Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

280 
Die diätetische Behandlung sonst besteht natürlich in den 
Schroth'schen Kurformen, wie: ganze oder ^feuchte Ein 
wickelungen auf die Dauer von 6—8 Stunden oder die ganze Nacht 
hindurch mit darauffolgender trockener Abreibung; ferner ein be 
kannter Flüssigkeitsentziehungsturnus mit Pausen, welcher aber nun 
hier eine Modification erfährt, indem Kadner von der Schroth'schen 
Regel der vegetabilischen Ernährung während derselben ab 
weicht und nach Vorgang des Dr. Brehmer in Görbersdorf fette 
Fleischkost und starken Rhein- und Ungarwein verabreicht. 
(Fortsetzung folgt.) 
Die Naturheilkunde im Kampf mit Vorurtheil, 
Irrthum, Aberglauben und Trägheit. 
An die Redaction. 
Vom 24. April ds. Js. an habe ich, gemäß Ihrer Be 
rathung vom 9. desselben Monats, die Frau meines Freundes 
P.*) naturärztlich zu behandeln angefangen. Im Anfange war. 
wie das Sprüchwort sagt, „der Himmel voller Geigen"; die 
gründliche, bündige und ausführlich von Ihnen uns mitge 
theilte Behandlungsart der Kranken gefiel meinem Freunde 
ausnehmend. Auch dessen Frau ergab sich der Nothwendig 
keit, jedoch noch mit etwas Aengstlichkeit. Meine Tochter ver 
richtete die nöthige Handreichung, Wickelung und Abreibung. 
Während dieser ersten Operation erschien die Großmutter der 
Patientin und warf die Aeußerung hin, daß der Freitag ein 
Unglückstag, somit jedes Beginnen eines Geschäfts u. s. w. 
an solchem Tage unheilvoll sei. Wiewohl ich darauf ge 
faßt war, daß meinem Handeln von mehreren Seiten her 
störend entgegengetreten werden würde, so war diese Aeuße 
rung doch geeignet, namentlich wenn mehrere dergleichen in 
abrathender Art folgen würden, mich für den Erfolg dessel 
ben besorgt zu machen. Die begonnene Manipulation, welche 
das Dienstmädchen bei der Kranken, als von meiner Tochter 
hierzu unterrichtet, fortsetzte, hatte in Verbindung mit 
der vorgeschriebenen Diät bis zum dritten Tage die Wirkung, 
daß die Patientin nicht mehr schwitzte, auch keine kalten Füße 
mehr hatte, und daß auf den Gebilden des Angesichts und 
sonstiger Körpertheile die Abnahme der Entzündungsshmptome 
äußerlich zu entnehmen waren. Am vierten Tage erschien 
wieder in der Frühe die gedachte Großmutter, während die 
Frau meines Freundes in der Wickelung lag, und beschwor 
dieselbe, diese „Thierkur" — womit sie meine naturärztliche Be 
siegen und sitzen läßt. Als Kurkost giebt er: Morgens starker Kaffee 
mit geschrotenem Roggenbrode und viel Butter, Mittags fettes Fleisch 
oder Braten mit Salat und Compot, Abends wieder warme Speisen; 
zum Getränk starken Wein. Da in der Tuberkulose die Muskulatur 
und der Fettgehalt derselben trotz aller ernährenden Mittel schwindet 
und nur allein das Herz sich durch großen Fettreichthum auszeichnet, 
so glaubt Dr. Brehmer durch Verabreichung von viel guter Gebirgs- 
butter und fettem, gedünstetem Fleische einen Ersatz zu geben und da 
mit dieses übergehen und verwerthet werden könne, verordnet er Salat 
pud starken Wein, von der Ansicht ausgehend, daß in der Tuberku 
lose dem Magen dasjenige fehle, was' die genossenen Speisen che 
misch zersetzen oder zur Ernährung, zum Uebergange in dem aufsan-- 
gendcn Gesäße geeignet mache. Wegen des Fettgehaltes inr Magen 
wurde der Essig des Salates und der Wein die MagenhLute nicht so 
gleich berühren und demnach eine Erregung der Magennerven nicht so 
leicht vorkommen. 
*) An acutem, in's Chronische übergehenden Lunaencatarrh leidend. 
Handlung zu bezeichnen beliebte —, ja sogleich aufzugeben, und 
ohne Aufschub sich aus die Reise in's Gebirge zu begeben; 
denn nach Aussage der beiden Allopathen, welche die Patientin 
früher behandelten, habe sie die Lun gen sucht und könne nur 
noch durch die Molkenkur gerettet werden. Bald darauf nahm 
ich wahr, daß der Zustand der Frau sich verschlimmerte, 
namentlich daß selbe stark aufgeregt war; auch wurde mir 
gesagt, sie habe sich erbrochen, stärker gehustet und sei den 
Abend zuvor äußerst stark in der Hitze gelegen. Ich machte 
meinen Freund auf dies, wie auch auf die einfältigen Reden 
der Großmutter und darauf, welchen nachtheiligen Einfluß 
dieselben auf die Gemüthsruhe der Kranken und hiermit auf 
den Verlauf der Krankheit haben müßten, aufmerksam. Die 
ser, alsbald meine Meinung recht auffassend, bewog die sonst 
und irach ihrer urväterlichen Ansicht es nicht übel meinende 
Alte, beleidigt durch seine etwas derbe Zurechtweisung, das 
Haus zu verlassen, um es nicht wieder betreten zu wollen. 
Als hierauf P. sich auf einen Augenblick entfernte, gestand 
mir die noch in der Wickelung Liegende, daß schon gestern 
Nachmittags ihre eigene Mutter sie in gleicher Art, wie die 
Großmutter, bestürmt und ihr in der ungalantesten Weise 
zu verstehen gegeben habe, daß sie dem Tode nicht entgehen 
werde. Das Räthsel, warum die Kranke sich übler fühlte, 
war nun umsomehr gelöst, da mir dieselbe auch nicht ver 
hehlte, sie sei am gestrigen Tage mit ihrem Manne spazieren 
gegangen, und zwar verhältnißmäßig weit, ca. eine halbe 
Meile, dabei ziemlich hohe Hügelreihen erklimmend. Obwohl 
von der Leidenden aufgefordert, ihrem Männe die einfältigen 
Reden ihrer Mutter nicht mitzutheilen, schien es mir gerade 
nöthig, es nicht zu unterlassen. P., meine Ansicht der Dinge 
billigend, verbot nun auch der Mutter seiner Frau das Haus, 
insbesondere während des krankhaften Zustandes der Seini- 
gen. Ganz natürlich untersagte auch ich Ausflüge anstren 
gender und aufregender Art, wie den bemerkten, der noch 
überdies zu verfrüht erschien. Nun hatten wir einige Tage, 
nämlich Freitag, Mittwoch und Donnerstag, heilige Ruhe. 
Während dieser Zeit besserte sich der Zustand der Kranken 
wieder etwas mehr, nur traten Verhärtungen des Stuhlgan 
ges ein, und an einem dieser Tage blieb er ganz aus. Es 
wurde demnach mit kaltem Klystiere durch die Hauseigenthü- 
merin, die eine Hebamme ist, nachgeholfen. Donnerstag Abend 
befragte mich P., da es, wie ihm schien, mit der Besserung 
der Gattin nicht so schnell, als er hoffte, von Statten ging, 
ob er nicht aus einem nahe gelegenen Städtchen (W.) einen 
Allopathen, der hier — zu B. — einen an der Lungenentzündung 
darniederliegenden Bürger mittelst eines angeblich elektrischen 
Apparats scheinbar elektrische Luft hatte einathmen lassen, und 
damit diese Krankheit gehoben hatte, zum gleichen Behufe zu 
seiner Frau herbeiholen könnte? Da meine Gegenvorstellungen 
und sogar die seiner Frau (welche die naturärztliche Behand 
lung lieb gewonnen hatte, und sich durch dieselbe in besseren 
Zustand versetzt fühlte) ja selbst trotz ihrer Aeußerung, sie 
habe Furcht vor einer neuerlich anderartigen Behandlung, 
nichts fruchteten, "sy gab ich endlich meine Zustimmung, be 
merkend, daß ja auch die Electricität zu den Naturheilmit 
teln gehöre. Wie ich jedoch nachher erfuhr, war der bespro 
chene Apparat des erwähnten Allopathen keineswegs mit 
elektrischer Luft gefüllt, sondern mit einer medikamentösen 
Flüssigkeit, welche die Eigenschaft besitzen sollte, wenn selbe dem 
Kranken mittelst des gedachten Apparats bei Zudrückung der 
Nasenlöcher eingeflößt wird, alle Verschleimungen im Innern 
zu lösen und abzuführen. Die Bereitung dieses Medicaments
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.