Volltext: Der Naturarzt 1869 (1869)

schon aus dem Grunde verwerflich, weil sie durch ihre große 
Nachgiebigkeit das Zusammenkauern der Kinder begünstigen 
und dadurch leicht eine Verkrümmung des Rückgrathes be— 
fördern. “ J 
Der Satz S. 107: „Eine der verderblichsten Moden 
ist es, den Knaben zu frühzeitig Beinkleider (Hosen) anzu— 
ziehen. Manche zärtliche Mutter, welche ihren kaum zweijäh— 
rigen Liebling, in eine allerliebste Hose gekleidet, ihrem Gatten 
an irgend einem festlichen Tage zur angenehmen Ueberraschung 
vorstellt, weiß nicht, was sie ihrem Söhnchen mit den aller— 
dings so nett und zierlich kleidenden Hosen für ein gefähr— 
liches Geschenk gemacht hat. Die Nachtheile der Bein— 
kleider für zu kleine Kinder bestehen besonders darin, daß sie 
erstens von den Kleinen zu oft mit Urin und Koth besudelt 
werden und dadurch zu großer Uureinlichkeit Veranlassung 
geben; zweitens sind die Beinkleider, um schön an den Körper 
zu schließen, meistens zu enge, wirken durch ihre Pressung 
störend auf die Verdauung und verursachen nicht selten Rei— 
bungen, Quetschungen und sogar Verlagerungen der Gedärme; 
drittens erhitzen und reizen sie durch das beständige gelinde 
Reiben im Schritte oder beim Sitzen die Geschlechtstheile 
und werden dadurch eine oft unerkannt gebliebene Ursache 
der furchtbaren Unart der Selbstbefleckung, welche selbst bei 
Kindern von drei bis vier Jahren nicht selten angetroffen 
wird. Wir rathen daher allen besorgten Eltern auf das 
Dringendste, ihren kleinen Söhnchen nicht vor dem vollen— 
deten vierten Jahre Hosen anzuziehen, und alsdann genau 
darüber zu wachen, daß dieselben hinreichend weit seien und 
zur Vermeidung eines nachtheiligen Druckes auf Brust und 
Unterleib weder fest an den Leib anliegen, noch durch Hosen— 
träger oder über die Achseln laufende Bänder befestiget, sou— 
dern lediglich an ein eigens zu diesem Behufe verfertigtes 
bequemes Leibchen angeknöpft werden.“ — 
Der Satz S. 108:„Zum Schlusse noch eine höchst 
dringende und ernste Warnung vor den im höchsten Grade 
verderblichen Schnürbrüsten, mit welchen unver— 
nünftige und herzlose Mütter ihre kaum drei- bis vierjäh— 
rigen Töchterchen, ja nicht selten sogar die Söhnchen beschenken, 
wobei sie noch von dem Wahne befallen sind, ihren Kleinen 
mit diesem Marterwerkzeuge eine Wohlthat zu erweisen.“ 
Der Satz S. 113: „Bei einer so tief eingewurzelten 
und allgemein verbreiteten Unsitte (des Tragens von Ohr— 
ringen und Ohrgehängen) kann man wohl, von wahrer Hu— 
manität und Menschenfreundlichkeit bewogen, die Unzweck— 
maͤßigkeit und Unklugheit derselben besprechen; man darf sich 
aber nicht einbilden, dieselben durch die ersten verständigen 
Gründe bannen zu können.“ 
Der Satz S. 137: „Nähre dein Kind, so wie 
du es überhaupt erziehen sollst, nämlich natur— 
gemäsßt.“ Wir haben leider gesehen, daß Verfasser dem 
Worte „naturgemäß“ eine sehr weitgedehnte, wenn auch 
wenig naturwahre Auslegung zu Theil werden ließ. Diesem 
Mangel an Naturverständniß begegnen wir leider bei den heu— 
tigen naturverderbenden Verhältnissen überhaupt gar oft, ab— 
gesehen davon, daß von Charlatanen sogar Lebenswecker, Sem⸗ 
mel⸗, Hunger- und Durstkuren als „naturgemäße“ ausge— 
legt werden. 
Die Sätze S. 138, 143, 144 und 147: „Seit den 
ältesten Zeiten war man bemüht, aus feststehenden That— 
sachen jenen Zeitpunkt aufzufinden und zu bestimmen, in 
welchem die Kinder der flüssigen Nahrung aus der Mut— 
lerbrust entbehren und zur Nahrung der Erwachsenen über— 
gehen können. Viele Völker des Orients, die sich eines kräf— 
igen Körperbaues zu erfreuen hatten, ließen ihre Kinder bis 
zinm vollendeten dritten Lebensjahre einzig und allein an der 
Mutterbrust ernähren; andere bis zum vollendeten Durch— 
zruche aller Milchzähne, also bis gegen Ende des zweiten Le— 
bensjahres.“ — — S. 143: „Die Milch, als ein noch leben— 
diger Bestandtheil des im mütterlichen Körper kreisenden 
Blutes ist gewiß demjenigen Nahrungsstoffe des Kindes, aus 
welchem dasselbe vor der Geburt entstanden ist, ähn— 
iicher, als alle übrigen Stoffe, die sonst in der Natur auf— 
gefunden werden können. Genaue Beobachtungen und Ver— 
suche haben daher gelehrt, daß eine aus der Mutterbrust 
suellende und von Mutterliebe belebte Milch, sobald sie in 
den kindlichen Magen gelangt, fast unverändert von den Saug— 
adern aufgenommen wird und solcher Weise ganz wie früher 
das rothe Blut der Mutter zur besten Ernährung aller Theile 
des kindlichen Organismus verwendet werden kann, ohne erst 
alle jene Umwandlungen durchmachen zu müssen, zu denen 
die kindlichen Verdauungswerkzeuge ohnedies noch nicht voll— 
ständig geeignet sind.“ — 
„Die Natur hat also selbst dafür gesorgt, daß der kind— 
liche Organismus so lange mit einem dem Blute ähnlichen 
Ernährungssafte versorgt werde, als seine eigenen Verdauungs— 
organe ihm denselben zu bereiten nicht im Stande sind.“ 
„Diese Periode der kindlichen Verdauungsschwäche dauert 
aber, wie die neuesten Beobachtungeu gelehrt haben, bis 
zum vollständigen Erscheinen aller zwanzig 
Milchzähne, also bis zum vollendeten 2lsten Le— 
bensmonate.“ — — S. 144: „Will man daher der 
Natur, dieser besten Lehrmeisterin folgen, so muß man die 
Säuglingsperiode bis zum vollendeten 2lsten 
Lebensmonate verlängern und die Neugebornen 
während dieser ganzen Zeit ausschließlich an 
der Mutterbrust ernähren*)“. — — S. 147: „Durch 
das Saugen des Kindes an der Mutterbrust schlingt sich 
um beide ein geheimnißvolles Band, welches der Mutter eine 
'ast zauberhafte Gewalt über ihr Kind verleiht, eine Gewalt, 
die sich weit über die Kinderjahre hinaus ungeschmälert er— 
hält. Von dem Vorhandensein dieses Einflusses kann man 
sich täglich vielfach überzeugen, wenn man sieht, wie innig 
leine Kinder an ihren Ammen hängen, während sie ihren 
Müttern mehr oder weniger entfremdet sind, wie sie den 
Erstern auf den leisesten Wink Folge leisten, während die 
Letztern sich oft nur durch angewandte Strenge Gehorsam zu 
erzwingen vermögen. Und obschon wir nicht der Ansicht sind, 
daß die in dem Kinde vorhandenen Anlagen durch die ein— 
gefaugte Milch gänzlich umgeändert werden können, so wollen 
wir doch auch nicht in Abrede stellen, daß die schon be— 
stehenden Anlagen zum Zorne, zur Trunkenheit, zur Wollust, 
ja selbst zum Diebssinn durch die Milch einer gleichgearteten 
Amme oder Mutter verstärkt werden können, und daß somit 
*) Wir heben ausdrücklich diese Sätze gesperrt hervor, da sie mit 
uinserein im „Prakt. Handbuch J. Abth. S. 75 Ausgesprochenen im Ein⸗ 
klang stehen. Der entgegenstehende Rath des H. pens. Rittm. J. K. in 
anserm Blatte Nr. 22 des vor. Jahrg. konnte nur auf eine kränkliche, 
schwache Mutter Bezug gehabt haben. Regel bleibt die obige Zeitangabe, 
18 -21 - 24 Monate. 
Der Herausgeber.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.