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gen oder dieselbe zu mäßigen. Wenn wir nun in unserem
Clima diese römische Sitte des Einsalbens, Einölens nach
einem Bade Abends vor Schlafengehen bei wieder erwärmter
Haut nachahmen, so muß wohl derselbe physiologische Vorgang
stattfinden, nämlich eine Verminderung der Körperausdünstung
(welche im warmen Bette gewöhnlich reichlicher zu geschehen
pflegt) und eine geringere Gasaufnahme; dadurch wird der
Stoffwechsel mehr oder weniger retardirt, und dies mag in
manchen Krankheitszuständen, wo die Stoffausgabe die Stoff
einnahme überwiegt und abnorme Abmagerung dadurch er
folgt, von therapeutischem Werthe und exacter Prüfung nicht
unwerth sein! So ungefähr denke ich mir den physiologischen
Vorgang und die gute Wirkung der Richter'schen Fetteinrei
bung. Warum Richter aber blos Hals, Brust und Bauch,
die Hauptdrüsengegenden, einreiben läßt, das ist mir nicht
recht erklärlich. Ihm, dem schwergelehrten Herrn, zuzutrauen,
daß er glaube, das Fett werde an den eingeschmierten Stel
len in die Drüsen aufgesaugt und erzeuge da nach allopathi
scher Anschauung eine geheimnißvolle Wirkung, wäre bei Rich
ter ein doppeltes crim6ii laesae majestatis; denn erstens ist er
ja jetzt „Wasserarzt" und hat den Arzneikolben abgeschwo
ren (?) und zweitens sagt er ja selbst in seinem „Wasser
buche" Seite 28: „Die Haut, die auch wohl als Quelle der
„Wassereinfuhr in den Organismus betrachtet wird, scheint im
„gesunden Zustande kein atmosphärisches Wasser aufzunehmen
„und selbst eine Aufnahme durch dieselbe im Bade hat bis
„dahin durch die sorgsamsten Untersuchungen noch nicht nach-
„gewiesen werden können und scheint auch nicht möglich zu
„sein, weil die Oberhaut bekanntlich eine Hornschicht und über-
„dies mit einem fettigen Ueberzuge versehen ist."
(Alle neueren Physiologen behaupten nun aber das Ge
gentheil, namentlich hat Lehmann genaue Untersuchungen dar
über angestellt und gefunden, daß Wasser von der Haut aus
genommen werden kann und unter Umständen auch wird!)
Wo nun nach Richter kein Wasser aufgenommen wird,
da hat das Schweinefett noch weniger Aussicht dazu; was
ist nun aber wohl das Motiv Richters, solche partielle
Fetteinreibungen anzuordnen?
Es wäre interessant, das von ihm selbst zu erfahren.
Ueber „Lungenschwindsucht, Tuberculosis der
Lungen", sagt Dr. Richter Seite 319 seines „Wasser
buches" Folgendes!
„Die ursprüngliche Veranlassung dieser langwierigen, meistens
tödtlichen Krankheit liegt in einer perversen Nutrition (Ernährung!,
wobei sich im Blute jene käseartigen Stoffe bilden, welche, in die Lunge
abgelagert, die Räumlichkeit derselben beengen und zur Degeneration
und Verschwärung des Zellgewebes derselben führen. Diese falsche
Mischung des Blutes hat in physikalischer (?) Beziehung sehr viele
Ähnlichkeit mit derjenigen, welche sich in der Scrophelsucht
findet, und deshalb ist man geneigt, die Tuberculose für eine
fernere Entwickelung der Scrophulose zu halten, um
so mehr, als tuberculose Individuen in ihrer Jugend sihr häufig schon
an Scrophulosis, hauptsächlich in den Drüsen des Unterleibes, litten.
Der tuberculose Krankheitsproceß in den Lungen entwickelt sich
oft sehr allmälig. ohne ausfällige und beschwerliche Erscheinungen, und
ist in diesem Falle nur durch die mittelbare physikalische Untersuchung
der Lunge und durch chemische Untersuchungen des Urines frühzeitig
zu erkennen. Beim kunstmäßigen Beklopfen der Brust hört man be
sonders in den Spitzen der Lungen einen dumpfen, vollen Ton und
vernimmt an dieser Stelle mit dem Hörrohre kein Respirationsgeräusch.
Die Untersuchung des Harnes ergiebt unter diesen Umständen
folgende Resultate: er ist specifisch leichter als der normale und ent
hält, qualitativ abweichend von dem gesunden, zeitweise Albumin
(Eiweißstoff), Harnstoff im Ueberschuffe, desgleichen Harnsäure und mei
stens viel Oxalsäure und oxalsauren Kalk. Den Physiologen ist es
bekannt, daß bei einer solchen Beschaffenheit des Urins die Ernährung
qualitativ und quantitativ darniederliegt, denn die stickstoffhaltigen
Nahrungsmittel, welche das eigentliche Ersatzmaterial für unsere Organe
und deren Functionen sind, kommen unter diesen Verhältnissen dem
Organismus entweder gar nicht oder doch nur in sehr unvollkommener
Weise zu Gute.
Durch diese überwiegende Ausscheidung der Ernährungssubstanz
mit dem Urine wird die bei tuberculösen Individuen stattfindende
Hagerkeit erklärlich, welche auch schon dann eintritt
wenn sich bei ihnen noch keine consumptiven und
colliquativen Erscheinungen, z. B. Schleim- und
Eiterauswurf aus den Lungen, Nachtschweiße und
Diarrhoen eingestellt haben.
Zuweilen leiden in diesem Stadium der Krankheit die betroffe
nen Individuen an plötzlichen, durch die Brust fahrenden Stichen, an
Oppression auf der Brust und leichtem, trockenen Hüsteln, aber nach
Tische in den Nachmittagsstunden ist ihr Puls beschleunigt und hart
und ihr blühendes Aussehen scheint alsdann noch gesteigert, und sie
selbst für den unbefangenen Beschauer ein Bild der Gesundheit zu
sein, zumal der beschleunigte Blutkreislanf das Nervenleben anregt
und dadurch ihre geistige Stimmung eine heitere und muntere zu wer
den pflegt.
Wird in diesem Stadium ernstlich und beharrlich gegen das sich
entwickelnde Leiden eingeschritten, alsdann ist es sehr häufig vollkom
men heilbar oder wenigstens aus viele Jahre hinaus stillstehend zu er
halten Mit energischem Kurverfahren — werden zu diesem nun Me-
d i c a m e n t e oder das kalte Wasser gewählt —, ist das ge
nannte Ziel jedoch keineswegs zu erreichen, sondern zu diesem
gelangt man nur durch sorgsame diätetische Pflege, durch welche sich
nach und nach die Säfte verbessern und die Kräfte heben und dem
Individuum eine gewisse Abhärtung gegen allzu leichte Erkältungen
und dadurch eine Immunität vor zu häufigen Catarrhen gegeben wird.
Zu der diätetischen Pflege gehört: der Aufenthalt
in reiner, gesunder Luft, jedoch weniger aus Gebirgen, als vielmehr
auf dem flachen Lande und an der Meeresküste, Vermeidung
aller sauren, gewürzhaften und reizenden Spei
sen und Getränke und der Genuß von süßer Milch mit
Butte rsemmel Morgens und Abends, Mittags:
leicht verdauliches Gemüse und gutes Fleisch,
leichte Mehlspeisen mit Obstsaucen. Das Schlafen auf
Roßhaarmatratzen unter einfacher, wollener Decke in hohem,
luftigen Zimmer-
Des Morgens beim Aufstehen aus dem Bette lasse man eine
nasse Abreibung nehmen und darauf sich Bewegung im Freien machen,
empfehle solche Leibesübungen, welche den Brustkasten gelinde ausdeh
nen und wölben, die ganze Muskulatur stärken und eine ungezwun
gene, gerade Haltung des Oberkörpers geben. Des Nachmittags ver
ordne man eine Arm- und Beinwaschung, der wiederum mäßige Be
wegung im Freien folgt, und vor dem Schlafengehen lasse man die
Brust 2—3 Minuten lang mit + 12-16° R. warmem Wasser küh
len und mache um die Füße nasse, erwärmende Umschläge. Das ge
wöhnliche Getränk sei frisches, kaltes Wasser zu 4—6 Gläsern.
Bei eintretenden Verdauungsstörungen mäßige man die
Quantität der Nahrungsmittel, lasse die nasse Leibbinde tragen, gebe
täglich 1 — 2 Sitzbäder in der Temperatur von 16—18° R., 15 Mi
nuten lang, und regele den Stuhlgang durch die öfter zu wiederholen
den kleinen Klystiere.
Bei katarrhalischen Affectionen reibe man die Kranken des Mor
gens naß ab, lasse sie sich darauf mit dem Trockentuche in's Bett le
gen, bestopfe sie mit dem Deckbette fest, reibe sie, wenn sie nach 50—80
Minuten hinreichend warm geworden sind, wiederum naß ab und ge
statte ihnen darauf eine mäßige Bewegung im Freien, ohne daß sie
sich einem etwa wehenden Ost- und Nordwinde aussetzen. Des Nach
mittags werde dieselbe Procedur wiederholt und zur Nacht Hals, Un
terleib und Füße mit einem erwärmenden Umschlage versehen. Eine
24 stündige Enthaltsamkeit von dem Genusse jeglicher Flüssigkeit befördert
oft auffallend rasch den Decours (das Abnehmen) des Catarrhes. Ist
die Verdauungsstörung oder der Catarrh mit Fieber verbunden, dann
muß zur Zeit des Fiebers statt aller anderen Proceduren eine nasse
Einpackung mit nachfolgendem 18 — 20 " R. warmen Bade verordnet
werden.
Das zweite Stadium der Lungen-Tuberkulose ist neben den stär
ker ausgesprochenen Erscheinungen des ersten noch durch den Hinzutritt
folgender Symptome charakterisirt: die Kranken klagen über Schwere,
Druck und Schmerzen in der Brust, die sich bci tiefem Einathmen
und Dehnen des Brustkastens vermehren, wodurch sie auch gewöhnlich
zum Husten gezwungen werden; sie husten am Tage nur stoßweise und