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piden Charakters. Ein besonders interessanter Fall war fol
gender:
Die Gattin des Kaufmann B. in L., an chronischer
Lungen-Entzündung und Asthma leidend, unterzog sich (hier
in V.) der Wasserkur, und zwar gegen den Willen ihres
Gatten, wie gegen den Willen ihres Bruders und Schwa
gers, welche letztere beide allopathische Aerzte waren. Doch
da gerade diese nicht anwesend waren, wurde ihre Opposition
leichter überwunden, und auch die Vorurtheile ihres Gatten
überwältigte endlich die Frau mit ihrer großen Vorliebe zur
Wasserkur. Sie unterzog sich einer dreimonatlichen Kur
mit sehr gutem Erfolge, welcher dann natürlich ihr Ver
trauen allgemein für die Hhdriatik gewann. Kurz nach Rück
kehr in ihre Heimath erkrankte ihre jüngere 6 jährige Tochter
am Typhus und sie hätte mir selbige gar zu gern sogleich
zur Hhdriatischen Behandlung anveraut, wenn hier nicht vor
her eine ganze Phalanx von Familien-Gegnern zu überwin
den gewesen wäre — vor Allen Bruder und Schwager als
allopathische Aerzte, und durch deren Einfluß der Vater, die
ganze nachbarliche Basen- und Vetterschaft.
Doch der Mensch denkt's und — Gott lenkt's!
Die Kranke wurde unter der beiden obgenannten Aerzte
Behandlung immer schlechter, es wurde noch ein dritter- Al
lopath (der erste der Stadt) herbeigezogen — kein besseres
Resultat; endlich wurde das Kind dem ersten Homöopathen
übergeben, doch auch unter diesem ging's stetig bergab mit
den Säften und Kräften, während die arme Mutter fortwäh
rend , aber vergeblich und unter Thränen für die Hydrothera
pie stritt.
Endlich nachdem die Hoffnung von der ganzen Umgebung
für die Kranke aufgegeben worden, ward der Mutter vom
hohen Familien-Concilium nachgegeben und ihr bewilligt, die
Halbtodte dem Hydropathen zu überantworten. Ich wurde
gerufen, die Kranke zu untersuchen und meine Meinung ab
zugeben.
Die Kranke, obwohl fürchterlich abgezehrt, war nicht
mager anzusehen, da sie allgemein wassersüchtig angeschwollen
war; sie urinirte bereits seit mehreren Tagen nicht, war da
bei zum Entsetzen schwach, so daß Arme und Beine beim Auf
heben wie an Fäden herunter hingen; Puls beinahe faden
förmig zwischen 130 und 140 Schläge in der Secunde, Haut
trocken, schmutzig, graulich-gelb; Zunge trocken, lederartig rc.
Mein Gutachten lautete: „Die Kranke ist noch rettbar, weil
besonders im Typhus die Wasserbehandlung Außerordentliches
leistet, und die Hoffnung bei naturgemäßer Unterstützung sol
cher Art Kranker nie aufzugeben ist, so lange noch ein Le
bensfünkchen brennt — allein garantiren kann ich sie Ihnen
nicht!" Nichtsdestoweniger schwelgte die gute Frau im Vor-
genusse freudigster Hoffnung — herbeigeführt durch ihren
endlichen Triumph!
Die sofort in Angriff genommene Behandlung wirkte
schnell günstig. Ich unterlasse, die Behandlung speciell ausein
ander zu setzen, weil ich glaube, daß sie doch nicht maßgebend sei;
wenn sie indessen die Redaction wünschen sollte, so werde ich
gerne solche später nachtragen*) Schon in der ersten nassen,
zum Dünsten ausgedehnten Einpackung stellte sich Urinirungs-
Bedürfniß ein rc. rc. — doch gab es immerhin bei solcher
*) Anm. der Red. Wir würden dem Herrn Verfasser allerdings
im Interesse unserer Leser für die specielle Angabe der Behandlung
dankbar gewesen sein. Denn wir wünschen ja gerade für solche Fälle
'die Angehörigen einer Familie selbstständig im physiatrischen Handeln
zu wachen.
nach 7 wöchentlicher medicinischer Behandlung so weit herab
gekommenen Kranken manch' schweres Stadium durchzumachen,
gegenüber den die Kur fortwährend mit schielen Augen über
wachenden Verwandten. Am meisten Kampf verursachte, bei
der beständigen Beobachtung der beiden Onkel-Aerzte, das
später erwachende kräftige Fieber. Nachdem bei der Kranken
ein förmlicher Umschwung, ein auffallender Wendepunkt vom
Momente der ersten hydriatischen Application an eingetreten
war, erwachte nämlich allmälig ein immer kräftiger werdendes
Fieber, bis zu einem mittleren Grade sich entwickelnd, gegen
welches der jüngere Onkel-Arzt stets laut declamirte und er-
erklärte:
„Dieses Fieber müsse man beseitigen; wenn
dies nicht geschehe, komme die Kranke nicht auf,
im besten Falle werde sie viel langsamer genesen",
— während der ältere Onkel-Arzt schwieg und still beob
achtete! Natürlich ließ ich jene Deductionen nicht gelten, son
dern erklärte ebenso laut, daß dieses Fieber Heilungs
charakter habe, wirkliches Neubildungs- oder An
satz-Fieber sei, was ja handgreiflich vorliege, denn die
Kranke nehme sichtlich zu an Wohlsein, Kraft und Fleisch.
Daß jener Arzt seine Theorie fest glaubte, bezweifle ich kei
nen Augenblick; nichtsdestoweniger lag die Absicht vor, mir
die Kranke, nachdem die größte Gefahr mit ihr überstanden
war, wieder aus den Händen zu spielen und sich dann,' als
den Befreier vom Fieber — dadurch als den Erretter hinzu
stellen! —
Doch — in meiner Ansicht und Ueberzeugung fel
senfest — ließ ich die Kranke nicht los, fuhr fort, sie
streng und rein hydriatisch zu behandeln und hatte dabei, Gott
Lob, die Satisfaction, zu beobachten, wie bei stetig voller,
aber ruhiger werdendem Fieberpulse dieselbe an Fleisch und
Kraft zunahm, so daß ich sie nach 7 langen Wochen als reine
Reconvalescentin entlassen konnte!
Mein Standpunkt in der betreffenden Stadt war ge
wonnen !
Vierzehn Tage nach dem Umschwung der Krankheit der
Nichte war der stille, beobachtende, ältere Onkel-Arzt — frü
her mein entschiedener Gegner — nun selbst eifriger Client
in meinen Händen.
Nach einer dreimonatlichen Kur, gegen Hypochondrie,
Schlaflosigkeit und allgemeine Apathie, von welcher er voll
ständig befreit wurde, ward er auch überall hin mein treuer
Vertheidiger
Aehnliche Zunahme an Kraft und Fleisch, mit Fieber be
gleitet, beobachtete ich noch in 6 anderen Fällen; doch ver
steht sich, ging denselben irgend eine Krankheit stets voraus,
wodurch der Organismus, der Muskel-Masse nach, vorher be
deutend herabgebracht wurde.
Fieber betrachte ich daher in seiner Allgemein-Wirkung
als eine erhöhte Bildungsthätigkeit (Verbindungsproceß), äußer
lich wahrnehmbar in größerer Erregtheit des Nerven- und
Gefäß-Systems.
Diese gesteigerte, bildende Thätigkeit kann sich sowohl auf
die Bildung organischer Auswurfs-Stoffe in Schweiß, Urin,
Geschwüren, Secreten rc. rc. (Rückbildung der abgelebten
Materie) werfen, was auch in" den meisten Fiebern der Fall
ist, als wie auf die Bildung neuer Materie (Ansatz oder
Neubildung), welche Fieber indeß jedenfalls ungleich seltener
vorkommen.