Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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Lich verloren, daß davon auch nicht eine Spur mehr zu sehen ge 
wesen sei. 
Zuletzt noch gab Herr Martini dem Vereine Nachricht über einen 
ihm erst kürzlich bekannt gewordenen und von Doctor Oertel im 16. 
Hefte der „Wasserkuren" rühmlich erwähnten Hydropathischen Arzt, Namens 
Schatz, aus Markleeberg. bei Leipzig, ursprünglich ein Schuhmacher 
geselle, welcher, nachdem er sich bei Oertel und Prießnitz mit der 
Wasserheilkunde bekannt gemacht, und namentlich die Grundsätze und 
Behandlungsweise des letzteren während eines längeren Aufenthaltes 
in Gräfenberg sich angeeignet, nun umher reisend schon manche 
nicht unbedeutende Kur mit frischem Wasser glücklich verrichtet habe. 
Der Bruder des Herrn Martini, der Herr Amtmann in Rochsburg 
giebt von dem fragl- Wasserarzte in dem der Gesellschaft mitgetheilten 
Schreiben folgende Charakteristik: „Ich", sagt der Briefsteller,' zu dem 
dieser Schatz gekommen war, „unterhielt mich lange mit ihm. Sein 
Aeußeres ist gar nicht empfehlend und zu simpel; ich hätte ihm bald 
in's Gesicht gelacht. Aber mein Staunen über seine Ansichten, Erfah 
rungen und Kuren, über seinen Mrth und seine Sicherheit wuchs von 
Minute zu Minute." 
Nach diesen brieflichen Nachrichten fand Schatz auch sogleich Ge 
legenheit, an einem in der Familie an heftiger Fieberhitze und Hals 
entzündung eben darnieder liegenden, ohngefähr zweijährigen Knaben, 
Namens Oscar, die von ihm gefaßte gute Meinung zu rechtfertigen. 
Wegen der steigenden Gefahr noch Abends 10 Uhr zu Hülfe herbeige 
rufen, behandelte er das in großer Hitze liegende Kind mit einem La 
vement, mit Umschlägen und anderen Abkühlungen Gewaltsame Was 
sereinflößungen mit einer- kleinen Spritze, desgleichen mit einem 
Schwamme wurden die ganze Nacht fortgesetzt und früh ein laues^Bad 
genommen, was herrliche Dienste that. Da man aber den nachdem 
Bade entstandenen Schweiß hatte zurücktreten lassem so kam noch bei 
Sch atz's Dasein ein Rückfall, bei welchem dieser, da der Knabe fast 
gar nicht trank, folgendes Verfahren beobachtete: 
Er legte den Knaben horizontal in eine Wanne mit kaltem Was 
ser, und tauchte ihn darin bis auf den Boden unter, daß er es ein 
schlucken mußte, worauf dieser uuabgetrocknet in's Bett gelegt ward. 
Die Fieberhitze stieg dessen ungeachtet bis zum Phantasiren, und Lip 
pen und Nasenlöcher fingen an, sich zu bräunen Doch Nachmittags 
war die Gefahr vorüber, obgleich noch Fieber und schrecklicher Husten 
sich zeigte, von denen aber unter Sch atz's Behandlung jenes bald 
wich und dieser innerhalb zweier Tage sich sehr minderte. 
Auch ein noch jüngerer Knabe, der während Schatz's Anwe 
senheit an Katarrhal- und Zahnfieber bedeutend erkrankte, ward von 
chm eingetaucht, nach Prießnitzen's Art eingeschlagen u. s. w, worauf 
es auch mit diesem besser ging. Eine einzige 11/2 ständige Einschla- 
gung milderte auch bei diesem den heftigen Husten bedeutend. 
Des Naturarztes D. Helfer Leiden und Freuden. 
Somntisch-hydnatische Novelle. 
(Fortsetzung.) 
Während nun im Rathskeller die Zurückbleibenden noch 
längere Zeit mit dem in nicht geringe Verlegenheit ob solcher 
Ovation gerathenen guten Schuldirector sich unterhielten, be 
gleiteten den Herrn Medicinalrath mehrere der mit ihm aus 
gebrochenen Herren zu seinem Wagen, und manches Wort 
des Spottes, aber auch der Entrüstung wurde noch über die 
Mölsitzer, ihren Schuldirector und den neuen Arzt, den sogen 
Naturarzt Dr. Helfer, gesprochen. Im Grunde hielt man doch 
diesen Doctor für den Grund alles Uebels, was in Mölsitz 
sich einzunisten begann, und gab sich das gegenseitige Verspre 
chen, den Mann nicht außer Augen zu lassen und diejenigen 
Echritte zu thun, die geeignet schienen, den Neuerer womög 
lich wieder ganz aus dem Orte zn entfernen. Namentlich wa 
ren es der Medicinalrath, der Bürgermeister und Herr Schöppe, 
welche zuletzt noch in dieser Beziehung bedeutsame Worte aus 
tauschten. O, armer Dr. Helfer, schwere Gewitterwolken zo 
gen sich abermals in dieser Nacht über dich zusammen, möge 
das Haus deines Systems auf festem Grunde erbaut sich er 
weisen, damit es den ebenfalls systematisch dagegen vorberei 
teten und losgelassenen Stürmen zu trotzen im Stande sei! 
— Doch, wer Gott, d. h. der Natur vertraut, der hat wohl 
gebaut! Darum ist uns um dich, du Pionier einer neuen 
körperlichen Zukunft, nicht bange! 
2. 
Die Kirchweih zu Neuwiesa. 
Am Morgen' des Kirms-Sonntages wehte ein kalter 
Herbstwind über die Mölsitzer Berge herein; er hielt aber die 
Mölsitzer nicht ab, in großer Anzahl sich auf den Weg zu 
machen, um der ersten Predigt in Neuwiesa beizuwohnen, wo 
bce vor zwei Jahren durch den Blitz eingeäscherte Kirche gar 
stattlich, einem verjüngten Phönix gleich, sich aus den Trüm 
mern'erhoben hatte und heute, als Filiale von Mölsitz, durch 
dessen Pfarrer, Herrn Löser, ihre neue Weihe erhalten sollte. 
Auch Herr Carl Augustin, der Spitzen- und Sprelwaaren- 
händler, war mit seiner Tochter Bertha unter den Wallfah 
rern, wenn auch nicht zu Fuß; denn das getraute sich Bertha, 
das 17 jährige, bleiche, langaufgeschossene Mädchen mit dem 
Mondschein-Gesichtchen und tiefliegenden Augen nicht zu und 
der Vater ließ ihr zu Liebe und weil er sie doch nicht zu 
lange mehr zu besitzen fürchten mußte — so hinfällig war die 
bleichsüchtige und- jedenfalls auch scrophulöse Bertha durch die 
schon seit ein Paar Jahren sie plagenden Krämpfe und Ohn 
machten, vielleicht auch durch die dabei und dagegen vielfach 
zur Anwendung gekommenen Blutentziehungen und innere, wie 
äußere Corroberantia (stärkende und eisenhaltige Mittel) gewor 
den — gern einmal Sonntags die dickbäuchigen Rappen, 
welche die Woche über die schweren Waarenkist'en zu verfah 
ren hatten, in den Kutschwagen einspannen, um Bertha an 
die Luft zu bringen und ihren Gefühlen für die Natur a la 
Matthison wieder einmal Nahrung durch das Glasfenster der 
Chaise hindurch zuzuführen. Bertha zeigte sich heute merk 
würdig heiter und kräftig, und als vollends, während der 
Wagen mühsam das steilste Stück des Berges erklomm, die 
Sonne einige freundliche Blicke auf die Schaar der Kirchgän 
ger warf, da äußerte sie den lebhaften Wunsch, die Kutsche 
zu verlassen und den übrigen Weg, gleich den Anderen, zu 
Fuß vollends zurücklegen zu können. Was nicht die nerveu- 
belebende Luft eines Morgens Alles zuwege bringen kann! 
Bertha, welche nie vor 9 oder 10 Uhr das Bett verließ und 
dann nach flüchtigster und oberflächlichster, wenn auch lang- 
dauernder, Sorge für ihr Aeußeres, d. h. für den oberen, ja 
nur allerobersten Theil ihres Körpers, den Vormittag beim 
heißen Kaffee, allenfalls mit einem Stickrahmen und mit einem 
mißlingenden Versuche am Piano zubrachte und schließlich ge 
wöhnlich mit einem Buche auf dem Sopha vor der Mittags 
zeit schlafend gefunden wurde — Bertha an diesem Kirms- 
Sonntag-Morgen gegen 8 Uhr schon eine halbe Stunde von 
Mölsitz auf des Berges Höhe und noch dazu zu Fuße! Alle 
Mölsitzer Kirchgänger, welche die Augustin'sche Familie und 
Bertha's Leiden näher kannten — und dies war bei den mei 
sten der Fall, da die Rede gar offt von Bertha, von ihrer 
mißlichen Körperbeschaffenheit, aber auch von ihrer schwieri 
gen Stellung zwischen Vater und Mutter —, nahmen stau 
nenden Antheil an diesem Ereignisse und waren bestrebt, durch 
Unterhaltung und Hin- und Hersragen der leutselig mit ihnen
	        
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