Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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14 Tage behandelte die Kranke ein Allopath, in seiner Art 
ganz vernünftig; er ordinirte eine ganz kühle Bedeckung, kalte 
Limonade zum Getränk, Anfangs keine Arzneien, und erst die 
letzten zwei Tage während seiner Behandlung zwei kleine Do 
sen Chinin; dabei erlaubte er mir, dem Kinde jeden Abend 
eine Abwaschung von 18grädigem Wasser zu geben. Ich 
hoffte unter diesem vernünftigen Regime die Krankheit bald 
zu besiegen, umsomehr, da das Kind nie klagte und am lieb 
sten Tag und Nacht in einem Halbschlummer lag. Da wurde 
ich von einem Verwandten überredet, zur Homöopathie zu 
greifen, indem, wie er sagte, die Krankheit ja immer schlim 
mer werde, und wir so gut wie nichts dagegen thäten. Und 
nun nahm die Kleine fleißig die weißen Kügelchen ein, aber 
das Fieber blieb immer gleich, zwei Tage mäßig, den dritten 
sehr stark, den vierten viel besser, so daß wir auf gänzliche 
Wendung der Krankheit hofften, um jedoch bald und bitter 
wieder enttäuscht zu werden; denn das Kind wurde täglich 
schwächer, hatte braune, wässerige Stuhlgänge, eigentlich 
Durchfälle, die es nicht mehr fühlte, schlief fast in Einem 
fort und fing endlich an, an Händen und Füßen zu schwel 
len, während das Uriniren ganz aufhörte; auch hatte es im 
mer eine schwarze Blutkruste an den Zähnen und öfteres Na 
senbluten. Als ich nun an einem Morgen der fünften Woche 
tiefbetrübt vor meinem unberührten Frühstück saß, trat mein 
Mann zu mir und sagte: „Du mußt anfangen, Dich gefaßt 
zu machen, Dr. B., C. und D., alle sagen, wir hätten nichts 
mehr zu hoffen; in einigen Tagen müsse das Kind sterben." 
Da war es, als ob Gott selbst im entscheidendsten Augen 
blicke mir die nöthige Energie zum Handeln gegeben hätte, denn 
ich antwortete: „Nein! es darf nicht sterben, eher gehe ich 
durch Feuer und Wasser mit ihm; ich schicke gleich um den 
Hydropath Rikli, und wenn der nicht helfen kann, versuche ich 
noch etwas Anderes; so auf Commando der Aerzte lasse ich 
es nicht sterben. Und gesagt, gethan. Noch den nämlichen 
Vormittag zog Rikli mit seinen angeblich schauerlichen Apparaten, 
als da sind: zweierlei Wannen, grobe Bademäntel, Gießkannen, 
Kotzen und einer monströsen Badedienerin, in meine ziemlich 
eleganten Zimmer ein, zum größten Entsetzen aller Hausge 
nossen, Bekannten und Verwandten. Der Kaufmann im Hause 
versäumte nicht, jedem Vorübergehenden auf das Wichtigste 
zuzuflüstern: „Frau v. B. mordet ihr Kind absichtlich." Die 
wahren Freunde des Hauses baten mich mit Thränen in 
den Augen, ich solle das Kind doch ruhig sterben lassen! 
Doch dem Himmel sei Dank, ich blieb fest bei meinem Ent 
schlüsse. Rikli sagte mir, nach der ersten Operation würde er 
mir mit ziemlicher Gewißheit sagen können, ob wir noch hof 
fen könnten, wenn nämlich die Haut noch Empfänglichkeit 
und das Kind etwas Lebenskraft zeige. Dasselbe wurde nun 
auf einen gepolsterten Schemel in eine Wanne gelegt, ich hielt 
seinen Kopf, und Rikli gab ihm eine Regentraufe von 11 0 
aus zwei Gießkannen von einer ziemlichen Höhe, indem er da 
bei auf einem Stuhle stand. Darauf wurde es in ein trok- 
kenes Tuch gewickelt und ihm zu den Füßen eine Wärmflasche 
gegeben; das Bad hatte es sehr aufgemuntert, und die ganze 
Haut (auch des Gesichtes, da der Kopf mit begossen wurde) 
zeigte eine frische Röthe, was Herr Rikli als ein günstiges 
Zeichen erklärte. Nach einer halben Stunde, wo das Kind 
wieder anfing, die trockene Hitze zu bekommen, wurde es ganz 
in ein nasses Leintuch geschlagen^ in Kotzen gewackelt, und um 
die Füße herum legten wir mehrere Wärmflaschen. Nach die 
ser ersten Einpackung bekam es gleich eine zweite, dann ein 
14grgdiges Halbbad von der Dauer von 10 Minten, was 
das Kind sehr gern nahm. In den Einpackungen hatte es 
meist geschlafen, und nach dem Halbbade aß es mit Lust ein 
wenig eingekochte Suppe. Nach zwei Stunden wurde es wie 
der eingepackt, darauf gleich auf der Kotze abgewaschen, wie 
der beiläufig zwei Stunden trocken gelassen, eingepackt und 
allemal darauf ein Halbbad gegeben; nie wurde es in trocke 
ner Hitze gelassen, und nach deren Eintrittirichtete sich das 
Zeitmaß der Operationen. Den zweiten Tag wurde der 
Stuhlgang häufiger,' aber consistenter, den dritten fing die 
Haut zu schwitzen an und wurde weicher, der Schlaf war 
- natürlicher, und den vierten Tag gaben wir dem Kinde einige 
Bissen Rostboeuf mit trockener Semmel. Die Einpackungen 
gingen dabei Tag und Nacht in der erforderlichen Weise fort, und 
machten später zwei Halbbädern, auch dem Vollbade bis zu 14 0 
und 2 Minuten Dauer, und endlich dem blos einmaligen Früh 
halbbade täglich Platz; nebenbei ein Klystier von 18 o. Diese Ap- 
plicationen bildeten nun die Behandlung durch weitere 3 Wochen; 
das Kind wurde frischer und kräftiger, aß mäßig, aber mit 
Appetit und bekam aus Füßen und Händen einige Karfunkeln 
— nur wollte das ziemlich bedeutende Fieber nicht aufhören, 
und machte uns viel Sorge und viel zu schaffen. Dabei 
bildete sich ein ganz weißer, sehr fester Stuhlgang. Nun ga 
ben wir der Kranken Sitzbäder von 17 Grad und halbstün 
diger Dauer, und täglich zwei Handbrausen, mittelst einer 
Handspritze auf die Lebergegend, bis nach einer Woche dieser 
Behandlung auch die Stuhlgänge normal wurden. In der 
sechsten Woche ließen wir das Kind trotz dem fieberhaften 
Puls, von 117 bis 120 Schlägen in der Minute, aufstehen, 
und siehe da, es konnte — Dank der kräftigenden Wasser 
behandlung —, gleich einige Schritte gehen. Das Fieber ver 
lor sich langsam von selbst, und in der siebenten Woche der 
Kur und der elften seiner Krankheit überhaupt konnte man 
es ganz genesen betrachten. Die Krankheit hinterließ keine 
Nachleiden (außer einer kleinen Taubheit von der Dauer 
dreier Tage), und das Kind ist seit damals gesünder, wie 
früher. So behielten wir unser liebes Kind, mit Hülse Got 
tes! unter unserem Dank aber auch dem wackeren Jünger 
Prießnitz's, Herrn Rikli, und zum Staunen der güten 
Stadt L." 
Hier erlaube ich mir nun, auf die von Dr. Gleich mit 
getheilte Behandlungsweise des Typhus auch meine Anmer 
kungen anzureihen. Im Ganzen bin ich mit Dr. Gleiches 
Darstellung des Typhus und seiner principiellen Behandlung 
vollkommen einverstanden, bis auf den Satz: „Je einfacher 
'und milder bei Durchführung einer Naturheilmethode verfah 
ren wird, je weniger von Seite des Arztes während dessen 
Verlauf geschieht, desto sicherer tritt Genesung ein", den ich 
zu weit gehend, passiv und spectativ, finde. Hiernach müßte 
man dann fast gar keine active Kur oder Eingriffe vorneh 
men, während es doch notorisch ist, daß in häufigen Fällen 
gerade nmr eine solche die Kranken rettet. Nimmt man dabei 
noch auf das Wollen oder vielmehr aus das Nichtwollen, 
nämlich Nichtbadenwollen der Kranken Rücksicht, so würde man 
um so sicherer ein schlechtes oder wenigstens bedeutend ver 
langsamtes Resultat haben. Gerade im Typhus, besonders 
im torpiden (schläfrigen, trägen) Charakter desselben ist es 
charakteristisch, daß, je vorgerückter der Krankheitszustand, je 
ergriffener, herabgekommener der Befallenen ist, desto besser 
geht es ihm, wenn man ihn fragt. Diese Art Kranke be 
haupten meistens, daß es ihnen gut, ja besser geht, wäh 
rend ich überzeugt bin, daß es ihnen schlechter geht; denn 
es ist nicht Verstellung, wenn sie so reden, sondern es ist
	        
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