und gutes Fleisch, 
leichte Mehlspeisen mit Obstsaucen. Das Schlafen auf 
Roßhaarmatratzen unter einfacher, wollener Decke in hohem, 
luftigen Zimmer- 
Des Morgens beim Aufstehen aus dem Bette lasse man eine 
nasse Abreibung nehmen und darauf sich Bewegung im Freien machen, 
empfehle solche Leibesübungen, welche den Brustkasten gelinde ausdeh 
nen und wölben, die ganze Muskulatur stärken und eine ungezwun 
gene, gerade Haltung des Oberkörpers geben. Des Nachmittags ver 
ordne man eine Arm- und Beinwaschung, der wiederum mäßige Be 
wegung im Freien folgt, und vor dem Schlafengehen lasse man die 
Brust 2—3 Minuten lang mit + 12-16° R. warmem Wasser küh 
len und mache um die Füße nasse, erwärmende Umschläge. Das ge 
wöhnliche Getränk sei frisches, kaltes Wasser zu 4—6 Gläsern. 
Bei eintretenden Verdauungsstörungen mäßige man die 
Quantität der Nahrungsmittel, lasse die nasse Leibbinde tragen, gebe 
täglich 1 — 2 Sitzbäder in der Temperatur von 16—18° R., 15 Mi 
nuten lang, und regele den Stuhlgang durch die öfter zu wiederholen 
den kleinen Klystiere. 
Bei katarrhalischen Affectionen reibe man die Kranken des Mor 
gens naß ab, lasse sie sich darauf mit dem Trockentuche in's Bett le 
gen, bestopfe sie mit dem Deckbette fest, reibe sie, wenn sie nach 50—80 
Minuten hinreichend warm geworden sind, wiederum naß ab und ge 
statte ihnen darauf eine mäßige Bewegung im Freien, ohne daß sie 
sich einem etwa wehenden Ost- und Nordwinde aussetzen. Des Nach 
mittags werde dieselbe Procedur wiederholt und zur Nacht Hals, Un 
terleib und Füße mit einem erwärmenden Umschlage versehen. Eine 
24 stündige Enthaltsamkeit von dem Genusse jeglicher Flüssigkeit befördert 
oft auffallend rasch den Decours (das Abnehmen) des Catarrhes. Ist 
die Verdauungsstörung oder der Catarrh mit Fieber verbunden, dann 
muß zur Zeit des Fiebers statt aller anderen Proceduren eine nasse 
Einpackung mit nachfolgendem 18 — 20 " R. warmen Bade verordnet 
werden. 
Das zweite Stadium der Lungen-Tuberkulose ist neben den stär 
ker ausgesprochenen Erscheinungen des ersten noch durch den Hinzutritt 
folgender Symptome charakterisirt: die Kranken klagen über Schwere, 
Druck und Schmerzen in der Brust, die sich bci tiefem Einathmen 
und Dehnen des Brustkastens vermehren, wodurch sie auch gewöhnlich 
zum Husten gezwungen werden; sie husten am Tage nur stoßweise und
	        
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