Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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von Knötchen (tuberculosa) an und wird deshalb auch Tuberkel 
masse genannt, der ganze Krankheitsproeeß daher auch — Lungen 
tuberkulose. 
Die Knötchen- oder Tröpfchenform dieser Masse, sowie der Um 
stand, daß diese Krankheit besonders bei Armen und Wüstlingen häufig 
vorkommt, läßt die Tuberkeln poetisch als „Thränen der Armuth 
und Reue, nach innen geweint" bezeichnen. Nicht selten findet 
fich aber die Tuberkelmasse auch gleichförmig (nicht knotig) in das Lun 
gengewebe eingestopft, so daß alle Luft aus diesem verdrängt ist. Wohl 
stets geschieht die Ablagerung dieser Masse bei vermehrtem Blutzu- 
flusse zu dem ergriffenen Lungenstücke, weshalb dabei nicht selten auch 
kleine, mit Blut überfüllte Gefäßchen zerreißen und so Blutspucken ver 
anlaßt wird. Hat die Tuberkelmasse einige'Zeit bestanden, so erleidet 
sie eine Veränderung nach doppelter Richtung hin: nämlich sie trock 
net entweder ein und wird ganz hart, oder sie erweicht sich und zer 
fließt allmälig zu einer dicken, rahmähnlichen Flüssigkeit (Tuberkeleiter), 
welche durch Zutritt von Luft in Fäulniß versetzt und dadurch (zur 
Tuberkeljauche geworden) sehr ätzend werden kann. Im ersteren Falle 
bleiben die eingetrockneten harten Tuberkelknötchen, die man bei sehr 
vielen, scheinbar ganz gesunden Personen in den Lungenspitzen antrifft, 
zeitlebens und ohne Beschwerden zu veranlassen, zurück - Im letzteren 
Falle wird durch die zerflossene Tuberkelmasse das umliegende Lun 
gengewebe für immer zerstört (zerweicht, zerfressen) und es bildet sich 
eine oder eine Anzahl von Höhlen, deren Inhalt (die zerflossene Tu- 
berkelmasse und das zerstörte Lungengewebe) entweder durch Husten 
ausgeworfen wird oder allmälig zu einer kalkigen Masse eintrocknet. 
Dieser Zerstörungsproceß, dem man den Namen der tuberkulösen 
Lungenschwindsucht gegeben hat, greift nun aber nicht etwa un 
aufhaltsam um sich, ruinirt so nach und nach die ganze Lunge und 
führt unrettbar zum Tode, sondern es wird ihm stets von der Natur 
(niemals vom Arzte!) eine harte, unzerstörbare Grenze gesetzt, 
welche das kranke Lungenstück von dem gesunden scheidet. Mit dieser 
Schwindsucht und dem noch gesunden größeren oder kleineren Lungen 
reste läßt es sich nun bei vernünftiger Lebensweise r'echt gut und auch 
lange leben, selbst wenn dabei durch Husten noch längere Zeit zerstör 
tes Lungengewehe und zerflossene Tuberkelmasse ausgeworfen wird. 
Man ängstige und kurire sich also wegen hartnäckigen Hustens, Aus 
wurfs, zeitweiligen Blutspuckens und überhaupt über das^Wort Lun 
genschwindsucht nicht so unnützer Weise zu Schande, wie dies jetzt gar 
oft geschieht. Nicht der Zustand, welcher in schwindsüchtigen Lungen 
schon vorhanden ist, braucht gefürchtet zu werden, sondern der, 
welcher später hinzutreten kann, nämlich: eine neue Ab 
lagerung von Tuberkelmasse. Sie muß verhindert oder weit 
hinausgeschoben werden, weil durch diese das Leben in Gefahr geräth. 
Wie die Tuberkelmasse in den Lungen abgesetzt wird, davon 
hängt der Verlaus und die Gefahr bei der Lungentuberkulose ab. 
In seltenern Fällen werden beide Lungen von oben bis unten wie 
mit einem Schlage von unzähligen, sehr kleinen Tuberkelkörnchen durch 
sät (d i. die acute Lungentuberkulose), mnd dabei wird der 
Tod in wenigen Tagen herbeigeführt. Diese Krankheit gleicht dem 
Nervenfieber so sehr, daß sie in der Regel für ein solches 
gehalten wird. 
In anderen, schon etwas häufigeren, glücklicherweise aber noch 
nicht sehr häufigen Fällen geschieht die Ablagerung der Tuberkelmasse 
in kleinen Unterbrechungen oder ununterbrochen, aber nur allmälig um 
sich greifend, fort und fort, so daß in einigen Monaten oder weni 
gen Jahren, vom deutlichen Beginne der Krankheit an, der größte 
Theil der Lungen erkrankt und zerstört ist. Diese Lungenschwindsucht 
pflegt der Laie die galoppirende zu nennen. Sie beginnt als 
schlichter Lungenkatarrh und führt gewöhnlich unaufhaltsam unter- 
fortwährend wachsendem Bleicher- und Magerwerden des Kranken bei 
Husten, Blutspucken, .Auswurf, Fieber zum Tode In den allermeisten 
Fällen nimmt nun aber die Lungenschwindsucht einen weit günstigeren 
Verlauf und läßt den Patienten ein ziemlich hohes Alter erreichen, 
wenn er nämlich seine Lebensweise darnach einrichtet, und das ist die 
chronische Lungenschwindsucht. Hier sind die Anfälle von Ab 
lagerung des Krankheitsproductes durch lange Zwischenräume, deren 
Dauer viele Jabre und selbst Jahrzehende betragen kann, von einander 
getrennt. Während dieser freien Zwischenräume kann sich der Kranke, 
trotzdem daß in seinen Lungen die Schwindsucht Haust, 
doch scheinbar ganz wohl befinden oder nur geringe Beschwerden haben, 
aber freilich auch durch Kurzathmigkeir, Husten und Auswurf belästigt 
werden. In manchen Fällen geht die Lungentuberkulose, nachdem sie 
eine, oder einige Ablagerungen gemacht hatte, vollständig ein und der 
Kranke kann als geheilt betrachtet werden, wenn auch das er 
krankte Lungenstück verloren (verhärtet oder zerfressen) 
ist! Weit häufiger kommt es aber vor, daß sich während einer neuen 
Ablagerung, die jedoch erst im späteren Alter stattzufinden braucht (?), 
der Tod einfindet. 
Das diätetische Verhalten bei Verdacht auf Lun 
gentuberkulose (denn von einer Behandlung mit Arznei 
mitteln, welche etwa der im Gange befindlichen Abla 
gerung von Tuberkelmasse Einhalt thun oder eine neue 
Ablagerung sicher verhüten könnten, davon ist zur Zeit 
keine Rede,"wbschon in den me«dici nischen Büchern Hun - 
derte von Mitteln, die bei der Lungenschwindsucht gnte 
Dienste thun sollen, aufgezählt werden!) verlangt: ruhiges 
und tiefes Athmen einer stets reinen und warmen Lust, 
Vermeidung von Blutanhäufung in der Lunge, körper 
liche und geschlechtliche, geistige und gemüthliche Ruhe 
(Schlaf), nahrhafte (besonders thierische [?!]) Kost 
mit der gehörigen Menge von Wasser, Fett und Salz. 
Die einzuathmende Luft anlangend, so muß dieselbe stets rein (d. i. 
frei von Staub, Rauchtabaksqualm, schädlichen Gasen) und warm 
sein (am liebsten von -j-12—16 0 ) und dies ebensowohl bei Nacht 
wie bei Tage. Vorzüglich schädlich ist der schnelle Wechsel zwischen 
warmer und kalter Lnfts die Wohnung, besonders das Schlafzimmer, 
sei trocken, sonnig und stets wohl gelüftet. Der längere Aufenthalt 
im Freien, warmer und reiner, besonders Waldluft, ist von großem 
Vortheil. Während der kälteren, rauheren und stürmischen Jahreszeit 
thut der Kranke am besten, ganz in der gleichförmigen Temperatur 
von -fl 14—16 0 R. des Zimmers (in welchem grüne Pflanzen aufge 
stellt sind) zu verbleiben oder beim Ausgehen sich stets des Respira 
tors *) zu bedienen. Es ist ganz verkehrt, weil schädlich, wenn Brust 
kranke bei Milch- oder Molkenkuren, sowie in Bädern, ganz in der 
Frühe die kalte Morgenluft einathmen, anstatt so lange im Bette (oder 
Zimmer) zu bleiben, bis die Luft gehörig erwärmt ist. Wer es kann, 
der siedele, aber so zeitig und so lange als möglich, in ein mildes, 
südliches Klima über, wo bei Tag und Nacht die Luft gleichmäßig 
warm ist, nur darf er dort kein Heimweh bekommen, wenn er gesun 
den will. Das Beengen der Lungen durch Zusammen 
pressendes B r u st k a st e n s (durch Kleidungsstücke, anhaltendes 
Sitzen mit gebeugtem Oberkörper) ist zu vermeiden und gegentheils 
die Ausdehnung des B r u st k a st e n s anzustreben, was durch 
passende Turnübungen, lautes Vorlesen und bergt Athmungsübungen 
zu bewerkstelligen. Der widernatürlichen Anhäufung von Blut 
in den Lungengefäßen läßt sich dadurch entgehen, daß man 
Alles sorgfältig vermeidet, was Herzklopfen und sehr beschleunigtes 
Athmen macbt, daß man sich von erhitzenden Anstrengungen und ka- 
tarrherzeugeuden Erkältungen (besonders der Füße und des Rückens) 
durch Flanell und Wolle schützt und daß man stärkere Erschütterungen 
des Brustkastens zu verhüten sucht. In Betreff der Ruhe ist zu er 
wähnen, daß jedes körperliche und geistige Thätigsein von Brustkran- 
nur ganz mäßig geschehen muß und daß Excesse in dieser, sowie in 
gemüthlicher und geschlechtlicher Hinsicht großen Nachtheil bringen. 
Thierische Nahrung, aber mit ziemlichem Fett- und 
Salzgehalte, scheint am meisten zuzusagen, obenan steht natürlich 
die Milch. Von Getränken einschlage man sich aller, welche 
Herzklopfen und Hitze erzeugen. Fängt ein Brustkranker wie 
der an, fleischiger zu werden und wohler auszusehen, dann kann er 
zwar an allmäliges Abhärten seines Körpers (durch kalte Bäder, Tur 
nen, leichtere Kleidung) denken, darf dies aber doch immer nur mäßig 
treiben**). 
*) Anmerkung. Dieses von dem Engländer Jeffrey erfun 
dene Jnstrnment besteht bekanntlich aus einem, außen mit dünnem 
Zeuge überkleideten, Gitterwerke, welches aus einer größeren oder ge 
ringeren Anzahl von hintereinander liegenden Tafeln feiner Metall- 
säd'chen gebildet ist. Die aus der Lunge durch dieses Gitterwerk strö 
mende warme Luft erwärmt dieses sehr schnell und erzeugt so zwischen 
den Fädchen eine feuchtwarme Atmosphäre vor dem Munde, durch 
welche die von außen eingezogene kalte Luft bedeutend erwärmt wird. 
Nachbemerkung der Redaction. Wer aber die an 
und für sich ganz verwerfliche Gewohnheit des M u n d - A t h e m h o - 
lens ablegt und hübsch, wie es die Natur haben will, durch die 
Nase athmet, der braucht keinen Respirator und erspart sich damit 
Ausgaben und die Anwendung eines in seinem Erfolge sehr precären 
Mittels; die Nasenschleimhaut und die des Rachens sind natürliche und 
viel wirksamere Respiratoren. 
•'*) Anmerkung. Es scheint mir nicht überflüssig, hier die Be 
merkung zu machen, daß man wohl unterscheiden möge zwischen Bock's 
„diätetischem Verhalten" und Kadner's „diäteti 
scher Knr". Diesem Letzteren gebührt die Anerkennung, daß er
	        
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