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der Tuberkelbildung und hat dafür eine Masse Mittel, als Kali, Na
tron, Magnesia, Rhabarber, Spießglanz und Quecksilbermittel, Baryt,
Jod, Belladonna, Fingerhut, Leberthran, Soolbäder re meist verge
bens und zum Schaden in Anwendung gezogen. Mit weit sichererem
Erfolge brauchen wir die diätetische Kur (d. h. die Schroth'sche)
mit ihren bekannten feuchteuGauz- oder Dreiviertels-Wicklungen 6 bis
8 Stunden bei Tage oder die Nacht hindurch, Rumpf- und sonstigen
Umschlägen ohne alle Benässung bei deren Wechsel oder Abnahme;
der eigenthümlichen Kurkost mit Einleitung, strenger alleiniger Sem
melernährung, Pausen mit Gemüse- und Fleischkost und der zeitweisen
Flüssigkeitsentziehung mit darauffolgender Verabreichung von kaltem
und warmen Weine!) und zwar, dem Alter angemessen, mehr oder-
weniger streng. Wir erfüllen dadurch alle obigen Anzeigen, indem vor
Allem die Verdauung verbessert wird, was die Erfüllung der anderen
Anzeigen von selbst im Gefolge hat. Es erzeugt sich bald nach der
ersten Kureinwirkung ein reichlicher Bodensatz im Urine, der nach und
nach die unreinen (?) Stoffe aus der Säftemasse ausführt. Ganz be
sonders interessant sind aber während der Kur die niemals ausbleiben
den pechartigen, zähen, schwarzen Stuhlgänge/'
Bezüglich der Lungentubereulose finde ich in Kad-
ner's nämlicher Schrift Seite 57 ff. Folgendes:
Die scrophulöse Dyskrasie, welche wohl identisch mit der
tuberculösen Ablagerung in den Lungen ist, giebt wohl den
ersten Grund zu diesem pathologischen Processe. Bei beidenKrank
heitsformen, in der Scrofulose und in der Tuberculose,
ist der Eiweißgehalt im Blute vermehrt; es geht dieses aus
den verschiedenen zeitweise auftretenden Eiweißabsonderungen
durch den Urin und aus dem vermehrten Gehalte des Urins
an Harnsäure und oxalsauren Salzen hervor Entweder kann
nun die Ursache zur Vermehrung des Eiweißes im Blute in einer zu
großen Aufnahme von viel Fleisch und vieler nachhalti
ger Nahrungsmittel ihren Grund haben, oder darin, daß eine
Schwäche der Verdauung die Aufnahme der Nahrung verlangsamt,
daß viele ungesunde, schwere Speisen genossen werden, oder daß bei
ungesunder, feuchter Wohnung deprimirende Leidenschaften nach und
nach Geist und Körper schwächen und das vegetative Schaffen im Or
ganismus gänzlich herabdrücken.
Das Krankheitsbild der Lungentuberculose ist ungefähr Fol
gendes: Die Kranken, meist, aus Familien, wo dieselbe heimisch ist,
haben außer den Zeichen allgemeiner Verschleimung und chronischer
Katarrhe meist einen schlanken Bau, feine, zarte Haut, dünne Haare,
meist sehr weiße Zähne, eine umschriebene Rothe der Wangen, ab
stehende Ohren. Der Husten tritt periodisch auf, Anfangs
wohl ohne allen Schmerz, vorzüglich Morg ens undAbends
bemerkbar und dann meist trocken. In späteren Zeiträumen wird
jedoch nach einigen trockenen Hustenanfällen reichlicher schleim aus
geworfen, welcher bald gelblich, dem Eiter ähnlich, bald wieder weiß
lich, oder von schleimiger Beschaffenheit ist. Nach und nach magert
der Kranke sichtbar ab, hektisches Fieber, schwächende Schweiße
und Diarrhoen depotenziren das plastische Leben, und der Tod er
folgt durch tiefes Gesunkensein aller Thätigkeiten oder durch öfters wie
derkehrende Lungenblutungen. Ost geht dieser Proceß sehr rasch, oft
langsam und unbemerkt vor sich, da alle Symptome, welche auf Tu
berculose schließen lassen konnten, selbst bei Anwendung der Ausculta-
tion und Percussion*) so unbeständig, so wenig hervortretend sind,
daß selbst dem tüchtigsten und in den physikalischen Untersuchungen be
wandertsten Arzte die ersten Zeichen der beginnenden Tuberculose lei
der nur zu oft entgehen können.
Bezüglich der diätetischen Behandlung (nämlich der
Schroth'schen) sagt vr. Kadner Folgendes:
Wir können natürlich nur eine mehr allgemeine Therapie ange
ben, da ja eine specielle eine Unmöglichkeit ist; jede Krankheit, jeder
gegebene Fall wird anders sich zeigen und somit anders betrachtet (be
handelt?) werden müssen. Wo Entzündungen drohen oder vor
handen sind, wo heftige Fieber und Congestionen periodisch auf
treten, sind Brustumschläge, die öfters wiederholt werden müssen, bei
Blutungen namentlich Tag und Nacht anwendbar, kalte Klystiere,
*) Anmerkung. Ersteres ist die ärztliche Krankenuntersuchung
mittelst des Stethoskops (Brustspäher) durch Erforschung des Ath-
mungsgeräusches; letzteres, die Percussion, geschieht durch An
klopfen an die Körpertheile, wobei dann die Beschaffenheit der hier
durch erzielten Töne auf die Existenz kranker innerer Zustände schlie
ßen läßt.
wohl auch Einhüllungen des ganzen Körpers. Zur Nahrung diene
vegetabilische Kost und Haferschleim, mit oder ohne Pflanzen
säuren.
Sind jedoch die acuten Erscheinungen vorüber, oder haben wir
Kranke vor uns, wo das Uebel mit Atonie (Erschlaffung) auftritt,
dann werden die bisher so sehr gefürchteten Reiz- und Belebungs
mittel ihre Anwendung finden. Wo nur einigermaßen Naturheil
kraft noch dem Menschen innewohnt, wird dadurch ein glänzender, nie
geahnter Erfolg erzielt. Das vegetative Leben, d. h. die schaffende, die
neubildende Kraft, die Ernährung aufrecht zu erhalten, war immer
das Streben der gebildeten (?) Aerzte; aus die bisher übliche Weise
aber gelang es durchaus nicht; man fürchtete Reizmittel, jeden Luft
zug, jede Austrengung; die Natur unterlag, die Krankheit blieb
Siegerin.
Zu den Heilmitteln, wenn die Individualität des Kranken dazu
Anzeige giebt, gehört: als erstes Morgengetränk das heiße (!), schäu
mende Bier mit Zucker, oder Wafferchocolade, im Laufe des Nach
mittags auch heißer (!) Wein; als Mittagskost gebratenes oder gedünste
tes Fleisch, wo möglich etwas fett, mit gutem Brühgemüse, nament
lich Reis, Sago, jungen Bohnen, Schoten und Möhren, Pastinakwur
zeln, Linsen, Erbsen und weißen Bohnen, Abends heißes (!) Bier, heißer (!)
und kalter Wein, Haferschleim mit Wein und altbackener Semmel,
auch zeitweise Wurzeln und Früchte, wie Radieschen, Rettige, Erdbee
ren mit Wein und ^Zucker, süße Birnen, Heidelbeeren. Es gehört
ferner hierher die consequent durchgeführte Ausdehnung der Brustmus
keln und dadurch die der Lungen selbst, und zwar deshalb, damit diese
zur Aufnahme von Sauerstoff geeigneter werden und ein gesünderer
Stoffwechsel und eine regelmäßigere Ausscheidung möglich wird. Was
so klar vor Augen liegt und zu begreifen ist, wird leider von den Aerz
ten bis auf nur einige übersehen; was, fragen wir, ist bei dieser^bis
jetzt so unheilbaren Krankheit in den Lungen? Tuberkeln*), die
entweder noch roh sind, oder Eiterhöhlen, oder erschlafftes, zusammen
gesunkenes, blutleeres Gewebe der Lungen. Konnte dieser, das Leben
zerstörende Proceß durch die bisher übliche Heilmethode aufgehalten
werden, konnten diese krankhaften Ablagerungen durch (pharmaceutische
Heilmittel ausgeschieden werden?
Der Wein, welcher in der Diätotherapie theils zur Belebung
und Anregung, theils zur Auflösung der abgelagerten Krankheitsstoffe
verordnet wird, hat bei dcr Lungenschwindsucht noch einen besonderen
Werth. Wir sehen, daß bei dieser Krankheit, trotz dem Genusse
von Milch, Molkern?), Fleischbrühe und kräftigem Fleische
die Ernährung zurückgeht und der Kranke an Gewicht ver
liert, eine Thatsache, die sich am allerwenigsten auch durch sogenannte
stärkende Arzneimittel beseitigen läßt. Es mußte also ein anderer Weg
eingeschlagen werden, um das darniederliegende vegetative Leben wie
der emporzurichten, diese Möglichkeit nur davon erwartend, daß die
tuberculösen Ablagerungen ausgestoßen und Neubildung
derselben verhütet würde. Eine Umwandlung, ein neues Le
ben muß erzeiLgt werden, und als einzig (?) dies bewirkendes Hülfs
mittel neben den übrigen Kurmaßregeln hat die Erfahrung den star
ken, kräftigen Wein (feurigen Rheinwein, starken Ungarwein) ge
sunden. Das kräftige, etwas fette Fleisch oder sonstige mehr fette Nah
rungsmittel, welche vorher genossen werden, finden dadurch leichtere
Verdauung und Verwerthung zu Gunsten des Körpers, und bringen
unter Berücksichtigung der betreffenden Kurmaßregeln eine Reaction zu
Stande, die nach und nach die Genesung anbahnt. Hierbei ist kein
Nachtheil durch Congestionen oder Hervorrufung entzündlicher Zustände
zu fürchten; dieselben kommen eben nur so weit zu Stande, als sie zu
dem Heilprocesse nothwendig sind. Die Gabe des Weines beträgt je
nach den Umständen 1—2 Glas, oft auch mehr, eine halbe bis eine
Flasche**).
*) Anmerkung. Unter „Tuberkel" versteht man ein bald grau,
bald gelblich, bald weicher, bald härter in Knötchenform anstretendes,
krankhaftes Product, welches frei von Gefäß- und Faserbildung ist,
bald einzeln zerstreut, bald in größere Massen zusammengeschichtet er
scheint. Man unterscheidet die grauen Tuberkeln, (wohl die mildeste
Form dieser krankhaften Bildung), sodann die gelben und zuletzt die
eiweißstoffigen, die sogenannten Miliartuberkeln, die gefährlichste Form.
Worin das Wesen des Tuberkels von seiner Entstehung an eigentlich
besteht, darüber sind die Acten noch nicht geschlossen, un
sere Pathologen noch nicht im Reinen.
•*)' Anmerkung. Dr Kadner wird hier VaterSchroth abtrün
nig und folgt einem gewissen Dr. Brehmer in Görbersdorf im Rie-
sengebirge, dessen Behandlung „Tuberkulöser" darin besteht, daß er
sie viel in der reinen Gebirgsluft spazieren gehen, auch in der Sonne