Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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dort nicht unbedingt nöthig seien, wie es allerdings auch oft 
der Fall, z. B. bei den feuchten, auf schnelle Erwärmung und 
selbst Schweißerzeugung oder doch die Hervorrufung eines 
hohen feuchten Wärmegrades abzielenden Einpackungen. Ab 
gesehen aber von solchen hydro-technischen Anwendungsformen, 
meinte Adolph, müßten Eltern ihre Kinder von Federbetten 
nach und nach ganz entwöhnen, und selbst Erwachsene han 
delten nicht blos sehr weise damit, sondern seien dessen auch 
in den meisten Fällen noch recht gut fähig —' vorausgesetzt, 
daß sie sich möglichst naturgemäße Behandlung ihres Körpers 
auch in gesunden Tagen zur Pflicht gemacht*). 
Wieder unmittelbar hinter der die Federbetten befördern 
den Magd, ziemlich schon in der Mitte unserer Titel-Vignette, 
finden wir drei, ziemlich im Schatten stehende Figuren; sie 
sollen Neuborn mit seinen zwei Knaben andeuten, und haben 
wir mit dieser Schattenstellung unserem Freunde Neuborn 
eine freundschaftliche, kleine, wohlverdiente Lection, gegenüber 
seiner weißen (weisen) Gattin ertheilen wollen. Welchen 
Schmerz hätte Neuborn sich, seiner Gattin und alten 
Mutter ersparen können, hätte er die ihm durch eine Fügung 
— gewiß nicht von ohngefähr — in's Haus geführten Bücher 
über Naturheilkunde nicht todt in den Schrank gelegt! Stellen 
aber nicht gleich ihm noch Tausende und Tausende von Vä 
tern das Licht der Wahrheit unter den Scheffel oder in den 
Schrank? Verschließen sie sich nicht, wie absichtlich, der Er 
kenntniß des Fortschrittes und des Besseren? O, Ihr Väter, 
die Ihr Eure Kinder zärtlich an's Herz drückt, denkt des 
Jammers von Neuborn, als er das verstoßene Buch fand, 
und mit der Ahnung des Kommenden der bittere Schmerz, 
daß er zu spät bereue, in seine Brust einzog! — Anderer 
Seits können wir aber unserem Freunde das Lob nicht ver 
sagen, daß er, nachdem er einmal seinen bisherigen Fehler 
erkannt, bis zu dessen völliger Auswetzung durch nachträg 
liches Studium der Bücher Adolphs, das hygieinische und 
therapeutische Element, d. h. die Sanitäts-Gewalt in gesunden 
wie kranken Tagen ganz in die Hände Adolphs und Emiliens 
gegeben hatte, und mit Entschiedenheit begann, sich auf dem 
neubetretenen Gebiete zu orientiren; bald gab er im Verständniß 
der Naturheilkunde seiner Gattin nicht nur nichts nach, son 
dern wurde auch hierin ihr Herr und Meister, wie es der 
Mann in allen Haupt-Angelegenheiten des geistigen, wie ma 
teriellen Familienlebens sein kann und soll. Seine kleinen 
Söhne, wie Töchter nahmen schnell das Wohlthätige in der 
veränderten Lebensweise wahr und waren in wenig Monaten 
schon fast durchweg andere körperliche, wie geistige Individua 
litäten geworden, die ihren Eltern, der Großmutter und vor 
Allem auch Adolph wahrhafte Herzensfreude machten. Oscar 
der schon immer, seit seinen Bräune-Anfällen und der 
Masernperiode, heimlich von Emilien durch kühlere Waschun 
gen des ganzen Körpers und leichtere Kleidung, auch entzün 
dungswidrige Nahrung (besonders vegetabilischer Art) behan 
delt worden war und überhaupt sehr zur Mutter und ihren 
Anschauungen neigte, Oscar war, als der Onkel Adolph die 
Verhaltungsmaßregeln im Krankenzimmer eingeführt und na 
mentlich auch auf die Nothwendigkeit häufigen, vorsichtigen 
Luftwechsels in der Nähe des Patienten hingewiesen hatte, 
ohne weiter zu fragen, sofort auf das Fensterbret gesprungen 
und hatte die obersten Flügel aufgerissen, so daß Neuborn 
eiligst die spanische Wand ausgespannt hatte, um die frische 
*) Anm. der Red. Wir werden später einmal das Federbett- 
Capitel besonders und ausführlich besprechen in einem Artikel, der die 
vernunftgemäße Hautpflege im Allgemeinen behandelt. 
Luft wenigstens nicht ganz direct auf die damals eben in einer 
feuchten Einpackung liegende kleine Lina strömen zu lassen. 
Die Mittelfigur unseres Bildchens ist nun Adolph — 
Emiliens Bruder— der Naturarzt; denn diesen Titel ver 
dient Jeder, der sich das Verständniß der Naturheilmethode 
angeeignet hat, mag er davon professionellen Gebrauch oder 
nur Familien-Nutzanwendung machen. Adolph — wenn auch, 
nach eigener früherer Neigung und dem Wunsche der Eltern 
gemäß, dem kaufmännischen Berufe zugeführt und angehörig 
— war doch ein geborener Arzt, d. h, er besaß die 
natürliche Anlage zur Erkennung dessen worauf es im 
speciellen Krankheitsfälle so sehr ankommt —, was das Haupt 
hinderniß für die eigene Heilkraft des betr. Körpers in dem 
vorliegenden Falle darstelle und was als das geeignetste 
Hülfsmittel aus der Zahl der sogenannten Naturheilmittel 
(Ruhe, Bewegung, Licht, Dunkel, Wärme, Kälte, Nahrung, 
Hunger, Festes, Flüssiges, Wasser) hier auszuwählen und an 
zuwenden sei. Wie bei jedem Berufe, so ist es namentlich 
und ganz besonders bei dem ärztlichen durchaus nicht gleich 
gültig, ob Jemand aus wahrem inneren Drang oder nur 
äußeren Veranlassungen folgend, sich der Untersuchung und 
Behandlung der menschlichen Körperleiden widmet; nicht blos 
der Erfolg, sondern der ganze Charakter einer Kur wird es 
für den sachverständigen nicht blos, sondern für jeden 
mit gesundem Urtheile begabten Beobachter sofort zeigen, ob der 
betreffende, behandelnde Arzt geboren, d. h. gewissermaßen ein 
von Natur zu diesem Berufe bestimmter Mensch, oder ein so 
genannter Routinier (der ohne eigentliche innere Neigung, nur 
vermöge gewisser geistiger Schärfe und Energie, es zu einem 
großen Erfahrungs- und Uebungsmaaß gebracht) oder nur 
ein Vertreter gewöhnlichen Brodstudiums — dann meist or 
thodoxer Art ist. Die Kuren des wirklichen Naturarztes zeich 
nen sich durch ebenso sorgsame, selbst gemüthlich theilnehmende, 
wie durch scharfe, die Natur in allem ihren Wirken beobach 
tende Thätigkeit, die des Routiniers durch oft geniale und 
höchst glückliche, aber ebenso oft auch rücksichtslose und völlig 
fehlgeschlagene Behandlung, die des nur nach Brod arbeitenden 
Arztes durch starren gedankenlosen Schematismus aus. Leute 
der letzteren Art sollten gar nicht zum Studium und der 
Praxis des Heilfaches zugelassen werden; den genialen Köpfen 
sollte man aber, öfter als es geschieht, in ihren Experimenten 
mit dem Messer, dem Glüheisen, dem Streckbette, den Eis 
blasen, neuen gleißnerischen Hüllen gefährlicher Gifte und 
mancherlei anderen künstlichen und halsbrecherischen Versuchen 
einen Kappzaum anlegen. Es ist freilich für die Regierung 
eines Staates jetzt sehr schwer, die jungen Leute, nachdem sie 
das Studium der Medicin bis zum Examen beendet, zurück 
zuweisen, falls sie sich zwar nicht mit Naturanlagen zum Arzt 
begabt, aber als Büffler, d. h. fleißige Erlerner der tausend 
fältigen todten Namen in der Anatomie und Pathologie, 
beweisen und damit den jetzigen Anforderungen an die Be 
fähigung zum Auftreten als Aerzte genügt haben. Wäre 
aber auf den Gymnasien, ja besser schon in den Elementar 
schulen, neben überhaupt mehr naturwissenschaftlicher Richtung, 
die Körper- und Krankheitslehre, soweit sie jedem halbwegs 
auf Bildung und Selbstständigkeit Anspruch machenden Men 
schen zu erlernen nöthig und sehr gut möglich ist, vertreten, 
dann würden die Lehrer bald an ihren Schülern und Schü 
lerinnen (denn auch Naturärztinnen kann und wird es künftig 
geben) wahrnehmen, wo wahre Anlage und Talent für das 
Heilfach vorhanden und wo nicht; dann könnten und dürften 
nur die, welche vermöge dieser besonderen Befähigungen auf
	        
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