Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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d. i. Anwendung des Thermometers zum Blutmessen, gefunden. 
Ich erlaube mir, kürzlich darauf hinzuweisen, daß das Anfühlen 
des Pulses, um damit ein vorhandenes Fieber zu bestimmen, 
unzuverlässig ist. Es giebt Zustände, wo ein Fieber vorhan 
den zu sein scheint, wo aber ein solches durchaus nicht vor 
handen ist. Umgekehrt giebt es Zustände, welche durchaus 
nicht an ein Fieber erinnern und wo doch ein solches in be 
deutendem Grade vorhanden ist. Viel sicherer verfährt man 
daher mit dem Thermometer. Wenn man es unter die 
Zunge hält oder sonst in eine Höhle oder Vertiefung des 
Körpers einführt (Aster, Scheide, Achselhöhle), so ist man zu 
jeder Zeit ganz sicher, darüber ein richtiges Urtheil zn 
fällen, in welchem Grade ein Fieber vorhanden ist. Die 
Blutwärme hat circa 29^ Grad Reaumur-Thermometer beim 
erwachsenen Menschen, beim Kinde etwas mehr, beim älteren 
Menschen etwas weniger. Sie haben daher das leichteste Mit 
tel zu bestimmen, je nachdem das Thermometer weit über 
das Normal von 29Grad steigt oder nicht, ob ein Fieber 
überhaupt und ob es in hohem Grade vorhanden ist oder 
nicht. Dies im Allgemeinen über Fieber und Entzündung? 
Ueber das, was ich bis jetzt gesagt habe, stimmende 
Aerzte fast aller Heilmethoden überein; aber sehr weichen sie 
nun von einander ab, wenn es sich fragt: Was sollen Fieber 
und Entzündung? oder wozu dienen diese Erscheinungen? 
Bekanntlich nimmt fast die ganze alte Heilmethode (worunter 
man Allopathie und beziehendlich bereits auch Homöo 
pathie versteht) noch heutigen Tages mit wenigen Ausnah 
men an, daß Fieber und Entzündung krankhafte Zustände 
sind, denen man entgegenzutreten habe. Die Natur 
heilkunde aber hat eine ganz andere Ueberzeugung, worauf 
ich weiterhin näher kommen werde. Unter den Vertretern der 
alten Heilkunde sind allerdings auch neuerdings manche, die 
in Fieber und Entzündung nicht an und für sich etwas Ge 
fahrvolles, sondern nur eine Nothwendigkeit desHeil- 
actes sehen. Ich erinnere an die sogenannte physiolo 
gische Schule, die, mehr oder weniger, in Fieber und Ent 
zündung an und für sich durchaus nichts Gefährliches ent 
deckt. Aber auch sie geht nicht recht consequent in der An 
wendung dieser Ansicht vor. Früher gab es einige Aerzte, 
die darüber schon klarere Ansichten hatten; einige Männer, 
wie Hufeland, Boerhave und andere große und berühmte 
Aerzte waren der Ansicht, daß im Fieber doch etwas ande 
res liegen müsse, als die gewöhnlich darin angenommene Ge 
fahr. Ein gewisser Doctor von Reimann sagte sogar z. 
B. bei bleichsüchtigen Zuständen, daß, wenn er nur im Stande 
sei, Fieber zu erzeugen, er auch im Stande sein würde, bleich 
süchtige Zustände zu heben. Er hatte also sehr wohl gefun 
den, daß das Fieber, wenn es sich in solchen. Zuständen ein 
gestellt hatte, eine heilsame Erfahrung gewesen war, welche 
er zu pflegen hatte. Damals war freilich die Macht noch 
ganz und gar unbekannt, wie man Fieber erzeugen und 
herbeischaffen könne, da, wo es nothwendig. Auch ein anderer 
Arzt rief aus: „Gebt mir die Mittel an, Fieber zu 
erzeugen, und ich maße mir an, alle chronische 
Krankheiten bei Euch zu heilen!" In diesen noch sehr 
vereinzelt dastehenden Aeußerungen tüchtiger Aerzte liegt die 
Ahnung, daß das, was man in Fieber und Entzündung 
als gefährlich bekämpfen zu müssen glaubte, künftighin als 
heilend angesehen werden würde. 
Nun es war zwei Männern — aus dem Volke, nicht 
aus den Wissenschafts-Vertretern — vorbehalten, diese große 
Entdeckung zu machen. Diese Männer waren Prießnitz 
und Schroth, beide Obstreicher, beide nahe der Stadt Frei 
waldau in östreichisch Schlesien lebend und wirkend, beide gleich 
genial begabt — so wird wenigstens von beiden nach ihnen 
benannten Haupt-Richtungen der Naturheilmethode angenom 
men, und wär's auch mit mehr oder weniger Recht. Von 
Beiden ist aber trotzdem gewiß, daß sie auf ein Ziel los 
strebten, wenn auch in verschiedenen Weisen. Heute hier auf 
die Verschiedenartigkeit dieser beiden Abzweigungen der Na 
turheilmethode näher einzugehen, liegt außerhalb meines Pla 
nes. Das gedenke ich vielmehr heute über vier Wochen mit 
zu berühren. Nur das erlaube ich mir zu bemerken, daß 
diese beiden genialen Männer, trotz der Verschiedenheit ihrer 
Ansichten in dieser Angelegenheit und trotz der großen Man- 
nichfaltigkeit der Mittel, die sie wählten, um zu ihrem Ziele 
zu gelangen, doch beide in ihren Erfahrungen ganz dasselbe 
Resultat fanden bei der Kur chronischer Krankheiten — 
denn um diese handelt es sich; nämlich sie fanden, daß eine 
chronische Krankheit in der That und für immer nur dann 
zu heilen sei, wenn sie ende mit einer Entzündung 
oder mit einem Fieber. Sie machten in Hunderten von 
Fällen die Bemerkung, daß nur ein Fieber oder eine Entzündung 
den chronischen Charakter völlig aufzuheben und die Gesund 
heit wiederzugeben vermöge. Das war eine außerordentliche 
Entdeckung, die in ihrer Wichtigkeit und der Weittragung ihres 
Wirkens eben so großartig dasteht, als jede der größten Ent 
deckungen, die je gemacht worden sind, nicht geringer, als die 
des Copernikus, daß die Erde sich um die Sonne drehe, nicht 
geringer, als der Sieg der Reformation auf dem kirchlichen 
Gebiete, nicht geringer, als die constitutionellen Wohlthaten 
der Fürsten in ihren Ländern. Es giebt keine größere Ent 
deckung, als die Erfahrung der Männer Prießnitz und Schroth 
auf dem Gebiete der Naturheilkunde, daß Entzündung 
und Fieber Hellerscheinungen sind, durch die eine 
Krankheit hindurchgehen müsse, wenn der Organismus wieder 
zur Gesundheit gelangen solle. 
Der Charakter von Fieber und Entzündung, den ich 
Ihnen hiermit kurz nur angedeutet habe, führt mich noch auf 
die Begriffe von acuter und chronischer Krankheit: Wenn 
Schroth und Prießnitz bei den ihnen zur Behandlung über 
tragenen Krankheitsfällen, welche meist nur chronisch wa 
ren, fanden, daß Fieber und Entzündung nothwendig wä 
ren, um diese (chronischen) Krankheiten zur Heilung zu brin 
gen', so sehen wir schon daraus, was eigentlich acute und 
chronische Krankheiten sind. Ein chronischer Krankheits 
zustand ist der, bei dem Jemand, ohne stets schwer darnieder 
liegen zu müssen, doch immer und ewig fühlt, es sei in sei 
nem Körper nicht so, wie es sein sollte; er ist bald mehr, 
bald weniger leidend, aber Entzündungen oder Fieber treten 
dabei entweder gar nicht oder so schwach und unvollständig 
ein, daß der Körper dadurch nicht geheilt werden kann. Gewöhn 
lich sind diese Zustände an und für sich und vornherein nicht so 
gefährlich. Es kann Jemand jahrelang chronisch leidend 
sein, ohne dem Tode zu verfallen. Aber eher oder später führt 
die chronische Krankheit, wenn sie nicht geheilt werden kann, 
allerdings sicher zum Tode, oft nach unzähligen Ansätzen der 
Körpernatur zur Selbstheilung mittels Entzündung oder Fie 
ber, aber eben in so schwacher, ungenügender Weise, daß eine 
Heilung daraus nicht hervorgehen konnte. Und das ist nun 
eben das große Verdienst, was die genannten beiden Män 
ner, Schroth und Prießnitz, sich erwarben, daß sie den Weg 
entdeckten,' der bis dahin noch nicht aufgefun 
den war, wie man chronische Krankheiten sicher zu hei
	        
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