Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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2. Herrn S. R. in Leb. (chronisches Kehlkopf 
leiden betr.) Es liegt folgender Bericht von Ihnen vor: 
„Patient ist gegenwärtig 38 Jahre alt, von guter Leibescon 
stitution; litt früher nie an einem chronischen Uebel, war und 
ist frei von Unterleibsbeschwerden, wiewohl er feste Entleerung 
hatte. Entferntere Ursachen seines Uebels sind übermäßiger 
Eifer in der Seelsorge, bestehend in halbe Tage langem 
Beichthören und stundenlangen Predigten, wodurch schon ein 
mal in den 7 Jahren seiner Thätigkeit eine Lungenentzündung 
herbeigeführt wurde, von welcher er aber glücklich genaß und 
unbesonnen noch eifriger Lungen und Halsorgan anstrengte. 
Die nächste Ursache der Krankheit fällt in das Jahr 
1858, wo Patient bei einer Festpredigt durch Schreien (wie 
er sich selbst ausdrückt) und in Folge überhaupt starker An 
strengung ohnmächtig wurde; eine Halsentzündung war die 
Folge der Blutcongestionen und nach 3 Tagen trat eine 
Sprachlosigkeit ein, welche erst nach 6 wöchentlicher allo 
pathischer Behandlung wich; jedoch die Blutcongestionen gegen 
den Kehlkopf und eine außergewöhnliche Schwäche der Sprach- 
organe blieben zurück. Im Jahre darauf zog er sich durch 
erneuerte Anstrengung auch neuerdings eine Halsentzündung 
zu, welcher abermals die Sprachlosigkeit folgte; durch gänz 
liche Enthaltung des Sprechens und Gebrauch von Abführ 
mitteln unter ärztlicher Anleitung erhielt er jedoch auch^dies 
mal noch Linderung und selbst den Gebrauch der Sprache 
zurück, jedoch fühlte er eine immer größere Schwäche derSprach- 
organe. Er unterzog sich nun einer rein Prießnitz'schen Kur, 
wie solche in der Nähe von G. besteht und kam noch sprach- 
fähig in die Anstalt. Im Anfange der Kur, welche 11 Mo 
nate dauerte, fühlte er eine heilversprechende Wirkung; Auf 
Anrathen des Kurarztes aber versuchte er es in letzter Zeit 
daselbst einmal im Walde zu schreien und zu singen, über 
trieb es aber, wie sonst schon immer, auch diesmal, und die 
Folge war, daß er im Kehlkopfe ein Auseinandergehen der 
Stimmbänder fühlte und eine neue Entzündung und Sprach 
losigkeit sich einstellte, welche bis zur Stunde, seit 3 Jahren, 
anhält, so daß er wohl leise, aber kein lautes Wort reden 
kann. 
Patient ging unterdessen wieder zur Allopathie zurück. 
Ein Doctor verordnete Jodeinreibungen um den Hals, ein 
anderer starke Zugpflaster auf der Brust, ein dritter brannte 
ihn innen mit lapis infernalis (Höllenstein). Die Folge des 
letzteren Mittels war, daß er ein halbes Jahr ganz stumm 
wurde und nur durch Schreiben sich mittheilen konnte. Jetzt 
spricht er wieder leise, ist aber an Brust und Hals geschwächt, 
hat öfter im Halse Verschleimungen, die Verdauung ist mit 
telmäßig, die Füße in der Regej mehr kalt, als warm, und 
doch wieder leicht verkühlt. 
Dieser Mittheilung gegenüber geht unsere Ansicht dahin, 
daß Ihr Freund, der Patient, hauptsächlich Dreierlei zu thun 
hätte: Erstlich müßte er von jetzt an ängstlichst jede arz 
neiliche Behandlung seines Körpers, sowohl dem Kehlkopf 
leiden, als sonstigen etwa eintretenden Krankheitsumständen 
gegenüber, unterlassen; zweitens müßte er mit Vertrauen 
und in Geduld bereit sein, sich mehrere Jahre lang einer 
Lebensweise hinzugeben, welche geeignet ist, die der Natur- 
heilkraft des eigenen Körpers aufgedrängten Banden und Hin 
dernisse ihrer Thätigkeit nach und nach zu beseitigen und ver 
möge des Stoffwechsels, welcher in solchen Jahren, wo Patient 
steht, noch Außerordentliches zu leisten vermag, es zu einer 
wahren Regeneration in den hier leidenden Nerven, Muskeln 
und Bändern kommen zu lassen. Aber Patient müßte auch 
drittens für die Zukunft und nachdem er seine Stimme 
wieder erlangt hat und von der Disposition zu der abnormen 
Blutcirculation nach dem Kehlkopfe, überhaupt nach Hals und 
Brust (oder Luftröhre und Lungen) hier in der Hauptsache 
befreit ist, den festen Entschluß fassen, sein jetziges Amt mit 
einem anderen zu vertauschen, welches die Anstrengung des 
Sprachorganes und der Lungen nicht so bedingt, wie sein 
jetziges Officium. 
Nur wenn Patient diesen 3 Voraussetzungen Genüge zu 
leisten entschlossen ist, mag er den nachfolgenden Ordinationen 
sich unterziehen, welche darauf berechnet und geeignet sind, 
das gereizte Nervensystem im Allgemeinen zu beruhigen, den 
Nervenströmungen und der Blutcirculation eine veränderte 
Richtung, nämlich die nach dem Unterkörper und nach der 
Peripherie des Körpers, zu geben, damit die Lungen, die 
Luftröhren und^der Kehlkopf von der ihnen jetzt zugewende 
ten, jede sowohl Beruhigung als Regeneration ausschließenden 
Eongestion frei werden, und so auch das örtliche Verfahren 
möglich, d. h. nutzbar zu machen. 
Unser Rath geht daher dahin, daß Patient 
1) früh beim Erwachen — wenn nicht anders möglich, 
aber auch erst im Lause des Tages — eine kurzdauernde, 
feuchte Einpackung nehme, wie sie S. 82 des „N.-A." 
sub 1 sich näher beschrieben findet. Diese Anwendungsform 
zwingt den Blutstrom. sich mehr in den Capillargefäßen der 
äußeren Haut und überhaupt den der Peripherie des Körpers 
nahe gelegenen Organen zu vertheilen, verhältnismäßig also von 
Hals und inneren Organen, wohin die Strömung bis jetzt 
vorzugsweise stark war, sich zurückzuziehen. Freilich darf man 
nicht erwarten, daß durch schon eine oder wenige solche peri 
pherische Anregungen eine völlige Umstimmung eines zur krank 
haften Gewohnheit gewordenen abnormen Blutlaufes zu erzie 
len ist. Dies kann Wochen-, ja monatelang dauern; aber all- 
mälig wird innerhalb dieser Umstimmungsbestrebungen nicht 
täglich, wie Anfangs nöthig, sondern nur einen Tag um 
den andern, dann, je mehr sich Erfolg herausstellt, nur zwei 
mal und zuletzt nur einmal in der'Woche eine solche Einpak- 
kung nöthig sein. Die einmalige wöchentliche Anwendung 
dieser Form wird sich jedoch dann längere Zeit und zwar so 
lange empfehlen, bis Patient durch Proben, d. h. besonders 
durch leichtere, absichtliche Erkältungen, wahrgenommen hat, 
daß ein Rückfall der fehlerhaften Blutströmung in die alte 
Richtung (nach den Schleimhäuten, der Luftröhre rc.) nicht 
wieder eintritt. Die übrigen, während dieser Zeit der An 
wendung nöthigen Vorsichtsmaßregeln und Applicationen wer 
den natürlich auch für Bestimmung der Dauer dieser ersten 
Form von Einfluß sein. Zu erwähnen brauchen wir auch 
kaum noch, daß viel auf die richtige Ausführung, wie jeder 
Application, so auch dieser hier in Frage stehenden Form an 
kommt, daß also ebenso die Einpackung selbst, als die Berück 
sichtigung des Momentes, wo das Behaglichkeitsgefühl darin 
aufhört, dann die Abwaschung und Wiedererwärmung dar 
nach durch Gehen oder einige angemessene zimmergymnastische 
Bewegung (namentlich mit dem Unterkörper) mit Genauigkeit 
vorgenommen werden muß. 
2) Im Laufe des Vormittags oder Nachmittags, jeden 
falls aber getrennt von der kurzen, feuchten Einpackung durch 
einen Intervall von mindestens 3—4 Stunden, nehme Patient 
ein Sitzbad von anfänglich \ f später bis zu 1 Stunde Dauer 
in Wasser von ca. 18 "R. Besser fängt er mit diesen, vor 
zugsweise aus Beruhigung des Nervensystems abzielenden Sitz 
bädern erst 8 Tage nach begonnenem Gebrauche der Einpak-
	        
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