Volltext: Der Naturarzt 1869 (1869)

dem Feinde gefährlich ist? Aus ihren Standquartieren, den 
Apotheken, werden diese Schaaren auf den schriftlichen Befehl 
einer Art von Oberen, den Aerzten, die zwar mit einer ge— 
wissen Vollmacht über sie bekleidet, aber meistens gar nicht 
im Stande sind, für ihre Leistungen und ihr Benehmen ein— 
zustehen, beordert und, wie der berühmte Arzt Zimmer— 
mann sich spottend ausdrückt, mit dem Befehl in den Leib 
der Kranken geschickt, dort gegen die Krankheit zu fechten und 
sie zu tödten. Der Arzt bleibt natürlich als général en chef, 
als Oberfeldherr dem Gefechte selbst fern; er begnügt sich, 
bei seinen täglichen Recognoscirungen immer neue schriftliche 
Befehle auszufertigen, immer neue Truppen gegen den Feind 
vorzuschieben, da ja an dem streitbaren Volke kein Mangel 
und Napoleon's des Ersten Grundsatz, durch Massen, 
den sogenannten chair à canon (Kanonenfutter) zu wirken, 
bei unsern Aerzten die unbedingteste Anerkennung gefunden 
hat. Der unglückliche Kranke, der es nun merkt, daß er eine 
Verbindung auf Tod und Leben geschlossen, sieht jetzt sein 
Gebiet von den widerlichen Schaaren, die zu seiner Ver— 
theidigung aufgeboten worden, überfluthet; der Druck der Ein— 
quartierung wird immer lästiger, das Treiben der zügellosen 
Soldateska immer wilder, und wenn nicht endlich sich noch 
die eigene treue Bevölkerung, die im Innern schaffende Lebens— 
und Heilkraft zu einer allgemeinen Schilderhebung emporrafft 
und Freund wie Feind aus dem Lande wirft, so geht dieses an 
den vereinten Anstrengungen Beider unrettbar zu Grunde. 
„Wenn es nicht blos ein Elend mit dem andern F 
„Vertauscht soll haben, muß das arme Land 
„Von Freund und Feindes Geißel gleich befreit sein. 
Questenberg in: „Die Piccolomini“. 
Allle die Steine, Pflanzen, Thiere, denen die glühende 
Phantasie der arabischen Aerzte wunderbare Heilkräfte beige— 
legt, sie spielen noch immer eine Rolle in unserm Arzneischatze, 
und die „reiche Armuth“, zu welcher derselbe im Laufe der 
Jahrhunderte angeschwollen, gibt Zeugniß davon, daß es auch 
unter andern Himmelsstrichen an solch' glühender Phantasie 
nicht gemangelt habe. Was ist dagegen aus der edeln Einfach— 
heit, mit welcher der Gründer aller heutigen Medicin, der 
durch sein großartiges ärztliches Talent der Beobachtungsgabe 
bis jetzt noch unübertroffene Hippokrates, nach welchem 
die Aerzte so unwahr ihre heutige Heilmethode benennen, und 
die von seinem Geiste geleiteten Aerzte des Alterthums ver— 
fuhren, was ist aus den Grundsätzen geworden, die sie als 
oberste Richtschnur aller und jeder Heilkunde, soll diese wahr— 
haft ersprießlich und segensreich wirken, aufgestellt? Diese 
Grundsätze waren aber keine anderen, als die Erkenntniß, daß 
die schöpferische Lebendigkeit als die Endursache aller bildenden 
und bewegenden Thätigkeit, als das innere Band ihrer organi— 
schen Einheit zugleich auch den Proceß der Heilung von krank— 
haften Mißverhältnissen einleitet und durchführt und sich inso— 
fern als die Heilkraft der Natür zu erkennen gibt; daß 
der Arzt nur der Diener derselben sein könne, indem er mit 
sorgfältigster Beobachtung die Erscheinungen 
erspäht, durch welche sich das selbstthätige Heil— 
wirken der Natur beurkundet, in welches er nie— 
mals eigenmächtig eingreifen darf, und daß seine 
thätige Hülfe sich darauf beschränken muß, die 
Natur in ihren Bemühungen vorsichtig zu unter— 
stützen und die ihr dabei entgegentretenden Hinder— 
nisse aus dem Wege zu räumemn. Diesen Grundsätzen 
gemäß bedienten sich auch jene Aerzte der diätetischen Mittel 
als ihrer wirksamsten Waffe gegen Abweichungen vom gesunden 
Lebensprocesse und griffen nur in den seltensten Fällen zu 
räftigern Heilmitteln; ihre Krankenhäuser, die Tempel des 
Aeskulap, waren auf luftigen Höhen und in der Nähe vortreff— 
icher Quellen angelegt, und eine geregelte Lebensweise, die 
trengste Sorge für Reinlichkeit und Mäßigkeit gaben in den— 
selben die Hauptpfeiler des damaligen Heilverfahrens ab. — 
Wölbt sich auch der ewig heitere Himmel Griechenlands nicht 
iber uns; hat auch die Lebensweise im Laufe der Zeiten einen 
anderen Charakter angenommen, sind auch neue Krankheiten 
entstanden, die wegen der schnellen Zerstörung, welche sie dem 
Leben drohen, oft eine eingreifende Behandlung dringend er— 
heischen: immer wird jene sinnige Einfachheit ein leuchtendes 
Vorbild bleiben, und für alle Zeiten werden die Grundsätze, 
aus deren fruchtbarem Boden sich jene zur schönen Blüthe 
entfaltete, den festen, unverrückbaren Leitftern für jedes ärzt— 
liche Wirken abgeben müssen. 
Daß es aber eines so zusammengesetzten und gefährlichen 
Arzneischatzes für die Fälle, in denen überhaupt noch Hülfe 
möglich, gar nicht bedarf, und daß man ruhig entwaffnen und 
ene Söldner verabschieden könne, das einzusehen wird das 
hülfsbedürftige Publikum erst dann befähigt sein, wenn es sich 
zinen naturgemäßeren Begriff vom Wesen der Heilung über— 
haupt angeeignet haben wird. Es gibt nämlich vielleicht keinen 
Ausdruck, der in solchem Grade mißverstanden, so dunkel, un— 
flar und verworren von der Mehrzahl der Menschen aufgefaßt 
wird, als gerade das Wort „Heilen“. Gewöhnlich versteht 
nan darunter etwas durchaus Thätiges, Positives, und stellt 
ich die Sache so vor, als würde beim Heilungsproceß der 
Krankheit direct und geradezu durch irgend eine Einwirkung 
mit Gewalt ein Ende gemacht. Diese äußeren Einwirkungen, 
denen solche Macht angeblich innewohnt, nennt man „Heil⸗ 
mittel“ oder schlechtweg „Mittel“, und Derjenige, dem diese 
Mittel und ihre Wirkungen bekannt sind, ist der Arzt oder 
Heilkünstler. Gegen jede Krankheit gibt es dieser Auffassung 
nach ein Mittel, und derjenige Arzt, der die Krankheit erkennt 
ind nun auch gleich über das entsprechende Mittel verfügt, der 
vird natürlich der beste sein. Da es nun so vielerlei Krank— 
jeiten gibt, so folgt daraus von selbst, daß man auch einer 
Menge von Mitteln bedürfe, und jedes neue Auftauchen eines 
olchen wird demnach als ein Gewinn für die gesammte 
Menschheit betrachtet, und die große Zahl der schon vorhan— 
denen derartigen Heiligen freudig mit einem neuen Mitgliede 
bermehrt. Tritt man in eine Apotheke und erblickt die Schaar 
olcher Heiligen (daß sie indeß meistens etwas ganz Anderes 
und nichts weniger als Heilige sind, ist schon oben bemerkt 
worden), die da alle blank und nett, mit glänzenden Inschriften 
zeschmückt, friedlich neben einander stehen: so durchzuckt Einen 
eine rechte Freude, daß es dem menschlichen Scharfsinn und 
Erfindungsgeist gelungen, ein solches Heer gegen den bösen 
Feind der Krankheiten aufzubieten, und es gelüstet Einen 
ardentlich, mit dem Gegner anzubinden, da ja der Sieg bei 
solcher Hülfe nicht zweifelhaft sein könne. — Jener Auffassung 
st es denn auch ganz gemäß, daß die meisten Menschen, sobald 
sie sich unwohl fühlen, den Arzt kommen lassen und ihm kurz— 
weg aufgeben, ihre Krankheit zu untersuchen und dann das 
entsprechende Heilmittel zu verordnen. Wird der Kranke besser, 
so hat der Arzt das richtige Mittel getroffen und wird als 
geschickt bezeichnet. Tritt der Tod ein, so klagen Manche den
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.