Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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Blut-Circulation in der gesammten Peripherie (Außenseite) des 
Körpers nach sich zieht; in allen dortigen Capillargefäßnetzen verengen 
sich die feinen, Haarröhrchen gleichenven und in ihren letzten Enden 
noch unendlich viel feineren Arterienausläufe und Venen - Anfänge 
durch die Blutentziehung zuerst mechanisch. Dieser nun nicht blos 
momentanen, sondern meist (unter Berücksichtigung der Umstände, unter 
denen Aderlässe oder ähnliche Blutentziehungen vorgenommen werden) 
mehrere Tage anhaltenden Verringerung der Blutmasse in der Peri 
pherie folgt aber dann leicht eine bleibende Verengung der dor 
tigen zarten Blutgefäße, die um so eher Platz ergreift und sich erklären läßt, 
je jugendlicher der betr. Körper ist und je mangelhafter überhaupt sein 
Hautsystem, besonders aber unmittelbar in den Tagen nach stattgefun 
dener Blutentziehung, behandelt wird. Die Zurückstauung des Blutes 
nach dem Innern des Körpers und der Mangel der Circnlation in 
der äußeren Haut und natürlich der dieser zunächst liegenden Muskel- 
parthieen wird immer constanter, habituell, und das chronische künf 
tige Elend ist fertig. Die Erscheinungen an Ihrem Knaben lassen sich 
damit in besten Einklang bringen Die Magerkeit, das Durchscheinen des 
stockenden Venenblutes, Schwammigkeit des Fleisches, Blässe der 
Fleischfarbe, hohe Erregtheit' und noch höhere Erregbarkeit der Nerven 
in Folge der inneren Blutüberfüllung, mit der Fähigkeit momen 
taner Kraftentwickelung (die aber durchaus nicht lange aushaltend sein 
wird), geistiges Excelliren (in Folge erhöhter Blutcirculation auch im 
Gehirn und also stärkerer Ernährung desselben), Disposition zu Erkäl 
tungen (wegen mangelnder Widerstandsfähigkeit des ganzen Hautsystems 
in Folge verringerter Blutcirculation darin und schlechter Ernährung 
desselben) Wirkungslosigkeit zeitweiliger kalter Bäder im 'Sommer 
(welche natürlich nicht im Stande sind, die verlorene Dehnbarkeit der 
Bluthaargefäße der Haut wieder herzustellen), Reizbarkeit der Lungen 
und Lungenäste (Bronchien) ebenfalls als Folge der verhältnißmäßigen 
Ueberfüllung der Lungen mit Blut, welche wahrscheinlich noch durch 
die hier ganz nachtheilige Gewohnheit der einseitigen täglichen kalten 
Brustwaschungen gesteigert worden ist. Sie sehen, es erklären sich alle 
Erscheinungen an Ihrem Kinde ganz natürlich ans dem Darniederlie 
gen der Blutcirculation in der Peripherie und der dadurch herbeige 
führten höheren Inanspruchnahme der inneren Körperorgane — Zustände, 
zu denen und namentlich zu der Nerven erhöhter' Reizung freilich die 
vermuthete geschlechtliche Verirrung des Knaben viel beitragen kann und 
schon beigetragen haben wird. 
Fassen wir nun die Mittel zur Abhülfe in's Auge, so bestehen 
sie in Dreierlei, nämlich A. in der Entwöhnung des Knaben von der 
fraglichen gefährlichen Selbstreizung, B in entsprechender Behandlung 
der äußeren Haut und 0. in einem unterstützenden diätetischen Ver 
halten bezüglich der Nahrungsmittel, Kleidungs- und Schlafgewohn 
heit, wie ganzen Lebensweise. 
Zu A. 
Wie man Kindern, wenn sie der traurigen Angewöhnung der 
Selbstbefleckung bewußtlos — wie fast meist der Fall — sich hingegeben, 
diese wieder abgewöhnen könne, ist immer eine große pädagogische so 
matisch-psychische Streitfrage gewesen und sie ist auch für den Natur 
arzt keine leicht zu lösende. Als Erstnöthiges dabei betrachtet aber der 
selbe die Belehrung des betr. Kindes über seinen Fehler und über 
dessen unausbleibliche erst physische, dann auch geistige Folgen. Wür 
den Sie also durch genaue Beobachtung des Knaben (es kommt aber 
dergleichen ebenso oft bei Mädchen vor), namentlich zu Zeiten und 
unter Verhältnissen, wo er sich nicht beohachtet glaubt, gefunden ha 
ben, daß unsere jetzt, nur als Vermuthung hingestellte Annahme in 
der That begründet sei, so unterlassen Sie nicht, in mild-ernster Weise 
Ihr Kind über die geschlechtlichen Körper-Einrichtungen zu belehren/ 
auf die weisen und erhabenen Zwecke des Schöpfers dabei und auf 
die Leiden hinzuweisen, welche dem Menschen aus hier geschehen 
der Verletzung der göttlichen Ordnung unvermeidlich erwachsen, 
und also vom physiologisch-moral-religiösen Standpunkte aus auf 
Verstand und Gemüth des Knaben einzuwirken. Daß dieser Weg der 
praktischere ist, können wir Ihnen aus mehrfacher Erfahrung versichern, 
und empfehlen wir Ihnen Behufs der Art und Weise, wie solche Be 
lehrung passend eingeleitet werden kann, die Lectüre der Novelle, welche 
der erste Jahrgang unserer Zeitschrift (1862) unter dem Titel: „der 
Wasserfreund" brachte und welche besonders in den Nrn. 2 bis mit 8 
diesen Gegenstand ausführlich in einem der Wirklichkeit angehörigen 
Beispiele (der Erfahrung des Di*. Helfer in seinen Jugendjahren) be 
rührt und abhandelt. Da wir auch noch in anderen Beziehungen zu 
Ihrem und Ihres Kindes Nutzen auf Lehren des vorjährigen „Wasser 
freundes" hinzuweisen haben, so stehen wir nicht an, Ihnen gleichzeitig 
mit gegenwärtiger Nr. des „Naturarztes" ein vollständiges Exemplar 
des 1. Jahrganges zu übersenden, in der Ueberzeugung, daß Ihnen 
die Ausgabe dafür (2 Thlr. oder 4 Fl. W. W.) eine wohlangebrachte 
sich erweisen wird. — Der intellectuellen Behandlung des Knaben, zur 
geistigen Kräftigung in dem nun bei ihm beginnenden, aber unver 
meidlichen Kampfe zwischen Phantasie und Vernunft (oder Körperlich 
keit auf der einen und Göttlichkeit auf der anderen Seite) müssen nun 
aber materielle, d. h. hier physische Hülfstruppen an die Seite gestellt 
werden. Diese sind in erster Reihe unsere sub B. und C vorzufüh 
renden hydro-diätetischen Bundesgenossen, in zweiter die Mitanwen- 
dnng aller äußeren Momente, welche die Phantasie des Knaben in 
anderer, als in geschlechtlicher Richtung in Anspruch zu nehmen, zu 
beschäftigen und nach und nach völlig umzuwandeln geeignet sind. Da 
hin gehören besonders im Sommer Gartenarbeiten und nach und nach 
sich'weiter ausdehnende Fußreisen, welche zugleich unter Beobachtung 
der physiatrischen Principien ausgeführt werden, im Winter besonders 
Hinlenknng des Verstandes und Gemüthes auf Kunst, Musik und tech 
nische Beschäftigungen (Zeichnen, Malen — Violin-Unterricht, Papeterie- 
Arbeiten rc.) 
. Zn B. 
Um die zum chronischen Uebel gewordene Unthätigkeit der Haut 
function zu heben, welche bei Ihrem Knaben in so mannigfacher Be 
ziehung Benachteiligung anderer Functionirungen des Körpers be 
gründet hat, bedarf es einer Einwirkung auf die Gesammtperipherie des 
Körpers, wodurch die Capillar-Blut- und Lymphgefäße derselben nach 
und nach wieder in den Stand gesetzt werden, mehr Blut und Säfte, 
als bisher, aufzunehmen, und also ihre normale Aufgabe wieder zu 
erfüllen. Ist dies mit der Zeit erreicht, so werden alle übrigen Be 
schwerden und Mängel des ^Körpers von selbst weichen, vorausgesetzt, 
daß die sub A angegebene Mitbenachtheiligung des' Körperlebens, 
wenn sie wirklich vorhanden, ebenfalls aufhört und die sub C. zu 
erwähnenden diätetischen Maßregeln noch lange nach hauptsächlicher 
Hebung des mangelhaften Hautzustandes fortgesetzt oder besser zur Le 
bensgewohnheit gemacht werden. 
Jene Einwirkung nun auf die Capillargefäße der Haut ist zuerst 
eine rein mechanische, nämlich die der Anwendung feuchter Wärme. 
Nur durch diese kann allmälig, in gleichzeitiger Verbindung mit 
Einwirkung von Kühle und später von Kälte, eine solche Ausdeh 
nung jener verschrumpften oder abgestorben zu nennenden Haargefäße 
erzielt werden, wie sie für den Zweck der normalen Hautfunction er 
forderlich ist. Es stehen Ihnen aber dazu zwei Wege offen, welche 
Sie je nach Umständen beide zugleich oder gesondert anwenden können. 
Der eine ist der Gebrauch von Dampfbädern, also der Gebrauch 
einer warmen feuchte n Atmosphäre mit öfterer Benutzung ' oder An 
wendung kü h l e n Wassers während des Aufenthaltes darin; der andere 
bietet sich in den feuchten Einpackungen. Ueber beide wichtige Anwen 
dungsformen, sowohl hinsichtlich ihrer naturwissenschaftlichen Begrün 
dung als erfahrungsmäßigen Wirksamkeit in der fragl. Beziehung giebt 
Ihnen der vorige Jahrgang unseres Blattes mancherlei Ausweise, na 
mentlich über die Dampfbäder der vortreffliche Artikel des Ihnen ja 
schon persönlich bekannten Herrn Assistenzartes Wölb old in den Nrn. 
28 bis mit 31 und über die feuchten Ganzeinpacknngen S. 41. 53. 
120. 121. 122, ferner S 127. 128. S. 142 ff. S. 289 uns 294ff. —. 
Lesen, ja stndiren Sie jedenfalls düse Blätter. Aber wir bemerken 
Ihnen noch Folgendes. Der Hautzustand Ihres Sohnes ist jetzt, wie 
es scheint, ein solcher, daß man seine Behandlung vorerst mit den mil 
desten Formen anzufangen hat, und deshalb wird anfänglich we 
der das russische Dampfbad oder irgend eine andere Form des Dampf 
bades (das Rikli'sche Bettdampfbad S 85. 178 u. 238 des „Wasser- 
freundes", oder die Erfurth'sche Art S. 178, oder die Kastendampf 
bäder), noch auch die lang dauernde und intensive Form der Schroth- 
schen feuchten Einpackung für Ihr Kind sich eignen, sondern Sie wür 
den mit kurz, d. h. bloß bis zur völligen Erwärmun g , dauern 
den feuchten Einschlägen vor der Hand den Anfang zu machen und erst 
nach und nach die Dauer der Einpackung länger auszudehnen haben. 
Auch werden Sie gut thun, anfänglich das betr., der Größe des 
Knaben angepaßte Betttuch nicht von zu dickem Leinen zu nehmen und 
es erst nur in etwa I4grädigem (frisch geholten, aber durch Zuthat 
von warmem bis so weit temperirten) Wasser zu tränken, nach und 
nach aber gröberes Leinen und immer frischeres Wasser zum Eintau 
chen zu wählen; und haben Sie einige Wochen so, d.h von mildester 
Form ausgehend ltttb nur allmälig die Procedur in der angegebenen 
dreifachen Hinsicht steigernd, resp. herabgehend, manipulirt, so werden 
Sie dann allerdings mit großem Nutzen zu stärkeren Proceduren, wie 
die Dampfbäder sind, und zu den die Nacht über dauernden feuchten, 
dicken Einpackungen Schroth'scher Form übergehen, nur daß Sie dann, 
um auch die Schultern, Hals und Arme mit zu berücksichtigen, am 
besten gleich einige doppelte leinene Jäckchen zum Anziehen für den 
Knaben machen zu lassen hätten, statt der besonderen Einpackung jedes 
Armes, des Halses rc. mit besonderen Tüchern und resp. Ueberdeckungen.
	        
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