Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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zen Körper zu waschen und zu reiben, so daß ich mich jeder 
Witterung, ja selbst der Zugluft aussetzen darf, ohne mir 
einen Catarrh oder Rheumatismus zuzuziehen." —- Zuletzt 
verweisen wir noch auf unsere Vorfahren, auf die alten 
Celten und Deutschen. Alle Geschichtschreiber, welche ihre 
Körperstärke und Gesundheit zu sehen und zu bewundern Ge 
legenheit hatten, stimmen darin überein, daß sie diesen Vorzug 
meistens der Mäßigkeit, den Leibesübungen und dem 
täglichen Baden in Flüssen zu verdanken hatten 
Wer wollte nun nach diesen, obgleich nur flüchtigen, An 
führungen noch zweifeln, daß fleißiges Waschen und Baden, 
verbunden mit nachfolgender Frottirung und Bewegung, die 
Hautcultur und somit die Abhärtung wesentlich fördern? Wer 
daher den Wunsch in sich trägt, seinen Körper so zu kräftigen 
und zu stärken, daß irgend welche unvermeidliche feindliche 
Einwirkungen in möglichst hohem Grade von ihm überwunden 
oder doch ertragen werden, der fliehe nicht das Wasser und 
bedenke, daß „im Wasser (wie Hufeland sagt) eine weit höhere 
Kraft liegt, als wir bis jetzt geahnt haben, eine wunder 
bar belebende Kraft." — Aus freiem Triebe und muthig 
mit dem Unangenehmen zum Kampfe schreiten, das ist das 
große Bildungsmittel für Körper und Geist. 
Nachbemerkung der Redaction. 
Dem Inhalt des vorstehenden Artikels uns in der Hauptsache 
vollkommen anschließend, wollen wir aber wiederholt darauf hinweisen, 
daß man immerhin sicherer, gegenüber etwa vorhandenen Nervositäten 
verfährt, nur gradatim zur Benutzung „kalten" Wassers überzugehen, 
die Waschungen des ganzen Körpers also mit ca. 18—20 o R. Wasser 
zu beginnen und allmälig mehr und mehr kühleres Wasser dazu zu 
verwenden. Aber auch auf die unmittelbar auf jede ganze Körperwa 
schung nöthige Bewegung wollen wir, als eonäitio sine qua non des 
Ganz- und Kaltwaschens, wiederholt hingewiesen haben (s. auch unsere 
Nachbemerkung S. 243 des „Naturarztes"). 
Zur Volks-Diätetik. 
Ein neuer Coruaro. 
Von Carl Kiehlmann. 
Es dürfte wohl kaum zu bezweifeln sein, daß in der 
Jetztzeit ein großer Theil der Menschen, besonders jüngere 
Leute, ihren aufkeimenden Naturkrästen nicht nur Hindernisse 
entgegenstellen, sondern sogar öfters dieselben schon frühzeitig 
in solcher Weise zerstören, daß sie, zum größten Theile, nur 
ein frühes Greisenalter und ein ebenso früher Tod erwartet. 
Z. B. wirken der zu frühe und zu häufige Gebrauch des Ta 
baks, der so allgemein gewordene Genuß starker Biere, die in 
ihren Folgen so schreckliche Onanie und dergleichen, nur auf 
das Nachtheiligste auf die Volks-Gesundheit, und der wahre 
Menschenfreund beobachtet dies mit großem Bedauern, mit 
tiefer Besorgniß vor der Zukunft des Individuums, wie der 
Nation. Um so mehr ist daher zu beklagen, daß eine Wis 
senschaft, wie die Naturheilkunde, noch nicht allgemein genug 
bekannt ist und die, ihres wichtigen immateriellen Einflusses 
wegen, ihr gebührende Würdigung zur Zeit noch nicht gefun 
den hat. Denn wenn sie einerseits geeignet sein dürfte, den 
Menschen von vielerlei Krankheiten radical zu heilen, wie 
es schon so viele Fälle aus die eelatanteste Weise darthun, 
so würde sie ihn anderer Seils vor vielen Uebeln bewahren, 
indem sie bemüht ist, auf den naturgemäßewWeg zurückzufüh 
ren. — Aber noch viel zu einzeln werden solche Fälle besannt l 
— Indem ich erwähne, daß besonders Thatsachen zu die 
ser Würdigung beitragen können, gleichviel, ob dieselben jetzt 
oder vor hundert Jahren sich ereigneten, wenn sie nur natur 
getreu berichtet werden, so will ich mir erlauben, hiermit 
einen kleinen Beitrag aus dem Englischen „von einem neueren 
Cornaro" zu liefern. 
Viele mögen wohl schon vom alten Ludwig Cornaro 
gehört haben. Er war bekanntlich ein unordentlich lebender 
Venetianer, welcher erst im Alter von 40 Jahren bemerkte, 
daß er, nach der gewöhnlichen Redensart, zu schnell ge 
lebt, hatte, oder, wie Andere meinen, zu intensiv; daher 
faßte er den Entschluß, fortan ein enthaltsameres Leben zu 
führen, und verminderte die Quantität seiner Nahrung all 
mälig so weit, daß er nur täglich die Hälfte eines Eidotters 
zu sich nahm; bei dieser strengen Enthaltsamkeit erneuerte er 
seine Lebenskräfte so wirksam, daß er das Alter von hundert 
Jahren erreichte. Er starb 1566. — Von einer ähnlichen 
Enthaltsamkeit findet sich ein Fall in den medicinischen Ver 
handlungen des Collegiums der Aerzte von England ver 
zeichnet: 
Thomas Wood, ein Müller in Billericay>, in der Graf 
schaft Essex, hatte die Gewohnheit, dreimal des Tages eine 
ansehnliche Menge Fleisch, welches gewöhnlich sehr fett war, 
und nach diesem noch eine ebenfalls beträchtliche Portion 
Butter, Käse und starkes Weizenbier zu verzehren. 
Während einer langen Zeit empfand er von dieser unmäßigen 
Nahrung keine Unbequemlichkeiten; aber in seinem 44sten 
Jahre wurde sein Schlaf unruhig, und. bei einem beständigen 
Durste fühlte er, neben mehreren anderen üblen Symptomen, 
sich besonders im Geiste niedergedrückt. Eines der bedenklich 
sten dieser Symptome war, daß er ein Gefühl des Erstickens, 
welches sich besonders nach seinen Mahlzeiten einstellte, fühlte, 
— ein Gefühl, das sich bis zum Monat August 1764, 
wo er in sein 45stes Jahr eintrat, immer mehr verschlim 
merte. - — Ein benachbarter Geistlicher (Mr. Powley) gab um 
diese Zeit dem Müller die Lebensbeschreibung von Ludwig 
Cornaro, die er las und die ihn überzeugte; doch wollte er 
die angenommene Lebensweise nur ganz allmälig verlassen, 
und daher begann er die tägliche Quantität des Weizenbieres 
bis zu einer Pint (beiläufig eine hiesige Kanne) zu reduciren 
und auch die Fleischspeisen sparsamer zu genießen. Schon 
dieses hatte eine schnelle Verbesserung seiner Gesundheit zur 
Folge, so zwar, daß, nachdem er diese Diät während zweier 
Monate befolgt hatte, er sich nur eine halbe Pint Bier 
gestattete und Fleisch-Nahrung noch sparsamer zu sich 
nahm. Am 4. Januar 1765 gab er das Biertrinken ganz 
und gar auf, und zwischen dieser Zeit und dem 31. Juli 
1767 entsagte er nach und nach auch jedem Genuß von Fleisch 
speisen, Butter, Käse, und auch jedem anderen Getränk, mit 
der alleinigen Ausnahme dessen, was er in flüssigen Speisen 
zu sich nahm; von dieser Zeit an bestand seine Nahrung 
hauptsächlich aus Pudding, welcher aus See-Biscuit zuberei 
tet wurde. Diese armselige Diät, an welche er sich jetzt ge 
wöhnt hatte, war seinem Gaumen bald so angenehm, als es 
seine frühere reichliche Nahrung npr je gewesen war, und er 
hatte überdies die Genugthuung, nicht nur seine Gesundheit 
hergestellt und seinen Geist munter, sowie seinen Schlaf nicht 
ferner durch schreckliche Träume beunruhigt gu sehen, sondern
	        
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