Volltext: Der Naturarzt 1869 (1869)

40 
Rechte wären, ja dann wäre die Stumpfsinnigkeit des Welt— 
schöpfers, der Brodfrucht und Knochen nicht vermengte, 
sondern schied, in zwei getrennten Naturreichen wachsen 
ließ, eine erwiesene und seine Absetzung könnte nunmehr de— 
finitiv dekretirt werden. 
Mögen Andere sich anders entschließen: wir Vegetare— 
aner stimmen viel lieber für die Absetzung des alternden 
Herrn von Liebig. Das wahrhaft Gute, was die Wissen— 
schaft seinem Genius verdankt, entspricht dem Vegetare— 
anismus; was letzterem in Liebigs Lehre wider spricht — 
das sind eben nur Heu, Stroh und Stoppeln, die vor dem 
Auge erleuchteterer Wissenschaft kommender Jahrhunderte, die 
unser System offiziell acceptirt, zu bestehen nicht im Stande 
sein werden. 
Aber der Leser ist vielleicht kein Vegetareaner und macht 
sich, alles Ekels baar, nichts daraus, gebrannte Thierkno— 
chen im Brode zu verspeisen. Ganz wohl. Aber dünken 
ihm Menschenknochen ebenso schmackhaft? Ich spreche 
in vollem Ernste. Ein wenig Nachdenken und ein wenig 
Welterfahrung sagen uns, daß, sobald das Knochenbrod erst 
einmal ein gangbarer vielbegehrter Artikel geworden, sich die 
Gewissenlosigkeit und die Gewinnsucht nicht mehr mit dem 
Vertrieb von Thierknochen begnügen, sondern, versteht sich 
unter thierischer Fiima, auch Menschenknochen in den 
Handel bringen werden. 
So würde denn der geneigte Leser eines schönen Mor— 
gens seine eigenen Vorfahren verzehren. Vortreffliche Aus— 
ficht! Da wären wir ja auf der Höhe unserer ungeheuren 
Bildung und Aufklärung plötzlich wieder verschämte — Kanni— 
balen geworden. 
Unser Protest hat also auch für Nichtvegetareaner einen 
hohen Werth und eine sehr ernste Seite. Ich will hier 
schließlich — im tiefgehendsten Interesse aller Kranken: wie 
aller noch Gesunden — die vornehmsten Gründe für die 
Fleischenffagung ganz kurz zusammenstellen. Das Erste in 
aͤllen Dingen ist die Erkenntniß, das Zweite der praktische 
Versuch. Aber das Zweite ist wichtiger und rascher zum 
Ziel führend als das Erste. I 
Vegetarennismus ist aus dem alten lateinischen vege— 
bare gebildet, welches „zu Kraft bringen“, „gesund machen“ 
bedeutet. Der Vegetareanismus ist eine Wissenschaft, die 
uns lehrt, wie wir durch ein naturgetreues Verhalten jede 
Krankheit vermeiden und unser animalisches Leben vor Stö— 
rungen bewahren können. Von ihr erleuchtet oder auch nur 
instinktiv angefaßt (letzteres ist bei mir der Fall, der 
ich seit bald zwei Jahren, streng erst seit einem halben 
Jahr Vegetareaner bin) bedürfen wir keiner andern Dok⸗ 
toren der Heilkunde mehr als solcher, die sich zuvor selbst 
erleuchten uͤeßen, zuvor selbst dem blutigen Dienst des herr— 
schenden Bauchgötzen entsagten. 
Der Vegetareaner enthält sich des Thierfleisches: 1) weil 
Fleischessen eine durchaus zur Sinnlichkeit führende 
ünreine Gewohnheit ist; 2) weil ihm das Tödten 
der Thiere ein „Bruch des großen Gesetzes mora— 
lischer Pflicht“ und eine Entwürdigung des Men—⸗ 
schen erscheint; 3) weil die Pflanzenkost (Cerealien und Baum— 
früchte und daraus bereitete Speisen) zu einer höheren 
und vollkommeneren Entwicklung der physi— 
schen und geistigen Kräfte leitet, Gesundheit 
und ein lauüges Leben gewährt; 4) weil die Pflan— 
zenkost ökonomischer ist als die Fleischkost, uns von hundert 
ünstlichen Beduͤrfnissen männlich unabhängig macht, während 
sie doch keine ächte Lebensfreude raubt, im Gegentheil die 
ichteste und rechteste erst möglich macht; 5) weil sie die ver— 
horgensten Wurzeln der Sünde und aller bei den Menschen 
im Schwunge gehenden sittlichen Uebel und Verbrechen ab— 
graben hilft, also auch der „Sünde der Völker“ — den 
Kriegen ein Ziel setzt, wenn auch letzteres erst in einer 
fernen noch kaum denkbaren Zukunft; 6) weil es noch viel— 
mehr Gründe dagegen gibt. — 
Nicht jeder Vegetareaner kann ein Professor seiner Le— 
bensweise werden, ebensowenig als die Masse der fleischessen— 
den Menschen den Anspruch macht, Professuren der Thier— 
mordlehre zu bekleiden. Jede Reform hat zunächst nur 
eine geringe Minderheit Wissender; die Menge fühlt, 
wenn sie folgt, die Wahrheit instinktiv, glaubt sie, er— 
rährt sie dann an sich und nimmt sie zuletzt in die 
offentlichen resp. häuslichen Sitten auf. I 
Möchten doch diese Zeilen den Einen oder Andern, der 
es noch nicht that, veranlassen: sich einmal das System näher 
anzusehen oder — noch besser — es sogleich praktisch zu be— 
folgen. Zur Vermittlung näherer Kenntnißnahme empfehle 
sch die Schriftchen: Dr. Eduard Baltzer's „Natürliche Le— 
hensweise.“ Nordhausen bei Förstemann, und: „Diät der 
Zukunft“ von Theodor Hahn. Cöthen bei Schettler. Diese 
seinen Bücher befriedigen nicht, aber sie regen zum Weiter— 
forschen an *). 
Am Weihnachtsheiligenabend 1868. 
Hugo Oelbermann. 
Studien über Gesundheit und Krankheit. 
Von Alfred v. Seefeld. 
Die Kuhpocken-Impfung. 
Wenn ein Reisender aus Afrika zurück käme und uns 
erzählte, daß es bei den Aschantis Gesetz wäre, alle kleinen 
Kinder im ersten Lebensjahre mit dem ekelhaften Eiter kran⸗ 
ker Thiere zu infiziren und sie damit absichtlich krank und 
oft für die ganze Lebenszeit siech zu machen, würden wir 
hm glauben? Und wenn er uns dann versicherte, daß die 
Aschantis eine recht gute Statistik führten und daraus nach⸗ 
weisen könnten, daß ihre Krieger von Jahrzehnt Zu Jahr⸗ 
zehnt kleiner und untauglicher würden, seitdem sie dieses 
Gesetz eingeführt, so wuͤrden wir nicht zugeben, daß selbst 
ein wilder Volksstamm so wahnsinnig sein könne. 
Und was thun wir? Wenn es heißt: In nächster Woche 
muß Ihr Kleiner geimpft werden, so gehorchen 
wir ohne Zaudern und freuen uns, wenn die Blattern „so 
schön kommen“ und wenn die große Wohlthat, die wir un—⸗ 
serm Kinde erwiesen haben, mit einigen fieberhaften Tagen 
ind Nächten abgemacht ist. Als ob die Vergiftung damit 
abgemacht wäre! — Wird aber das blühende Kind nach der 
Impfung krank, leidet es wochenlang an eiternden Wunden 
«) Ausführliches über die beste Art der Brodbereitung findet man in: 
„Unser täglich Brod“, von Dr. W. Horsell. Berlin. Theobald Grieben 
1868. 792 Sgr. 
Der Herausgeber.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.