Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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len — und das heißt in der Hauptsache, wie man Fieber 
und Entzündung in der betr. Individualität angemessener 
Weise zu erzeugen — im Stande sei. 
An diesem Charakter der chronischen Krankheiten sehen wir 
aber auch zugleich, was acute Krankheit ist. Man nennt acut 
denjenigen Zustand, in welchem man ein Fieber oder eine 
Entzündung 'oder Beides bekommt. Mag Jemand an ir 
gend einem Gliede plötzlich eine Schwellung, eine Röthung, 
einen Schmerz haben. — das ist acute Krankheit, mag z. B. 
der Kopf mit bedeutendem Kopfschmerz behaftet sein, mag sich 
das Blut nach dem Kopfe fühlbar andrängen die Schmer 
zen kommen schnell und vergehen schnell, das ist acute Krank 
heit. Oder es wird Jemand auf einmal von einem ganz 
unbestimmten Gefühl der Unbehaglichkeit befallen, es wechselt bald 
Hitze, bald Frost, Traurigkeit bemächtigt sich seiner, - Appetit 
losigkeit, hierzu Mattigkeit der Glieder; man muß sich legen, 
sucht die Ruhe, ohne noch irgend bestimmte Aeußerungen einer 
Krankheit wahrzunehmen, so ist man in Begriff, acut krank 
zu werden. Es ist Fieber oder Entzündung im Eintreten 
begriffen. Sobald sich nun die eine oder andere dieser Erschei 
nungen wahrhaft ergiebt, so ist die sogenannte acute Krank 
heit wirklich da. — Bis zu Schroth und Prießnitz sah 
man das Eintreten einer solchen acuten Krankheit, also z. B. 
eines Nervensiebers, Scharlachfiebers, Gehirnent 
zündung, Brustentzündung, sogenannten gastrischen 
Fiebers, oder irgend eines ähnlichen Zustandes, als das Ein 
treten einer wirklichen Krankheit an, die stets Gefahr brin 
gen müsse, wenn man ihr nicht entgegentrete, und man 
hielt daher das energische Einschreiten gegen dieselbe für stets 
gerechtfertigt. Nun — allerdings können acute Krankhei 
ten, Entzündung und Fieber, lebensgefährlich werden. Aber 
nur dann eigentlich, wenn sie nicht nach den Grundsätzen der 
Naturheilmethode, sondern entweder durch Allopathie oder 
Homöopathie behandelt werden. Die Allopathie thut in der 
Regel zu viel diesen Zuständen gegenüber, die Homöopathie 
zu wenig. Ich will damit durchaus nicht den Herren Col- 
legen, die diesen Heilmethoden anhängen, im Allgemeinen einen 
Vorwurf gemacht haben. Aber es ist eine That- und Erfah 
rungssache, daß sich das so verhält. Wenn man die Heilun 
gen, die seit Entstehung der Naturheilkunde durch Schroth 
und Prießnitz geschehen sind, aufgezeichnet hätte, so würde 
man sehr leicht überall eine statistische Uebersicht gewonnen 
haben, wie sich diese Heilungsverhältnisse beider Richtungen 
der Naturheilmethode, gegenüber den alten Methoden, gestal 
ten. Und man würde zu seinem großen Erstaunen, vielleicht 
auch Entsetzen, wahrgenommen haben, daß das Procent-Ver- 
hältniß ungefähr so ist: Unter hundert acut Kranken, welche 
auf phhsiatrischem oder naturärztlichem Wege behandelt wer 
den, sterben vielleicht 10 höchstens, während mindestens 50 
davon sterben bei einer Behandlung auf 'dem alten Wege. 
Das ist, meine Herren, die Erfahrung, die in Naturheil 
anstalten und wo sonst im Privatleben die Naturheilpraxis 
zur Anwendung kommt, stets gemacht wird, zum Theil 
aber auch schon anderwärts in Versuchen gemacht wor 
den ist: 
Bei Typhus- und Cholera-Kranken in Militär- 
Lazarethen oder großen Krankenhäusern hat sich nämlich ein ganz 
ähnliches Zahlenverhältniß dargelegt, und es wäre nur zu 
verwundern nach solchen Resultaten, warum seit dieser Zeit 
die Naturheilpraxis nicht viel mehr um sich gegriffen hat, als 
es geschehen ist. Die Gründe hiervon aber hier weitläufiger 
zu beleuchten, liegt außer dem Bereiche meines Vortrages; 
sie sind indeß sehr erklärlich in der Stellung zu finden, die 
die Allopathie als herrschende Methode und Heilrichtung noch 
in den höchsten Staatsregionen, in den öffentlichen Spitälern 
und auch an den Stühlen der Wissenschaft (Universitäten) 
einnimmt. 
Die acute Krankheit ist also auf naturärztlichem Wege nie 
eine gefährliche zu nennen; sie ist oder wird es nur dann, wenn 
der betr. Patient, schon ehe die naturärztlichenPrincipien bei ihm 
zur Geltung und Anwendung gelangen, einem arzneilichen oder 
blutlassenden, also allopathischen, Verfahren unterworfen wor 
den ist; ferner auch dann (und diesfalls vermag selbst die 
naturärztliche Behandlung oft nicht mehr zu helfen), wenn der 
Patient von Jugend an gegen alle Regeln einer 
vernünftigen Diät aufgewachsen war. Die civilisa- 
torischen Einflüsse unserer Jetztzeit sind allerdings für den 
Körper so nachtheilig, daß ein jeder Mensch mehr oder weni 
ger krank erscheinen muß. Krankheitsstoffe häufen sich von 
Jugend an in ihm, und es ist offenbar, daß die gütige Na 
tur, die uns schuf, das voraussah und deshalb die Zustände 
der Entzündung und des Fiebers in den verschiedenen For 
men ebenfalls gleich mit geschaffen hat. Denn Sie müssen 
eben in Entzündungs- und in Fieber-Zuständen blos das 
Bestreben der Natur erkennen, den Körper nach und nach 
von seinen Krankheitsstoffen zu reinigen. Sie dürfen daher, 
wenn ein Kind eine dergleichen, zu seiner Befreiung von, in 
ihm aufgehäuften, d. h. von nach und nach sich in ihm sam 
melnden Krankheitsstoffen dienende Entwickelungskran k- 
heit, seien es die Masern, Scharlach, Keuchhusten oder dergl., 
bekommt, nicht erschrecken. Die Krankheit oder der Zustand, 
den Sie so nennen, ist nichts Anderes, als eine Nothwen 
digkeit für das Kind. Ohne diese acuten Krankheiten würde 
das nun einmal den nachteiligen Einflüssen der jetzigen 
Lebensweise ausgesetzte Kind bald entweder in chronische 
Krankheiten oder dem Tode verfallen. — So ist es auch bei 
dem Erwachsenen. -Auch der Erwachsene, der durch die Art 
seines Lebens nach und nach mehr Krankheitsstoff in sich sam 
melt, auch er muß unabweislich bisweilen derartige Zustände 
durchmachen, wenn er sein.köstlichstes Gut, die Gesundheit, 
erhalten will; und wenn es nur ein Schnupfen und Husten, 
aber auch wenn es ein Nervenfieber, eine Brustentzündung, 
ein Wechselfieber oder sonst welche Form acuten Erkrankens 
wäre, — so sind das relativ — d. h. durch unsere jetzige 
Erziehung und Lebensart bedingte — nothwendige Zu 
stände, die man durchwachen muß, um gesund zu bleiben. 
Also gewöhnen Sie sich künftig, soweit als es die heutige 
Anregung schon möglich machte, diese Ihnen bisher als ge 
fahrvoll erscheinenden Zustände: Entzündung und Fieber, nicht 
mehr als gefahrvolle an und für sich anzusehen, son 
dern als blos bedingungsweise gefahrvolle, und las 
sen Sie sich das gesagt sein, daß es der Naturbeilpraxis im 
Ganzen sehr leicht ist, dem Fieber oder der Entzündung den 
Charakter, den Weg und die Richtung zu geben, daß sie 
ihrer eigentlichen Aufgabe, von der Krankheit zu befreien, 
auch wirklich genügen können. 
Wir werden uns übrigens in den nächstfolgenden Vor 
tragsabenden über beide Krankheitsarten, die acuten sowohl, 
als die chronischen, noch öfter und des Näheren unterhalten; 
hinsichtlich der chronischen will ich aber vorläufig bemer 
ken, daß sie um so complicirter sind, je länger sie gedauert 
haben; dann gehören desto mehr Kenntnisse dazu, um einem 
solchen Uebel als sein eigener Arzt entgegentreten zu können. 
Wir werden später darüber weitläufiger sprechen, wenn wir
	        
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