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Die diätetische Behandlung sonst besteht natürlich in den
Schroth'schen Kurformen, wie: ganze oder ^feuchte Ein
wickelungen auf die Dauer von 6—8 Stunden oder die ganze Nacht
hindurch mit darauffolgender trockener Abreibung; ferner ein be
kannter Flüssigkeitsentziehungsturnus mit Pausen, welcher aber nun
hier eine Modification erfährt, indem Kadner von der Schroth'schen
Regel der vegetabilischen Ernährung während derselben ab
weicht und nach Vorgang des Dr. Brehmer in Görbersdorf fette
Fleischkost und starken Rhein- und Ungarwein verabreicht.
(Fortsetzung folgt.)
Die Naturheilkunde im Kampf mit Vorurtheil,
Irrthum, Aberglauben und Trägheit.
An die Redaction.
Vom 24. April ds. Js. an habe ich, gemäß Ihrer Be
rathung vom 9. desselben Monats, die Frau meines Freundes
P.*) naturärztlich zu behandeln angefangen. Im Anfange war.
wie das Sprüchwort sagt, „der Himmel voller Geigen"; die
gründliche, bündige und ausführlich von Ihnen uns mitge
theilte Behandlungsart der Kranken gefiel meinem Freunde
ausnehmend. Auch dessen Frau ergab sich der Nothwendig
keit, jedoch noch mit etwas Aengstlichkeit. Meine Tochter ver
richtete die nöthige Handreichung, Wickelung und Abreibung.
Während dieser ersten Operation erschien die Großmutter der
Patientin und warf die Aeußerung hin, daß der Freitag ein
Unglückstag, somit jedes Beginnen eines Geschäfts u. s. w.
an solchem Tage unheilvoll sei. Wiewohl ich darauf ge
faßt war, daß meinem Handeln von mehreren Seiten her
störend entgegengetreten werden würde, so war diese Aeuße
rung doch geeignet, namentlich wenn mehrere dergleichen in
abrathender Art folgen würden, mich für den Erfolg dessel
ben besorgt zu machen. Die begonnene Manipulation, welche
das Dienstmädchen bei der Kranken, als von meiner Tochter
hierzu unterrichtet, fortsetzte, hatte in Verbindung mit
der vorgeschriebenen Diät bis zum dritten Tage die Wirkung,
daß die Patientin nicht mehr schwitzte, auch keine kalten Füße
mehr hatte, und daß auf den Gebilden des Angesichts und
sonstiger Körpertheile die Abnahme der Entzündungsshmptome
äußerlich zu entnehmen waren. Am vierten Tage erschien
wieder in der Frühe die gedachte Großmutter, während die
Frau meines Freundes in der Wickelung lag, und beschwor
dieselbe, diese „Thierkur" — womit sie meine naturärztliche Be
siegen und sitzen läßt. Als Kurkost giebt er: Morgens starker Kaffee
mit geschrotenem Roggenbrode und viel Butter, Mittags fettes Fleisch
oder Braten mit Salat und Compot, Abends wieder warme Speisen;
zum Getränk starken Wein. Da in der Tuberkulose die Muskulatur
und der Fettgehalt derselben trotz aller ernährenden Mittel schwindet
und nur allein das Herz sich durch großen Fettreichthum auszeichnet,
so glaubt Dr. Brehmer durch Verabreichung von viel guter Gebirgs-
butter und fettem, gedünstetem Fleische einen Ersatz zu geben und da
mit dieses übergehen und verwerthet werden könne, verordnet er Salat
pud starken Wein, von der Ansicht ausgehend, daß in der Tuberku
lose dem Magen dasjenige fehle, was' die genossenen Speisen che
misch zersetzen oder zur Ernährung, zum Uebergange in dem aufsan--
gendcn Gesäße geeignet mache. Wegen des Fettgehaltes inr Magen
wurde der Essig des Salates und der Wein die MagenhLute nicht so
gleich berühren und demnach eine Erregung der Magennerven nicht so
leicht vorkommen.
*) An acutem, in's Chronische übergehenden Lunaencatarrh leidend.
Handlung zu bezeichnen beliebte —, ja sogleich aufzugeben, und
ohne Aufschub sich aus die Reise in's Gebirge zu begeben;
denn nach Aussage der beiden Allopathen, welche die Patientin
früher behandelten, habe sie die Lun gen sucht und könne nur
noch durch die Molkenkur gerettet werden. Bald darauf nahm
ich wahr, daß der Zustand der Frau sich verschlimmerte,
namentlich daß selbe stark aufgeregt war; auch wurde mir
gesagt, sie habe sich erbrochen, stärker gehustet und sei den
Abend zuvor äußerst stark in der Hitze gelegen. Ich machte
meinen Freund auf dies, wie auch auf die einfältigen Reden
der Großmutter und darauf, welchen nachtheiligen Einfluß
dieselben auf die Gemüthsruhe der Kranken und hiermit auf
den Verlauf der Krankheit haben müßten, aufmerksam. Die
ser, alsbald meine Meinung recht auffassend, bewog die sonst
und irach ihrer urväterlichen Ansicht es nicht übel meinende
Alte, beleidigt durch seine etwas derbe Zurechtweisung, das
Haus zu verlassen, um es nicht wieder betreten zu wollen.
Als hierauf P. sich auf einen Augenblick entfernte, gestand
mir die noch in der Wickelung Liegende, daß schon gestern
Nachmittags ihre eigene Mutter sie in gleicher Art, wie die
Großmutter, bestürmt und ihr in der ungalantesten Weise
zu verstehen gegeben habe, daß sie dem Tode nicht entgehen
werde. Das Räthsel, warum die Kranke sich übler fühlte,
war nun umsomehr gelöst, da mir dieselbe auch nicht ver
hehlte, sie sei am gestrigen Tage mit ihrem Manne spazieren
gegangen, und zwar verhältnißmäßig weit, ca. eine halbe
Meile, dabei ziemlich hohe Hügelreihen erklimmend. Obwohl
von der Leidenden aufgefordert, ihrem Männe die einfältigen
Reden ihrer Mutter nicht mitzutheilen, schien es mir gerade
nöthig, es nicht zu unterlassen. P., meine Ansicht der Dinge
billigend, verbot nun auch der Mutter seiner Frau das Haus,
insbesondere während des krankhaften Zustandes der Seini-
gen. Ganz natürlich untersagte auch ich Ausflüge anstren
gender und aufregender Art, wie den bemerkten, der noch
überdies zu verfrüht erschien. Nun hatten wir einige Tage,
nämlich Freitag, Mittwoch und Donnerstag, heilige Ruhe.
Während dieser Zeit besserte sich der Zustand der Kranken
wieder etwas mehr, nur traten Verhärtungen des Stuhlgan
ges ein, und an einem dieser Tage blieb er ganz aus. Es
wurde demnach mit kaltem Klystiere durch die Hauseigenthü-
merin, die eine Hebamme ist, nachgeholfen. Donnerstag Abend
befragte mich P., da es, wie ihm schien, mit der Besserung
der Gattin nicht so schnell, als er hoffte, von Statten ging,
ob er nicht aus einem nahe gelegenen Städtchen (W.) einen
Allopathen, der hier — zu B. — einen an der Lungenentzündung
darniederliegenden Bürger mittelst eines angeblich elektrischen
Apparats scheinbar elektrische Luft hatte einathmen lassen, und
damit diese Krankheit gehoben hatte, zum gleichen Behufe zu
seiner Frau herbeiholen könnte? Da meine Gegenvorstellungen
und sogar die seiner Frau (welche die naturärztliche Behand
lung lieb gewonnen hatte, und sich durch dieselbe in besseren
Zustand versetzt fühlte) ja selbst trotz ihrer Aeußerung, sie
habe Furcht vor einer neuerlich anderartigen Behandlung,
nichts fruchteten, "sy gab ich endlich meine Zustimmung, be
merkend, daß ja auch die Electricität zu den Naturheilmit
teln gehöre. Wie ich jedoch nachher erfuhr, war der bespro
chene Apparat des erwähnten Allopathen keineswegs mit
elektrischer Luft gefüllt, sondern mit einer medikamentösen
Flüssigkeit, welche die Eigenschaft besitzen sollte, wenn selbe dem
Kranken mittelst des gedachten Apparats bei Zudrückung der
Nasenlöcher eingeflößt wird, alle Verschleimungen im Innern
zu lösen und abzuführen. Die Bereitung dieses Medicaments