Volltext: Der Naturarzt 1869 (1869)

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keit wieder ausgeglichen und das Nervenleben wieder in das 
natürliche Gleichgewicht gesetzt. Immerhin jedoch spare man 
diese warmgenäßten Flanellaufschläge so viel als möglich und 
bedenke man ferner, daß auch sie nicht all' und jeglichen 
Schmerz sofort und gänzlich zu bannen vermögen. Es wäre 
sogar nicht einmal gut, wenn man Jahr und Jahrzehnde 
lang gegen die Natur und ihre Gebote sündigen und dann 
die enduch erfolgende Strafe im Nu wieder aufheben koͤnnte; 
mehr oder weniger, und kürzer oder länger hat man sich 
immer in sie zu fügen, sich unter das Strafgesetz der Natur 
zu beugen, — es soll ja aͤls Mahn- und Weckruf zur Ein— 
lenkung in bessere und richtigere Wege dienen. Nur erst die 
Erkenntniß solchen Werthes aller Schmerzen und alles Krank— 
seins vermag der naturgemäßen Heil⸗ und Lebensweise all⸗ 
gemeinere Ausbildung und Ausbreitung zu verschaffen. J 
— — — 
Ztudien über Gesundheit und Krankheit. 
Von Alfred v. Seefeld. 
5. 
Theoretisches. 
Ein befreundeter junger Mediziner hat mir Berichte 
mitgetheilt, welche von dem Professor G. Meißner in Göt— 
tingen über seine neuesten physiologischen Arbeiten veröffent— 
licht sind. Ich habe dieselben mit der größten Aufmerksam— 
keit gelesen und bei der Lesung die hohe Freude empfunden, 
die es immer gewährt, wenn man einem ausgezeichneten For⸗ 
scher zu den Ergebnissen seiner ernsten, mühevollen Arbeit 
olgen darf und sieht, wie redlich Alles aufgeboten wird, die 
Waͤhrheit zu finden, und den Irrthum auszuschließen, und 
doch wieder mit welcher Vorsicht und Bescheidenheit die Mög— 
lichkeit des Irrthums zugegeben wird. Die Aufsätze sind be— 
nannt „Beiträge zur Kenntniß des Stoffwechsels im thieri— 
schen Organismus“ und behandeln: IAA den Ursprung der 
Harnsäure des Harns der Vögel; 5) den Ursprung des 
Harnstoffs im Harn der Säugethiere und 6) die Ausschei— 
dung von Kreauͤn, Kreatinin und einigen andern stickstoff⸗ 
haltigen Umsatzprodukten bei Säugethieren. 
Meinen durchweg praktischen Zwecken liegt es natürlich 
fern, zu versuchen, dem Leser diese speziellen Themata mund— 
gerecht zu machen. Wichtig ist für mich, daß sich in diesem 
wissenschaftlichen Material auch nicht der geringste An— 
haltspunkt findet, welcher gegen mein Thema, daß für den 
Menschen die vegetabilische Nahrung die beste sei, nutzbar 
gemacht werden könnte. — 
Wohl aber ließe sich für mein Thema Verschiedenes 
daraus eutnehmen. Es ist bekannt, daß Hühner eben so gut 
ausschließlich von Fleischnahrung wie von Koörnerfutter exi⸗— 
stiren können. Nun sagt Professor Meißner, daß sie bei 
Fleischnahrung Exkremente liefern, welche sowohl im äußeren 
Ansehen, als auch in der chemischen Beschaffenheit vollkom— 
men den Exkrementen fleischfressender Vögel gleichen. Wenn 
das mit der abgenutzten Nahrung der Fall ist, sollte ich 
dann nicht auch annehmen dürfen, daß es mit der benutz— 
ten ebenso sein wird und daß die Blutkörperchen bei Fleisch— 
nahrung denen der Fleischfresser und bei Pflanzennahrung 
denen der Pflanzenfresser gleichen werden? Und sollte sich 
beim Menschen nicht auch dasselbe Gesetz geltend machen? 
Diese Möglichkeit zugegeben, so erhält Das, was Meiß— 
ner über Lebensfähigkeit und Lebensdauer der Blutkörper 
agt, eine weitreichende praktische Bedeutung. Ich zitire 
inige Sätze wörtlich: „Was man Lebensfähigkeit und Lebens⸗ 
auer der Blutkörper nennen kann, ich meine die Zeit, wäh⸗ 
end welcher ein Blutkörper noch auf der Höhe seiner Lei⸗ 
tungsfähigkeit bleibt, ist höchst wahrscheinlich verschieden bei 
gleischfressern und Pflanzenfressern. Da die Fleischfresser 
sei reichlicher Ernährung einen viel reichlichern Nachwuchs 
jon Blutkoörpern haben, als die Pflanzenfresser, so ist es 
vahrscheinlich, daß die Blutkörper der Pflanzenfresser auch 
änger ausdauern können, also im Allgemeinen wider⸗ 
tandsfähiger gegen zerstörende Einwirkungen 
sind, als die der Fleischfresser.“ Nun wird ausgeführt, 
vie die verschiedensten zerstörenden Wirkungen: Orydation, 
Elektrizität, Säuren und Alkalien das Blut der fleischfressen— 
den Thiere viel leichter zersetzen, als das der Pflanzenfresser. 
Das Maß des Widerstandes des Blutes gegen Natronlauge 
war z. B. beim Typhuskranken — 1, beim Hunde 2, bei 
der Katze 12, beim Pferde 2400, beim Rinde 43,200. „Kein 
Gewebe im Körper muß so bis zum letzten Augenblicke des 
Lebens bethätigt sein, wie die Blutkörper, die Vermittler des 
ohysiologischen Orxydationsprozesses, denn letzterer ist 
das Leben.“ 
Ich erlaube mir nun, aus den mitgetheilten, wenn auch 
abgerissenen, doch nicht ihres eigentlichen Sinnes entkleideten 
Saͤtzen Folgendes herzuleiten. Die Blutkörperchen sind die 
arsprünglichen Vermittler aller Lebensprozesse. Das Leben 
ind die Gesundheit müssen um so gesicherter erscheinen, je 
nehr die Blutkörper im Stande sind, zerstörenden Wirkun⸗ 
gen zu widerstehen. Bei Pflanzenfressern ist das in bei wei⸗ 
em höhern Grade der Fall, als bei Fleischfressern. Beim 
Menschen muß das Blut bei Fleischnahrung dem Blute der 
Fleischfresser, bei Pflanzennahrung dem Blute der Pflanzen⸗ 
fresser gleichen. Also muß das Blut, die Lebensquelle des 
Menschen, bei Pflanzennahrung viel größere Widerstands— 
zähigkeit gegen Schädlichkeiten besitzen, als bei Fleischnahrung, 
ind z. B. alle Krankheiten, die auf Blutzersetzung beruhen: 
Typhus, Cholera, Schwindsucht, Krebs u. s. w., müssen bei 
Fleischnahrung leichter, bei Pflanzenkost sehr viel schwerer 
entstehen können. 
Daß sich letzteres thatsächlich so verhalte, ist von der 
Erfahrung genügend bestaͤtigts). Darum ist es für praktische 
Zwecke gleichgültig, ob diese wissenschaftliche Hypothese zutrifft 
oder nicht und ich sehe recht gut, daß derartige Spekulatio— 
nen ihr Mißliches haben. Immerhin wäre es aber wichti⸗ 
ger als tausend andere Experimente, wenn die Wissenschaft 
Hersuchen wollte, zu erforschen, welche nachweisbare Verschie⸗ 
enheit das Blut bei pflanzlicher oder thierischer Nahrung 
inimmt. Das wäre wenigstens ein Weg, um Deujenigen 
Henüge zu leisten, die noch chemische Beweise haben müssen 
für Erscheinungen, die sie im Leben mit Haͤnden greifen 
können. 
Der gering zugemessene Raum verbietet mir, mih ein— 
gehender in die Theorie zu vertiefen, so viel Interessantes 
auch vorliegt. Doch will ich schließlich noch kurz erwähnen, 
daß Professor Meißner's Untersuchung über die Kraft— 
*) Man vergleiche hiezu die mannigfachen Aufzählungen in: Hahn, 
Naturgemäße Diät, S. 197 - 272. — IJ 
Der Herausgeber. 
— — —
	        
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