Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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ist das Geheimniß des fragt. Allopathen. In Folge meiner 
Beistimmung begab sich P. Freitags mit Tagesanbruch nach 
W. behufs der Herbeiholung des besagten Arztes. Indessen 
unterblieb an diesem Morgen die Wickelung mit der Kranken, 
weil zu erwarten stand, daß der Arzt, wenn angelangt, so 
fort seine Manipulation beginnen werde. Gegen 9 Uhr Vor 
mittags kam jedoch P. von seinem Ausfluge allein zurück, 
berichtend, der Allopath habe bemerkt, daß seine Manipulation 
mittelst des Apparats nur Wirkung auf mit Lungenent 
zündungen, Magenkatarrh und mit Aehnlichem behaftete 
Kranke ausübe, im vorliegenden*) aber nutzlos sei, wo nicht 
schädlich angewendet werden würde, und nur noch die Mol 
kenkur, welche die B.'schen Allopathen gerathen hatten, von 
Nutzen sein könne. Bezüglich der naturärztlichen Behandlung 
sprach er sich abrathend und geringschätzend aus. P. muth- 
maßtc, weil ich die Wickelung diesen Morgen unterlassen hatte, 
— ich sei über sein Schwanken rücksichtlich der Behandlung 
seiner Frau in naturärztlicher Richtung ungehalten und da ich 
ihm überdies zu verstehen gab, daß ein derlei unconsequentes 
Benehmen Störungen hervorbringen und wenigstens jedenfalls 
der Kur hinderlich sein müßte, auch ihm vorhielt, daß die 
naturärztliche Behandlung der Patientin, obwohl von äuße 
ren störenden Einflüssen oft genug beirrt, doch weit mehr, 
als die mehrmonatliche medicinische, der Kranken zuträglicher 
gewesen sei, — so suchte er mich zu besänftigen und gestand 
zu, daß die Erstere in Kurzem bereits die meisten Krankheits 
Symptome aufgehoben habe. Es wurde also sogleich das 
naturärztliche Verfahren wieder aufgenommen. Da jedoch wie 
der Verhärtungen des Stuhlganges vorbanden waren, ja 
derselbe einmal ganz ausblieb, so verordnete ich ihr einige 
tägliche Kaltwasser- Klystiere, vor und nach stattgefun 
denen Oefsnungen. Die hierdurch entstehende Inanspruch 
nahme der Hebamme war aber mit steten Unkosten verbun 
den, und so vermochte ich meinen Freund endlich, eine Kly 
stierspritze zu kaufen. Meine Tochter, von mir theoretisch be 
lehrt, wandte nun die Klystiere bei der Kranken praktisch an, 
und so wurde hinwiederum dann P. belehrt von seiner Frau. 
Bis zum Sonntag Nachmittag wurde die begonnene Kur 
fortgesetzt, bestehend in der kurzen Wickelung Morgens, dem 
Rumpfumschlag über Nacht, in Klystieren und der vorgeschriebenen 
Diät; letztere wurde indeß wohl in der Hauptsache, leider aber 
nicht ganz im Einzelnen, wie ich nachher erfuhr, gehörig aus 
geführt, und ebenso wenig genügend waren oft die Klystiere. 
Da die Kranke erklärte, daß ihr die Wickelungen des Mor 
gens viel Erleichterung der Brustbeschwernisse verschafft hät 
ten, so empfahl ich also vom frag!. Nachmittag an diese Wik- 
kelung auch für jeden Nachmittag. Diese Anordnung hatte 
während der nächsten Woche augenscheinlich gute Wirkungen; 
das begränzte und abwechselnde Roth der Wangen verschwand, 
der Husten nahm etwas ab, die Füße wurden nicht mehr 
kalt, ein Fieberfrösteln hatte sich überhaupt durch die ganze 
Kur hindurch nicht mehr eingestellt, und auch in den Brust- 
beschwernissen traten noch mehr Erleichterungen ein, jedoch 
kamen auch Verhärtungen des Stuhlganges, mehrmals etwas 
gesteigerte Hitze, bisweilen Nachmittags ein stärkerer Husten, 
wie auch etwas Kopfweh, als Folgen offenbar von ungenü 
gend gereichtem Klystiere, fehlerhafter Diät und öfter wohl 
auch von zu langem Verweilen in der Wickelung vor; meine 
Predigten dagegen wurden nicht genug beherzigt — und somit 
®) Er nahm nämlich schon lungenauflösende Krankheit und mehr 
oder weniger galloppirende Schwindsucht an. 
auch die bemerkten Uebelstände nicht ganz behoben. Im Gan 
zen genommen hatte aber doch die Krankheit sehr merkbar 
einen Rücker zum Besieren bekommen — was auch P. nebst 
der Frau selbst zugestand, und wodurch bei beiden die Zu 
versicht auf fortschreitende und bleibende Besserung stieg. Der 
nächste Sonntag war schön und warm, mithin stimmte ich 
bei, als mich beide (sie und ihr Mann) angingen, einen klei 
nen Spaziergang zu versuchen. Wir ergingen uns blos auf 
der Ebene und auf einer ganz kurzen Entfernung vom Hause. 
Zurückgelangt, ermahnte ich sie, sich damit heute zu begnü 
gen; indessen erfuhr ich des darauffolgenden Tages, daß 
Beide gleich nach dem gestrigen Spaziergange sich noch zu der 
ziemlich entfernt wohnenden Großmutter der Frau P. begeben 
hatten. Dienstag machten sie wieder einen Spaziergang auf 
den ziemlich entlegenen Bahnhof der hiesigen Eisenbahnstation, 
und in kurzer Zeit darauf ging Frau P. zu ihrer auch ziem 
lich weit entfernt wohnenden Mutter, die sie hatte rufen las 
sen. Hierauf stellte sich der Husten Mittwoch wieder stärker 
ein, wie auch die innerliche Hitze. Denn gewiß hatte auch 
die Lantippe von Mutter wieder gegen die naturärztliche Be 
handlung geeifert, der Kranken Furcht eingejagt und sie da 
durch aufgeregt. Ich bat, jede solche Aufregung zu meiden, 
sowie zu lang andauernde Fußgänge einzustellen, und verord 
nete neuerliche Rumpfumschläge, welche in der letzten Zeit 
ausgesetzt worden waren. Donnerstag theilte mir die Patien 
tin mit, sie habe meinen Rath bezüglich des Rumpfumschlages 
befolgt und es sei ihr merklich wieder besser, die Wickelung 
habe sie aber in der Frühe unterlassen, weil sie zur Beichte 
gewesen sei. Noch an selbem Nachmittag kam ihre Mutter, 
trotz des Verbots, in's Haus, noch dazu benebelt, und bear 
beitete die Kranke in ihrem trunkenen Wahnsinn in der pöbel 
haftesten Weise, ihr zu verstehen gebend, — es wäre Alles 
umsonst, denn sie habe die Lungensucht und werde jedenfalls 
sterben; die naturärztliche Behandlung wäre nur eine unnütze 
Geldjägerei. Und doch hatte die Kranke bei und für die Be 
handlung, welche ich mit meiner Tochter in die Hand genom 
men hatte — abgesehen etwa von dem, was P., um solche 
durchzuführen, anschaffen mußte — keinen Kreuzer auszuge 
ben ; denn ich und meine Tochter thaten es aus Freundschaft, 
Humanität und in der Absicht, der neueren physiatrischen 
Heilmethode hier Eingang zu verschaffen. Sogar meine Toch 
ter, die gerade zu Besuch da war, mußte einige Stiche und 
Spottreden hinunterschlucken; denn konnte sie sich mit einer 
Trunkenen in einen Streit einlassen? Daß sie es nicht that, 
war wohl das Beste; denn als die Betrunkene sah, daß man 
ihr keine Audienz ertheile, begab sie sich zur Hauswirthin, der 
früher bemerkten Hebamme. Was dort abgekartet worden 
war. zumal die Hebamme herausspionirt haben mochte, daß 
ihr Erwerbszweig durch mein Anrathen des Ankaufs einer 
Klystierspritze eine Einbuße erlitten, kann man sich denken. 
Als ich Freitag Morgen die Patientin um die Zeit der ersten 
Wickelung besuchen wollte, siehe! da war sie wieder ausge 
flogen, ohne in der Wickelung gedünstet zu haben, und zwar 
wieder in die Kirche zur Messe. 
Nachmittags vernahm ich, daß es unwiderruflich von 
P. beschlossen sei, nächster Tage mit dem Frühesten in's nie 
drige Gebirge, 6 Meilen von hier, abzufahren, um da im 
Orte D. die Molkenkur zu genießen. Auf meine gründliche 
Beleuchtung dessen, daß die Besserung der Kranken noch nicht 
so weit vorgeschritten, um in der kühlen, eigentlich noch ziem 
lich kalten, Witterung eine Reise von 6 Meilen zu unterneh 
men, die Molke noch nicht gut sein könne, daß die Patientin 
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