Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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nitz die thierische (Blutwärme) in vielen Fällen zu sehr dem 
Patienten entzog, wodurch die Heilung theils verzögert, theils 
sogar unmöglich gemacht wurde. Prießnitz arbeitete fast 
ausschließlich (?) nur darauf hin, Krankheits- und Arzneistoffe 
durch energische Hautreizungen aus den inneren Organen auf 
die Hautoberfläche (Peripherie) zu treiben, während Sch roth 
durch „feuchte Wärme" die Krunkheitsstoffe zu lösen suchte 
und auf den Ausscheidungs-Wegen in Form des Schweißes (?), 
des Auswurfes, des Urins und der Stuhlentleerungen zur 
Ausscheidung brachte und während dieser Periode nur reizlose 
Ernährung ohne Neublutbildung bis zur Reinigung zuließ und 
darum Ruhe bei wenig Bewegung beobachtete, während Prieß 
nitz kräftige Nahrung, außerdem viel Bewegung in frischer Luft 
verordnete. Es ist hieraus wohl erklärlich, daß Beide je nach 
der betreffenden Individualität in den einzelnen Krankheits 
Erscheinungen das Ziel der vollkommenen Heilung erreichten 
und daß beide Naturärzte durch die mitunter an Wunder 
gränzenden Erfolge fanatische Verehrer und Anhänger fanden. 
Die Tausende von Heilresultaten auf dem Gräfenberg (Prießnitz) 
und in Lindewiese (Schroth) lassen sich nicht Wegdisputiren. 
Das extreme Fortsetzen des Prießnitz'schen und 
Schroth'schen Heilverfahrens hatte, wenn auch das betref 
fende Leiden der Patienten beseitigt war, in vielen Fällen 
aus sehr natürlichen Gründen den Nachtheil, daß den soge 
nannten Prießnitzianern die Wärme und den Schrothianern 
die Kälte zuwider, ja sogar nachtheilig war, bis Jeder selbst 
im Verlaufe der Zeit den rechten goldenen Weg der Mittel- 
straße fand und erst dann wirklich gesund war. 
Diese Beobachtung und Erfahrung scheint zunächst den 
Gesundheits-Apostel der „Gartenlaube", Herrn Professor Dr. 
Bock, auf das Princip des Warmverhaltens durch Unterjäck 
chen, Bauchbinden und wollene Strümpfe geführt zu haben. 
— Nach klarem Menschen- Verstände ist aber ein Mensch, 
welcher lebenslänglich zu diesen Bedeckungen und zu solcher 
vorsichtigen Gesundheits-Pflege verurtheilt ist, nicht gesund und 
so übel dran, als jene, welche durch Kurzsichtigkeit gezwun 
gen sind, stets die Brille auf der Nase zu tragen. So 
wie nun aber für Kurzsichtige das Brillentragen unerläßlich 
ist, um zu sehen, so ist auch wohl bei Schwächlichen das 
Recept des Dr. Bock sehr probat, aber fast ebenso alt, 
als die verfehlte menschliche Kultur und Civilisation der 
Menschheit. 
In außerordentlichen Fällen, z. B. bei organischen Lei 
den und insbesondere bei Lungenleidenden, ebenso in sehr vor 
gerückten Jahren, kann das Warmhalten nach Dy. Bock's An 
weisung bestens empfohlen werden, aber als Norm ist diese 
Vorschrift geradezu verwerflich, und sollten Schwache sich nicht 
abhalten lassen, eine vernünftige diätetisch-hydriatische 
Kur öfter zu wiederholen und sich wirklich gesund zu machen. 
Wenn Herr Dr. Bock Seite 105 im Supplement-Band 
vom „gesunden und kranken Menschen" sagt: „Ja er (Dr. 
Bock) wäre selbst Jahre lang ein Abhärtungs-Fanatiker ge 
wesen, der, trotz aller Abhärtung, doch fortwährend schwä 
chere und kränkelte, an bösem Halse, an Husten und Heiser 
keit litt, als er sich aber endlich in die Arme der Verweichlichung 
warf, kerngesund (!?) wurde und sich nun mit seinen lieben 
Jäckchen und wollenen Strümpfen ohne Nachtheil nicht unbe 
deutenden Strapatzen aussetzen könne" —• so ist damit wohl 
nichts bewiesen und am allerwenigsten: daß der Herr Doctor 
ein „gesunder Mensch" ist. 
Man sieht aus dem obigen Redesatze, daß der Herr Doc 
tor Bock einen sehr bescheidenen Begriff von Gesundheit hat, 
indem er sich unter dem Schutze „seiner lieben Jäckchen und 
wollenen Strümpfe" — kerngesund nennt. Er gleicht 
solchen, welche durch Schmierkuren die Krätze äußerlich über 
tünchen. Seinem Exempel aber kann ich gerade das Gegen 
theil von meiner Wenigkeit entgegensetzen. Ich wurde ganz 
nach Ansicht des Herrn Dr. Bock von frühester Jugend her 
angezogen, nämlich nach dem Regime des „Warmverhal 
tens". Obwohl von Geburt aus gesund und von „kern 
gesunden" Eltern, schwächere und kränkelte auch ich immer, 
hätte stets mit Ohren-, Zahn- und Halsschmerz, mit Husten 
und Heiserkeit zu thun, war stets im temperirten Zimmer, 
durfte nur verstohlener Weise frisches Brunnenwasser trinken, 
trug Tag und Nacht „Leibjäckchen" und auch „wollene Strümpfe" 
— aber trotz - alledem und alledem war ich stets leidend, bis ich 
endlich eine „Wasserkur a la Prießnitz" durchmachte und mich 
dadurch der Art abhärtete, daß ich jetzt — 58 Jahre alt — 
weit gesünder und - „abgehärteter" bin, als in meiner 
Leibjäckchen- und Wollen-Strumpf-Zeit. 
Ich bin aber deshalb kein „Fanatiker", wie Herr 
Bock sich bezeichnet, und will durchaus nicht jeden Mann und 
jede Frau dictatorisch bestimmen, gerade mit sich so zu ver 
fahren, als ich es gethan, obwohl die Art und Weise des 
Lebens bei KaltBaden, Kalt-Wassertrinken und bei möglichst viel 
Bewegung weit Vernunft-, also naturgemäßer ist, als die Ein 
puppungs-Methode und die „Warm-Wasser-Kur" von 
Dr. Bock in der „Gartenlaube". 
Herr Dr. Bock mißt auch dem methodischen „heiß-mög 
lichen Wassertrinken" alle Eigenschaften der Wirksamkeit 
bei, welche das frische, lebenbethätigende Quellwasser bei ra 
tionellen Wasser-Kuren bewirkt. «Ich und hundert Andere 
mit mir haben (ich z. B. an mir selbst im Jahre 1849) die 
Cholera mit kaltem Wasser vollkommen, ohne die mindesten 
Nachwehen geheilt, und ich frage nur, was wohlthuender in der 
brennenden Fieberhitze bei Cholerafällen ist: mit frischem Quell 
wasser oder mit heißem (Spül-) Wasser sich den Durst zu 
löschen? — 
Es scheint, Herr 'Professor Dr. Bock beabsichtigt nur 
von seinem Standpunkte aus eine gewisse Originalität errin 
gen zu wollen; indem er aber mit Recht allen „Aberglauben" 
verwirft, streift er mit seinem „heißen Wasser-Trin 
ken" und „Warmwasser-Kuren" selbst hart an die 
Grenze des Aberglaubens. 
Seiko 99 in dem Supplementbande zum „gesunden 
und kranken Menschen" lesen wir unter Anderem Fol 
gendes: 
„Wer soll also heißes Wasser trinken?" 
1) Wer am Magen, besonders am Magenkrampfe und 
überhaupt an langdauernden Magenbeschwerden leidet. 2) 
Wer von Unterleibsleiden (Leberleiden natürlich mit einge 
schlossen), von Verstopfung und Hämorrhoiden heimgesucht ist. — 
3) Wer zu viel Fett und Fleisch auf seinem Leibe in Folge von 
vielem, guten und fetten Essen bei Mangel an Bewegung 
hat; überhaupt die, denen dickflüssiges Blut in den Adern 
rinnt, also auch Solche, die bei sogenannter Vollblütigkeit über 
Kopfschmerz, Schwindel, Ohrensausen und Herzklopfen zu kla 
gen haben.- — 4) Wer ein verunreinigtes Blut auszuwaschen 
(sie) hat, und das kann ebenso bei hitzigen, fieberhaften, wie 
langwierigen, fieberlosen Leiden der Fall sein, wie bei Wech 
selfieber, Typhus > Rheumatismus, Gicht. — 6) Wer irgend 
wo im Harnapparate sich nicht gesund weiß. — 7) Wer den 
bösen Folgen einer Erkältung zuvorkommen will."
	        
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