Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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äußere Haut vollständig erschlafft, jede Ausdünstung derselben 
hatte, wie ich schon so oft beobachtet, durch die Wirkungen 
weißer Pülverchen (Kalomel mit Zucker) aufgehört, die Wärme- 
und Elektricitätsströmungen und auch die Säfte-Circulation 
waren im Stocken, die Augen lagen tief in ihren Höhlen und 
das Kind durfte nur die Augen zumachen, dann war die 
Leiche fertig. Bei der Unruhe des Kindes und mit Rück 
sicht auf den häufigen Durchfall fand ich das Hauptübel (primär) 
in dem abnormen Zustande der Ausscheidungs-Organe und 
ein Nebenübel (seeundär) in der Entzündung des Magens und 
der damit in Verbindung stehenden, die Brust berührenden 
Theile. Um die Hautfunctionen anzuregen, machte ich eine 
leichte Abreibung (mit einem in frisches Wasser getauchten 
und ausgerungenen Handtuch). Zur Hebung der erwähnten 
Entzündung ließ ich die Brust und den Unterleib mit einem 
ebenfalls in frisches Wasser getauchten Handtuch (einmal naß^ 
und zweimal trocken) umhüllen. Diese'Art der Behandlung ge 
währte mir aber bei der großen Schwäche und dem nahen Tode 
des Kindes keinen günstigen Erfolg, wie er von einem Mittel 
des Naturarztes erwartet werden kann. (Hier sieht man den 
Fehler, wenn man, wie jeder andere Arzt, sein Recept ab 
geben und sich um die Wirkungen des Mittels vorläufig nicht 
bekümmern wollte.) Das Kind bekam eine eisige Kälte; dies 
bemerkend, ließ ich sogleich, zur Vorbereitung eines Halbbades, 
in eine Badewanne frisches Wasser und soviel kochendes Was 
ser dazu gießen, daß es eine Temperatur von ungefähr 22 0 
R. annahm. Gewöhnlich lasse ich ein solches Bad so berei 
ten, daß man beim Umrühren mit der Hand eine angenehme 
Empfindung hat (weder zu kalt, noch zu warm). Das Kind 
wurde in diesem Bade mit der flachen Hand gerieben, nach 
zwei Minuten in trockene Leinwand gehüllt und dann in das 
Bett gebracht und gut zugedeckt. Hiernach entwickelte sich bald 
Wärme und Ausdünstung, dann ließ ich die Brust und den Unterleib 
anderweit mit einem in frisches Wasser getauchten und ausge 
rungenen Handtuch belegen (einmal naß und zweimal darüber 
trocken). Diese Umschläge wurden gewechselt, sobald sie heiß 
waren und sich eine -Unruhe des Kindes bemerkbar machte. 
Außerdem ließ ich, wenn sich die Unruhe des Kindes ein 
stellte, einigemal ein kleines Klystier von verschlagenem Was 
ser geben. Schon Nachmittags stellte sich ein durch Schreien 
angekündigter Hunger ein, nach eingenommener Nahrung er 
hielt das Kind einen ruhigen Schlaf, und die Symptome des 
Durchfalls (Erbrechen und Diarrhoe) waren ziemlich verschwun 
den. Als der Hausarzt am nächsten Tage das Kind sah, 
war er erstaunt über die Wirkungen der zwar verschriebenen, 
aber nicht tveiter gebrauchten Pülverchen, — denn er hatte von 
der Anwendung des Wassers keine Kenntniß erhalten. Trotz 
der schönen Wirkungen, die er seinen Mitteln zuschrieb, soll 
er doch gemeint haben, jetzt möchte man mit den Pülverchen 
aufhören, es könnte zuviel werden. Natürlich! wenig Gift 
schwächt, und ein kleines Quantum zu viel tobtet. Der Na 
turarzt dagegen greift zu dem Mittel, das ihm nach Minuten 
einen günstigen Erfolg und nach Stunden oft schon Wohlbe 
hagen und Besserung erkennen läßt und kann es unter solchen 
Erscheinungen stets ohne Nachtheil anwenden. Unser Patient 
hat sich von Stunde zu Stunde gebessert, und nach einer 
dreitägigen Fortsetzung der gedachten Umschläge und einer 
täglichen Abreibung mit kaltem Wasser, war die Krankheit 
gänzlich beseitigt Die Eltern blicken jetzt mit Freude aus 
das ihnen erhaltene und bereits durch tägliche kalte Waschungen 
zur vollen Gesundheit zurückgeführte Kind. (Forts, folgt). 
Aus dem Tagebuche eines Hypochonders. 
Mitgetheilt von Baptista Vanoni, Naturarzt in München. 
Motto: „Ihre Zahl ist Legion/' 
Unter den vielen Schattirungen der Menschen-Arten und 
Abarten sind sicherlich die mysteriösesten und physiologisch so 
wohl, als psychologisch die interessantesten, sowie für den Arzt 
die trostlosesten und rätselhaftesten: die H y p o ch o n d r i st e n, 
und von ihnen sind am Ende jene noch am besten daran, die 
sich's klar und bewußt sind, daß sie Hypochonder sind, 
wodurch sie sich in den Stand gesetzt sehen, Kraft ihres Geistes 
eine gewisse Herrschaft zu gewinnen über das Materielle, um 
den dämonischen Geist momentan zu überwältigen. Selbe 
treten dann nach einiger Zeit der Erfahrung und- der Selbst- 
Beobachtung in das Stadium eines Philosophen; freilich 
laufen sie auch Gefahr: Philosoph aste r, das heißt Grüb 
ler. Tüpfler und Spitzfindler zu werden —; in diesem Falle 
sind sie oft sich und Anderen unerträglich, und man weicht 
ihnen aus. 
Göthe zum Beispiel war Philosoph, aber kein „Hy 
pochonder", dagegen war Jean Paul ein tiefer Hypo 
chonder, wie auch Heine und Börne Hypochonder waren 
Viele aus der Classe der Hypochonder werden von ihrer Um 
gebung, von ihren Freunden und Bekannten, gar nicht als 
solche Kranke erkannt, ja man findet in geselligen Kreisen 
häufig sogenannte „Lustige" und „Spaßvögel", die eine 
Gesellschaft elektrisch zur Heiterkeit stimmen können, während 
sie zu Hause in ihren vier Mauern die tiefsten und trübse 
ligsten Hypochonder sind. 
Wir finden z. B. auf der Bühnenwelt, daß Komiker und 
sogenannte Lieblinge des großen Publikums zum größten 
Theile dieser Classe angehören. 
Der beliebteste deutsche Volksdichter und Komiker Ray- 
mund, der Tausende zum Lachen brachte, war Hypochonder 
und ward zum Selbstmörder, trotzdem er allbeliebt und 
in den besten (?) finanziellen Umstünden lebte. 
Die verschleierten und mit Humor markirten Hypochonder 
werden von der großen Menge nicht als solche erkannt, wohl 
aber erkennen sie sich gegenseitig und meiden sich im geselligen 
Umgänge. Diese Gattung von Hypochonder findet man mei 
stens nur unter den Gebildeten, die vermöge ihrer mehrseiti 
gen Bildung und Kenntnisse den Geist beschäftigen und den 
(Jdeengang gleichsam reguliren können; selbe erlangen endlich 
hierin eine solche Fertigkeit, daß sie sich über tausend Dinge 
und Lebensvorkommnisse hinwegsetzen können nach dem Grund 
sätze: „Philosoplius non curat.“ 
Bildung und entsprechende Beschäftigung- in Abwechse 
lung der Geistes-Thätigkeit, insbesondere aber Liebe und An 
hänglichkeit zur göttlichen Natur und ihren Schöpfungen, 
nebst Umgang mit Menschen der verschiedensten Stande sind 
die sichersten Mittel zur Abwendung des sogenannten Tief- 
sinns und Trübsinns. 
Wir finden diese Disharmonie des Geistes mit der Ma 
terie mehr und häufiger beim männlichen, als beim weib 
lichen Geschlechte und letzteres rettet sich vor Schwermut!) 
und Trübsinn durch seine Liebe des abwechselnden Berufes, 
durch Erfüllung seiner häuslichen Bestimmungen und Aufgaben 
und neben diesem durch einen religiösen Sinn ohne Pietisterei 
und Betschwesterei. Auch bei Männern ist es großer Trost, 
wenn sie zur Abwendung von Trübsinn den Geist mit kind 
lichem Gemüthe zur Unendlichkeit Gottes erheben können
	        
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