Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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Eine Cholerageschichte. 
Von H. L. 
In welch' grasser Weise die Cholera bei ihrem ersten 
Auftreten wüthete, mögen wohl die Meisten vergessen haben, 
die nicht gerade in dem Elend selbst steckten, oder in solchen 
Städten seßhaft waren, in welchen diese Pest auftrat. 
Unser gesegnetes Sachsen, zumal Dresden, bei seinem 
Ostwindzug, ist wohl eigentlich völlig frei davon geblieben; 
denn die wenigen Fälle, welche schließlich vorgekommen sein 
sollen, könnte man wohl eben so gut unter die Merkmale 
der Ruhr bringen. 
Verwandtschaftliche Verhältnisse beriefen mich nach Ber 
lin, gerade in dem Jahre, wo sie am entsetzlichsten in dieser 
Stadt hauste. Manche Häuser waren so ausgestorben, daß 
der Rath ihre Schlüssel verwaltete und die berüchtigten Lei 
chenträger commandirten, wie einst bei der Pest in Florenz. 
Ich bin zumeist von Natur muthig, wenigstens nie kran 
kenscheu, und am wenigsten konnte ich es in einer Zeit sein, 
wo mich einige Lebensverluste aus meinen Kreisen zu schwer 
getroffen hatten, um für den Moment zu viel auf das Leben 
zu geben. Meine Freunde indeß waren vorsorglicher, als ich; 
sie ließen mich nicht nach Berlin fort, bis von der Sächsi 
schen Grenze Böhmens, wo ein militärischer Schutzcordon 
gezogen war, die medicinische Untersuchungscommission wieder 
zurückgekommen war und über ihre Selbstschau Bericht er 
stattete. Se. Majestät der König hatte an die Spitze jener 
Commission den General v. Engel gesetzt. Diese Excellenz 
hörte ich es nun persönlich aussprechen, wie man in Böhmen, 
bei der Masse von Militärkranken, gar keine weiteren Um 
stände mit ihnen machen konnte, als jedem Angesteckten 
sogleich eine Kanne voll kalten Wassers über den 
Kopf zu gießen. Fast Alle wären dabei genesen, 
während die medicinisch Kurirten nur selten und 
zumeist völlig erschöpft davongekommen wären. 
Diese Notiz paßte zu meinem Reise-Kram. In den 
Zeitungen hatte ich es gelesen, wie zwei junge, griechische 
Fürsten — die Namen sind bekannt —, welche sich in Mün 
chen aufhielten (zu einer Zeit, wo man die Krankheit unheil 
bar nannte), sich einfach in ihre Gemächer eingeschlossen hat 
ten, ohne Andere mit Beihülfe zu belästigen oder ihnen gar 
mit Ansteckung zu lohnen —; ihren Todeskampf still ertra 
gend, waren sie erblichen, und erst nach Aufbrechen der Thü 
ren stand man erstarrt vor ihren Leichnamen. 
Gerade so gedachte ich es bei meinen Freunden in Berlin 
zu machen, mit der Ausnahme, daß ich nun doch die Mög 
lichkeit eines probaten Mittels vor mir hatte, dessen Gebrauch 
in meiner Macht stand. 
Dort angekommen, - begünstigte meinen Plan noch Fol 
gendes: Bei der allgemeinen Arbeitsstockung war die mir zu 
gedachte Stube mit Kammer, welche in der Mitte von der 
ersten Etage meiner Freunde lag, in ihrer nöthigen Einrich 
tung nicht fertig geworden und ich erhielt deshalb nun ähn 
liche Piecen in der oberen Etage; an diese nebenan, und nach 
dem Hofe heraus, wohnten rechtliche Schuhmachersleute, welche 
ihren Fleiß vom frühesten Morgen bis in die späteste Nacht 
zu verwerthen suchten und gern erbötig waren, mir bei vor 
kommenden Fällen, wo rasche Dienste nöthig seien, für ein 
Geringes beizustehen. 
Gleich vom ersten Tage an machte ich mir bei dieser 
Frau aus: daß, wenn ich einmal heftig klingele, sie mir so 
gleich ein Faß, welches ich ihr zeigte, dazu einen Krug, wel 
chen ich kaufte, mit frischem Wasser bringen solle, ich sei das 
so gewohnt. 
Die Nachtfahrt im Eilwagen, von Dresden bis Berlin, 
war nicht gerade eine günstige gewesen. Ein ewiger Sturm 
umraste uns so, daß der schwere Wagen, im steten Schwan 
ken, mit nahem Umsturz drohre und zwei Mitfahrende, ein 
Oberst mit seiner Frau, welche frisch von Sicilien kamen, 
versicherten, auf der ganzen Reise und auch das Meer nicht 
ausgenommen, nie in so fataler Lage gewesen zu sein; den 
noch blieb die ganze Gesellschaft die Nacht über munter und 
belebt, weil keine einzige Hasennatur dabei war. Auch der 
Cholera wurde oft ein Schnippchen geschlagen und sie wurde 
überhaupt nur als luftige, vorübergehende Person behandelt, 
auch zumeist über interessantere Thema's völlig vergessen. So 
fuhren wir in Berlin ein. 
Beim Aussteigen fühlte ich mich plötzlich schlimm und 
schwankend, fast seekrank; aber ich schob das auf Sturm und 
Nachtwachen. Meine Freunde nahmen mich fröhlich in Em 
pfang, und meine eigene Freude überwand jenes Gefühl zum 
Theil. 
So gingen einige Tage hin, die Uebelkeit hörte nicht auf 
und Luft und Wasser, das letzte besonders, erweckten mir Ekel. 
Mein Leben war übrigens amüsant, denn wir hatten uns 
vor Allem das Wort gegeben, Dame Chslera im Hause todt 
zu schweigen. 
Gerade dieses Jahr gab es vortreffliches Obst, von allen 
Sorten, dessen Reichthum — bei dem allgemeinen Doctor- 
verbot — scheinbar noch steigen mußte; doch da es uns Allen 
vortrefflich mundete, kaufte meine Freundin alltäglich das aus- x 
erlesenste für einen Spottpreis. Bei meinem verbliebenen 
Wasserekel wurde dies Obst meine einzige Zuflucht. 
Eines Morgens, um 4 Uhr, erweckte mich ein flammen 
der, zuckender Schmerz, der urplötzlich Alles im Leibe zu zer 
reißen schien. Ich warf meinen Pelzmantel über, sah Licht 
bei den Nachbarn, klingelte zum Todtenerwecken, weil es mit 
Todesangst geschah, und rasch trat durch meine geöffnete Dop 
pelthüre Frau Schuhmacherin mit Faß und gefülltem Kruge 
herein. Mit Hast winkte ich sie hinaus, das Gesicht in die 
Betten verbergend. Sie zündete Licht an und ging. Die 
Ueberwindung hatte mir Angstschweiß gekostet, denn ich hätte 
schreien, ja brüllen mögen vor Schmerz. 
Jetzt.sprang ich mit gleichen Beinen aus dem Bette, 
eilte mit zitternden Knieen zur Thüre, riegelte beide zu, goß 
mir Wasser in den Mund, so viel ich schlotternd zu schlucken 
vermochte, und den vollen Krug dann, mich in's Faß stellend, 
mir über den ganzen Körper, was ich bereits nur mit letzter 
Kraftanstrengung zu thun vermochte. 
Man hat zum Glück in Berlin, in oder neben der Kam 
mer, stets Nachtstühle bereit. Die furchtbarsten Krisen began 
nen sogleich: Erbrechen, Diarhoe in ungewohnten Graden, 
mit Schmerzen, gleich inneren Zerreißungen, gepaart; dann 
stürzte ich hin und verlor mein Bewußtsein so schnell, daß ich 
mich später nicht besann, wie ich mich auf den Dielen, wenig 
stens noch zur Hälfte, mit dem Mantel bedeckt hatte. 
Endlich erwachte ich und fand noch Alles in halber 
Dämmerung um mich. Mit höchster Anstrengung vermochte 
ich kaum, mir die nöthigste Bekleidung überzuwerfen, und erst 
nach vielen Versuchen erlangte ich es, gestützt auf einen nahen 
Stuhl, mich zu erheben, um mich an Möbeln und Wänden 
hinweg bis zu der Thüre hin zu bewegen, denn ich hatte 
mich nach und nach besonnen, daß ich sie verriegelt.
	        
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