Volltext: Der Naturarzt 1869 (1869)

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quelle bei Muskelarbeit die neuere Lehre bestätigen, 
daß diese Kraftquelle allein in stickstofffreier 
Nahrung zu suchen ist, also am reinsten aus 
oegetabilischer Nahrung stammt. Bei stickstoffhal— 
tiger Zufuhr müssen die Eiweißstoffe durch Einwirkung der 
Leber auf die Blutkörper zuvor zerlegt werden, um dem Ge— 
webe des Muskels stickstoffloses Material als Kraftquelle zu 
Gebot zu stellen. — 
Es ist sehr zu bedauern, daß Männer, wie die Pro— 
fessoren Liebig, Voit und Bock, die sich auf der her— 
vorragendsten Höhe der Wissenschaft befindlich wähnen, diese 
neuesten Arbeiten nicht kennen oder bei ihren populären 
Arbeiten nicht kennen wollen. Die genanten Drei haben 
wenigstens noch kürzlich über die Ernährungstheorie Dinge 
geschrieben, die von der Wissenschaft abgethan sind, 
ganz abgesehen von dem Widerspruch der unzuünftigen For— 
scher. Wo bleibt da Zuverlässigkeit und wissenschaftlicher 
Ernst? — — 
Ein Hospital-Bericht. I 
Was ich heute mittheile, hat mit dem Inhalt der übri— 
gen Artikel nur einen losen Zusammenhang. Und doch, wenn 
wir einsehen, daß der Fleischgenuß uns krank macht, daß es 
also nicht der Wille des Schöpfers war, daß wir andere 
Geschöpfe verzehren sollten, so kommen wir bald dahin, das 
Schlachten als eine unberechtigte Grausamkeit anzusehen. 
Und jede andere Grausamkeit, die unter irgend welchem Deck 
mantel gegen Thiere verübt wird, empört uns um so tiefer, 
als sie nachweisbar auch stets zur Grausamkeit gegen Men— 
schen führt. — Wenn nun gar eine Heilanstalt, die vom 
Staate reich ausgestattet und eingerichtet ist, um Kranke zu 
heilen, die Kranken nicht heilt und dafür Thiere zu angeb— 
lich wissenschaftlichem Zwecke zu Tode martert — so fehlen 
der Sprache Worte, um die natürliche Entrüstung gebührend 
auszudrücken. eee J 
Der „Bericht der k. k. Krankenanstalt Ru— 
dolph-Stiftung in Wien vom Jahre 1867 (ver— 
öffentlicht durch die Direktion im Auftrage des k. k. Mini—⸗ 
steriums des Innern)“ enthüllt ein trauriges Bild von der 
Kranken-Behandlung auf dem sog. wissenschaftlichen Wege. 
Allenthalben die reichlichste Arzneianwendung, am liebsten nach 
der neuesten Mode durch Einimpfungen unter der Haut, um 
so die Gifte möglichst direkt in das Blut zu bringen; allent— 
halben peinliche Sorgfalt mit der Diagnose und am liebsten 
darauf Sektion des Gestorbenen, um das Zutreffen der 
Diagnose zu prüfen. Das Heilen ist dabei Nebensache, wie 
z. B. der Typhus erkennen läßt. Es sind 199 Typhus— 
Kranke in die Anstalt gekommen und davon 40 gestorben. 
Nach dem einstimmigen Urtheil solcher Aerzte, welche die 
Wasserbehandlung selbst in den bösartigsten Epidemien geübt 
haben (z. B. Dr. Brandt in Stettin), wären diese 40 durch 
Wasser fast ausnahmslos zu retten gewesen. Das hat man 
gewußt, aber nicht in Anwendung gebracht, weil „der Wasser— 
bezug unserer Anstalt eine längere Zeit währende Störung 
erlitten.“ — Im nächsten Jahre soll es mit Wasser ver— 
sucht werden, damit mögen sich die 40 Menschen trösten, 
die in diesem Jahre noch sterben mußten. Um ein Men— 
schenleben zu retten, war kein Eimer Wasser anzuschaffen. 
Dafür hat man aber die Wissenschaft auf andere Weise 
bereichert, nämlich durch Ausübung der grausamsten Thier— 
quälerei, die kein Kannibale entsetzlicher erdenken könnte. Man 
hat nämlich 30 Hunde bei lebendigem Leibe gebraten und 
gesotten! Seite 172—183 des Berichts schildert die ver— 
übten Scheußlichkeiten genauer. Die zum lebendig Gebraten— 
werden bestimmten Hunde hat man mit Terpentinöl bestri— 
chen und dann angezündet und diese Prozedur 5—510 mal 
wiederholt und die lebendig Gesottenen hat man 8-ÿ10 mal 
mit siedendem Wasser übergossen. Und was hat man dabei 
ür die Wissenschaft gewonnen? Das Resultat, daß die Hunde 
sämmtlich elend umgekommen sind, daß gebratene Haut an— 
ders aussieht, als gesottene, und daß das Fleisch unter der 
Haut um so heißer wird, je öfter die Stelle mit brennen— 
dem Terpentin gebraten wird! — Als ob das nicht jedes 
Kind auch ohne Probe im Voraus wissen könnte. Die Haut 
schaudert Einem, wenn man solche Gräuel liest, und das 
nennt man wissenschaftliche Arbeiten! Verbrechen, die mit 
schwerem Zuchthaus zu strafen sind, wäre eine richtigere Be— 
nennung. Der Mann, der diese „experimentellen Studien“ 
anstellt, nennt sih Dr. Gustav Wertheim, k. k. Primar— 
arzt und er fühlt sich dem Prosektor, Professor Klob, zu 
aufrichtigsten Dank für freundliche Gewährung des Lokals 
verpflichtet, versichert auch, daß diese Untersuchungen im Augen— 
blicke noch fortgesetzt werden! Gnade Gott den armen Men— 
schen und den armen Thieren, die in die Hände solcher Aerzte 
fallen — dann doch lieber unter Kannibalen, die erschlagen 
ihre Opfer, ehee sie sie braten!“) — 
7. 
Charlatanerien. 
Schwindel, Humbug, Charlanterie altern niemals. Es 
geht damit, wie mit dem Hute in Gellerts Fabel: Der Hut 
blieb alt, die Form ward neu. Der Kampf mit diesem 
Proteus ist darum immer erfolglos; denn wird z. B. heute 
der „Königstrank“ todtgeschlagen, so steht er morgen als 
„Kaisertrank“ wieder auf. — Und doch blutet Einem das 
Herz, wenn man diese Harpyen sieht, die am Wege des 
armen Leidenden lauern, die sich gierig auf seine Wunden 
stürzen und aus seinen Qualen hohnlachend — Thaler schlagen. 
In allen möglichen Zeitungen und Kalendern liest man 
seit längerer Zeit folgendes Inserat: „Die Lungenschwind— 
sucht wird naturgemäß ohne innerliche Medizin geheilt. Adr. 
Dr. H. Rottmann in Mannheim.“ Kranke, die sich 
an diese Adresse wenden, erhalten zunächst die Aufforderung, 
3 Thaler einzusenden und das Versprechen zu geben, die 
demnächstigen Mittheilungen nicht weiter mittheilen zu wol— 
len. Aus dem Nachlaß eines an der Schwindsucht Gestor— 
benen erhielt ich die betreffende Korrespondenz. Die Briefe 
des Dr. Rottmann sind lithographirt — ein Beweis, daß 
das Geschäft gut geht. Die Heilmittel, welche Dr. Rott— 
mann den armen Unglücklichen für 3 Thaler empfiehlt, sind 
zinige allgemein bekannte diätetische Regeln und der Rath, 
täglich mehrere Male durch eine Papierröhre von 2 Fuß 
Länge ein- und auszuathmen, um „durch erhöhte Thätigkeit 
der Lungenflügel die Brust zu erweitern ꝛc.“ Ferner sind 
sieben lithographirte Rezepte beigefügt, davon drei zu Ein— 
ceibungen und vier zum Einnehmen und das nennt der Herr 
*) Man vergleiche hiezu: Naturarzt 1867, S. 48, Medizinische Kli— 
niken; ferner 1867, S. 16, Unbarmherzigkeit, und endlich 1867, S. 71, 
Vivisektion. 3 Der Herausgeber.
	        
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