Volltext: Der Naturarzt 1869 (1869)

und Gewissensunruhe bekämpfen und betäuben zu können 
durch allerlei äußerliche und Gewaltsmittel, und wieder giebt 
es auch Fehlende und Frevler an den Gesetzen des Leibes 
und seiner Gesundheit, die da meinen, Krankheiten blos 
zußerlich und durch Gewaltsmittel (als Arzneien, Aderlässe ꝛc.) 
bekämpfen und stumm und todtschweigen zu können; aber 
wie sich bei Jenen das vielleicht wohl beschwichtigte Ge— 
wissen doch immer wieder regt und nicht zur seligen Frie— 
densruhe kommen will, so auch bei den einmal despotisch 
stummgedokterten Leibern: immer zwickt's von Neuem, bald 
Jie, bald da, bald gichtisch, bald rheumatisch, bald als Ca— 
tarrh, bald als Entzündung, bald als Colik, bald als Mi— 
zräne, und je länger der Mittel verschreibende Despot, genannt 
Heilkünstler, die Krankheit seines gläubigen Patienten be— 
ämpft, je mehr häuft er die Krankheitsbedingungen für 
denselben und je mehr und mehr entweicht diesem das er— 
sehnte Ziel, das frische, frohe, freudige Gesundheitsgefühl! 
Nicht also das Kranksein und die Krankheit ist das 
Feindliche, das zu Bekämpfende, sondern einzig das Krank— 
werden; dies aber vermeidet und bekämpft man wirklich 
nur, wenn man das, was das Kranksein veranlaßt, d. h. die 
Krankheitsbedingungen, die Krankheitsursachen 
vermeidet. Ihnen ist Krieg zu erklären auf Leben und Tod, 
die ausgebrochene Krankheit aber ist der unter gegebenen 
Bedingungen bestmögliche Zustand des Leibes, sie ist der 
Ausdruck seines Lebensvorganges unter allerdings ungehö— 
rigen Lebens-⸗, d. h. hier Krankheitsbedingungen, aber sie ist 
immerhin der möglichst günstige Ausdruck des Lebens selbst, 
sie ist ein Heilvorgang. 
Wir sagten vorhin, daß dem Menschen unzählbar manig— 
faltige Gesundheitsbedingungen gesetzt sind und daß darum, 
wenn diese nicht immer seinem Bedürfniß gemäß vorhanden, 
ihm auch unzählbar oft die Bedingungen zur Abweichung 
vom Gesundsein, d. h. zum Krankwerden und Kranksein ge— 
geben sind. Doch, wie dem sittlichen, so gab auch dem leib— 
lichen Menschen Mutter Natur eine weitreichende Waffe mit 
auf den Lebensweg, damit sein Bestand nicht allzusehr und 
allzuoft gefährdet werde. Wie sie dem sittlich fehlen Wol— 
lenden das Gewissen zum treuen Geleiter gab, so dem leib— 
lich ixrren Wollenden den Instinkt, den Selbsterhal— 
tungstrieb. Der Selbsterhaltungstrieb, eine Aeußerungs⸗ 
form des Lebens, und also die Lebensthätigkeit selbst, steht 
vermöge gewisser Hülfs-Sinnesorgane allüberall an den 
Außenpforten des Leibes auf der Wache, ihn zu schützen vor 
allen Fährlichkeiten der Außenwelt. Blitzesgleich, wie das 
Gewissen die sittlichen Versuchungen der Seele, so telegra— 
phirt auch der Instinkt dem Leibe alle sinnlichen Fahrläs— 
sigkeiten, und alle schädlichen Versuchungen und Verlockungen, 
daͤmit er sich rüste zur Gegenwehr und widerstrebe dem, was 
da feindlich sich auf- und eindrängen will, damit er dann 
verscheuche und von sich stoße, was da stören will die schöne 
Friedlichkeit und Uebereinstimmung in seinem Lebens- und 
Leibesvorgang. Wohl dann dem Leibe, der da Folge leistet 
und den Mahnungen, auch den zartesten seines Instinktes, 
seines Selbsterhaltungstriebes Gehör zu geben vermag und 
sich nicht schwach finden läßt! Das Gewissen, das unge— 
trübte, wie der Instinkt, der unbeirrte, der naturgegebene 
Selbsterhaltungstrieb, sie sind unfehlbar uranfänglich, aber 
sie bleiben es nicht immer. Angewöhnung und Noth trüben 
und beirren Gewissen wie Instinkt gar leicht und gar oft 
md — ein Fehltritt führt zum zweiten und dritten und 
jundertsten und tausendsten. So wird der Mensch sündig 
ind so wird der Mensch krank. . 
Aber ist der Mensch, der sündige, stets und immer 
mrettbar dem sittlichen, und der kranke Mensch stets und 
mmer unrettbar dem leiblichen Tode verfallen? Doch nein, 
icher nicht. Die Natur hat für beide, für den Sünder, wie 
ür den Kranken, nachdem sie die Führung ihres ersten 
Zchutzengels, des Gewissens und des Instinktes aufgegeben 
der verloren, und kürzere oder längere Zeit in dem Sündig— 
ind Krankwerden verharrt haben, ein neues Mittel zur Um— 
ind Rückkehr in ihren Schooß geboten: sie läßt in Beiden 
zas Gefühl des Sündig- und des Krankseins so recht leb— 
saft und ausgeprägt in das Bewußtsein treten und zum 
lusbruch kommen, um damit das Gefühl des Bedürfnisses 
iach dem Wiedergewinn der verlorenen Unschuld, der ver— 
orenen Gesundheit, des verlorenen Paradieses, die Sehnsucht 
jach der sittlichen und leiblichen Wiedergeburt in ihnen zu 
vecken; sie schickt uber den Einen die Schmerzen der Reue, 
ind über den Andern die Schmerzen der Krankheit. Beide 
ind gleichbedeutende Zeichen, die einen des Heilbestrebens 
nder kranken, sündigen Seele, die andern des Heilbestre— 
»ens im erkrankten, gifterfüllten Leibe. Wohl dem Sünder 
ind wohl dem Kranken, die in solchem Hülfbestreben, in 
olchem Heilkampfe von Gewissen und Instinkt richtig ge— 
eitet und wenn nöthig, von ihrem Seelen- oder Leibarzte 
jemäß der Natur geführt werden, diesem Kampfe dadurch 
hen Siegel des Gelingens, die Zeichen der Besserung und 
der vollzogenen Genesung, der Heilung aufdrücken und so 
ich zurückerkämpft haben: das beruhigte Gewissen und den 
gesunden Leib. —W 
Wehe aber Denen, die im Kampfe unterlagen, die wohl 
ereueten und versprachen, sich zu bessern und nicht mehr 
reveln zu wollen am Sittengesetze oder leiblichen Natur— 
jesetze, die aber vergaßen, was sie in pein- und schmerz— 
mlagerter Stunde gelobt hatten und zurückfielen in das 
lleiche alte, sündige und gesundheitswidrige Leben. Sie sind 
neist verloren, für immer verloren und verfallen dem un— 
erbittlichen Gesetze der sittlichen und leiblichen Menschen— 
iatur. Wie sich solche Kämpfe um ihr besseres Selbst dann 
oohl noch hie und da und öfter und ernster selbst erneuern 
önnen, so finken doch Seele und Leib meist mehr und mehr 
n Schwäche, jeder neue Kampf läßt sie verderbter und 
»lender zurück und endlich verfallen sie, der Eine dem un— 
rbittlichen Richter mit dem scharfen Schwerte, der Andere 
em noch unerbittlicheren Richter mit der scharfen Sense — 
dem Tode. 
Krank also wird der Mensch, weil er den Mahnungen 
des Instinktes, des Selbsterhaltungstriebes, weil er seinem 
Naturgesetz wiederholt und immer wiederholt und in manig— 
sachster Weise zuwider lebt. 
Und es stirbt der Mensch, weil er, erkrankt, trotz solch 
ernster Mahnung nicht eingeht zur ernsthaften Reue und 
Besserung, sondern bewußt in Schwachheit oder Trotz, oder 
inbewußt, in Vorurtheil oder Unkenntniß verharrt in 
gesetzwidrigem Verhalten, weil er, statt seinen Leib nun dop— 
pelt sorglich vor gesetzwidrigen Bedingungen und Einflüssen 
— 
zu versetzen, ihn meist erst recht in die allerverkehrtesten 
Ldebens- und Heilbedingungen überantwortet, weil er ver—
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.