Volltext: Der Naturarzt 1869 (1869)

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Brodbereitung für Viele willkommen sein, welche in jedem 
Haushalte gestattet, aus gewöhnlichem Mehl, ohne Kleie, ein 
schönes schmackhaftes Brod zu bereiten, von höherem Nähr— 
werth, als dem Brod aus demselben Mehle, nach jeder an— 
dern Methode zubereitet, zukommt. 
Zum Verständniß des neuen Backverfahrens, welches 
ich in dem Folgenden beschreiben will, dürfte es genügen, auf 
die Grundsätze der Ernährungslehre zu verweisen, die ich 
vor Kurzem in Auerbachs Volkskalender für 1869 ausein— 
andergesetzt. 
Ich habe darin erwähnt, daß von allen Nahrungsmit— 
teln der Menschen das Getreidekorn bei seiner Verwandlung 
in Mehl, in Folge der Verminderung der Nährsalze des 
Korns, die stärkste Einbuße an seiner Nahrhaftigkeit erleidet, 
so zwar, daß das weißeste und feinste Mehl unter allen 
Mehlsorten den kleinsten Nährwerth hat. Die Bedeutung 
der Nährsalze für die Ernährung ist den Physiologen be— 
kannt genug; man weiß, daß ohne ihre Mitwirkung die an— 
dern Bestandtheile der Nahrung nicht ernährungsfähig sind. 
Durch einfaches Auswaschen des rohen oder gekochten Flei— 
sches mit Wasser, welches die Nährsalze entzieht, wird es 
ganz unfähig, zur Erhaltung des Lebens zu dienen; die 
Nährsalze des Korns sind aber gleichbedeutend mit den Nähr— 
salzen des Fleisches, und man versteht, daß das, was wahr 
ist fur das Fleisch, auch wahr sein muß für das Brod, und 
daß der Nährwerth des Mehls in eben dem Verhältniß klei— 
ner ist, als es weniger Nährsalze als das Korn enthält. 
Die Nährsalze des Fleisches und des Korns sind Phosphate, 
und bestehen aus Verbindungen der Phosphorsäure mit Kali, 
Kalk, Bittererde und Eisen; die einfache Bekanntschaft mit 
dem Gehalt an diesen Stoffen im Korn und im Mehl, wie 
sie die chemische Analyse nachweisst, dürfte genügen, um die 
Verschiedenheit in dem Nährwerthe beider augenfällig“ zu 
machen. 
In tausend Gewichtstheilen Weizen- oder Roggen— 
Korn sind 
21 Gewichtstheile Nährsalze, 
und darin im Weizen-Korn Roggen-Korn 
8394 J 5,65 Phosphorsäure. 
In tausend Gewichtstheilen Wei zen-Mehl der ersten 
Sorte sind nur 
5,5 Gewichtstheile Nährsalze, 
und hierin nur 
21/, Gewichtstheile Phosphorsäure. 
Das Weizen-Mehl erster Sorte enthält demnach in 
1000 Gewichtstheilen 1519/2 Gewichtstheile Nährsalze im 
Ganzen, und 62/, Gewichtstheile weniger Phosphorsäure als 
das Weizen⸗-Korn. 
In der zweiten Sorte Weizen⸗-Mehl sind in 1000 Ge— 
wichtstheilen 61/, Gewichtstheile Nährsalze, und darin nur 
21/, Gewichtstheile Phosphorsäure; in der dritten Sorte 
nur 3/50 Gewichtstheile Phosphorsäure. 
In 1000 Gewichtstheilen Roggen-Mehl erster Sorte 
sind nur 131*/, Gewichtstheile Nährsalze, also 72/, Gewichts— 
theile weniger als im Korn, und anstatt 56/10 Phosphor⸗ 
säure nur 39/, Gewichtstheile. 
Das Korn zerfällt beim Mahlen in Mehl und Kleie, 
und da beide zusammen die Bestandtheile des Korns aus— 
machen, so ist es leicht einzusehen, daß die Nährsalze des 
Korns, welche im Mehl fehlen, in der Kleie enthalten sein 
müssen. I 
In der That zeigt die Analyse, daß die Weizen⸗-Kleie 
in 1000 Theilen 53 bis 60, die Roggen-Kleie 51 Gewichts⸗ 
theile Phosphate, die erstere also nahe dreimal, die andere 
über 21/mal mehr Phosphate als das Weizen- und Roggen⸗ 
Korn enthält; sie zeigt ferner, daß in 100 Gewichtstheilen 
der Nährsalze in beiden Kleiensorten enthalten sind: 
IJ Weizen-Kleie: Roggen-Kleie: 
Phosphorsäure .... 2433.... 21,03 
Käli.. . . . 30,12... . 233,03 
r Kalk 
vhotyhersaun rerde 43,93.. . . 50,96 
g Eisen 
Aus diesen Analysen ergibt sich, daß nahe die ganze 
Hälfte der Nährsalze, die im Mehle fehlen, aus phosphor— 
nurem Kalk und Bittererde besteht, und daß es dieser Man⸗ 
gel an den Phosphaten der alkalischen Erden im Mehle sein 
muß, welcher sich in der Ernährung besonders fühlbar macht, 
weil diese für die Bildung, Vermehrung und Erhaltung des 
Knochengerüstes ganz unentbehrlich sind. 
In der Thierzucht hat man in dieser Beziehung sehr 
bemerkenswerthe Erfahrungen gemacht. 
In einem am 27. März 1867 in Dresden gehaltenen 
Vortrag „über die Ernährung vom chemischen Standpunkte“ 
bespricht Dr. Haubner den Einfluß der Salze auf den kör— 
perlichen Zustand der Thiere, und hebt namentlich die hohe 
Bedeutung der Phosphate hervor: „Wenn Thiere nur mit 
Kartoffeln und Rüben, die nur sehr wenig Phosphate ent— 
—RVVD— Ernährungszustande 
zurück, werden schwach, hinfällig und morsch in den Knochen. 
Sie nehmen alsbald aber zu, wenn sie nur phosphorsauren 
Kalk bekommen, um so mehr, wenn gleichzeitig Protein— 
Verbindungen gegeben werden. Man glaubt hiedurch die 
Thiere größer und kräftiger zu machen; Riesen wird man 
aicht erziehen können, aber Zwergwuchs, Verkümmerung der 
Wirbelsaäule und der Extremitäten lassen sich durch Dar— 
reichung hinlänglicher Mengen von phosphorsaurem Kalk ver⸗ 
hüten. Füttert man Tauben mit Getreide ohne Kalk, so 
terben sie alsbald; ebenso kümmern Kälber und Ferkel, wenn 
man ihnen diesen entzieht.“ 
Sehr merkwürdige Erfahrungen über den Einfluß des 
Mangels an Nährsalzen auf die Ausbildung und Fortent⸗ 
wicklung besonders jugendlicher Thiere (Fohlen) sind kürzlich 
von Professor Dr. Roloff in Halle in Virchow's Archiv be— 
kannt gemacht worden. 
Diese Thatsachen haben einen hohen Werth, und ihre 
Bedeutung für die Ernauͤhrung der Menschen läßt sich nicht 
berkennen, wenn man beachtet, daß das Brod, in Deutsch⸗ 
land wenigstens, weitaus die überwiegende Nahrung der Be⸗ 
bölkerung auf dem Lande ist. Viele Aerzte haben, wie ich 
zlaube, mit allem Recht die nächste Ursache der Entstehung 
des Scorbuts auf Schiffen in dem Genuß des Salzfleisches 
gesucht, welches, da dem Fleisch beim Einsalzen ein Theil 
der Phosphate entzogen wird, weniger von diesen Nährsalzen 
als das frische Fleisch enthaͤt; aber der Scorbut kommt 
auch in Gefängnissen vor, in welchen das Salzfleisch keinen 
Beftandtheil der Diät der Gefangenen ausmacht, und es 
liegt hier nahe genug, die Entstehung des Scorbuts mit dem
	        
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