Volltext: Geschichte des salzburgisch-oberösterreichischen K.u.k. Infanterie-Regiments Erzherzog Rainer Nr. 59 für den Zeitraum des Weltkrieges 1914 - 1918

durch den Sommerfeldzug eine mehr verteidiguugsweife oder mindestens nur festhaltende Rolle 
zu übernehmen hatte, sollte jetzt durch eine große Offensive über den San und in den Rücken 
der Russen an der mittleren Weichsel die siegreiche Entscheidung auslösen. Stellten sich dieser 
Aufgabe die den Russen so günstigen Verteidigungsmöglichkeiten am östlichen, überhöhenden 
San-Afer, der hohe Wasserstand und die Versumpfung des diesseitigen Anlandes nach der 
langen Regenperiode, die Schwierigkeiten des Heranbringens der schweren Artillerie aus den 
verdorbenen Straßen, die vielfachen Zerstörungen an den für den Nachschub unter diesen Ver¬ 
hältnissen umso wichtigeren Eisenbahnen hindernd entgegen, so bedurften die Streitkräfte nörd- 
lich der Weichsel überdies bald ausgiebiger Verstärkungen von den am San kämpfenden 
Armeen, was deren Stoßkraft naturgemäß sehr beeinträchtigte. 
GM. v. Schneider gedachte das Vordringen über den San unausgehalten fortzusetzen. 
Bald stellte sich aber heraus, daß ohne Kriegsbrückenequipagen für Aberschissung und Brücken¬ 
schlag nichts zu machen war. Diese Trains steckten noch weit hinten und kamen auf den elenden 
Wegen sehr langsam weiter. So mußte bis zu deren Herankommen ein Stillstand eingeschaltet 
werden, währenddessen nur die Artillerie das Wort hatte, die Infanterie sich nach den Anstren¬ 
gungen der letzten Woche erholen durfte und die materielle Lage einigermaßen gebessert werden 
konnte. Der Nachschub an Verpflegung versagte bereits gänzlich, doch konnten während der 
Ruhe die Mittel des Landes ausgenützt werden. Schlimm war der Mangel an Brot. Die Feld¬ 
bäckereien kam nicht nach, ihre Vorräte erreichten die Truppen nicht. So kam es, daß die 
Kompagnien, die täglich 100 Laibe erhalten sollten, seit Antritt des Vormarsches im ganzen 
kaum 50 gefaßt hatten. Die Rast nützte man zur Heranziehung der Bevölkerung zum Brot- 
backen aus, beschaffte überdies als Ersatz reichlich Kartoffeln, deren Erntezeit eben war. Die 
erhöhten Anstrengungen erforderten eine reichliche Ernährung, um den Körper gegen gefähr¬ 
liche Feinde, die Ruhr und die in den San-Auen auftretende Eholera, widerstandsfähiger zu 
machen. Häufige Belehrung seitens der Ärzte sollte das übrige tun. 
Das I. Bataillon wurde um 4 Uhr früh des 11. in seiner Stellung am San-Aser durch ein 11.10. 
Bataillon 14er abgelöst und rückte zum Regiment nach Lezajsk ein. Nach dem sonntäglichen 
Gottesdienst, bei dem die Regimentsmusik in der Stadtpfarrkirche spielte, versammelte Obst. 
Fischer als Stationskommandant den Gemeinderat, um ihm das Standrecht zu publizieren. Man 
hatte allerlei über die ruffophile Haltung eines Teiles der Bevölkerung gehört. Anter Patro- 
nanz der Russen war angeblich ein revolutionärer Verein gegründet worden) als Zeichen der 
Sympathie hatten viele russische Armbinden angelegt; von Vorkehrungen zur geheimen Ver¬ 
bindung mit dem Feinde, unterirdischen Telephonen, vereinbarten Lichtsignalen, wurde gemun¬ 
kelt. Selbstverständlich wußten die braven Stadtväter von gar nichts, auch nichts von den 
russischen Proklamationen an die Polen, die massenhaft verbreitet worden waren. Gegen Abend 
wurde ein Beobachter aus den Kirchturm gesendet, um etwaige Lichtsignale zu ermitteln. Sie 
blieben aus, aber bezeichnend ist, daß neun Tage später auf demselben Kirchturm eine zum 
San führende Telephonleitung entdeckt wurde, die völlig intakt war, wie zeitweise Klingelzeichen 
bewiesen. Die Folgen dieser und ähnlicher Verrätereien bekam man bald zu spüren. Keine Ver¬ 
schiebung konnte in der Folge geschehen, ohne daß die Russen sofort unterrichtet gewesen wären; 
die sorgfältigste und geheimste Wahl der Standorte für Kommandos und Batterien schützte nicht 
vor einer prompt einsetzenden Beschießung. 
Die 4. Armee hatte an diesem Tage am San aufgeschlossen. Südlich der 3. befand sich 
jetzt die 8. Infanteriedivision, nördlich die 15. des VI. Korps. Der neue Divisionär GM. Ernst 
Horsetzky v. Hornthal war in Podklasztor eingetroffen. Die 15. Kompagnie geleitete 1217 ge¬ 
fangene Russen zu ihrem Sammelplatz Zolynia. 
Am 12. wurde in der Stadtpfarrkirche ein feierliches Seelenamt für die Gefallenen ge- 12.10. 
halten. Es regnete noch immer, die naßkalte Witterung schien nicht aufhören zu wollen. Freu- 
Mg begrüßt wurde die Ankunft von 500 Laib Brot. Bei einer Offiziersversammlung konnte der 
Oberst die Belobung des Armeekommandos für die guten Marsch- und Gefechtsleistungen 
während der neuen Offensive verkünden. 
95
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.