Volltext: Festschrift zum 400jährigen Bestande des öffentlichen Obergymnasiums der Benediktiner zu Kremsmünster

wiesen worden, daß der Raum des Inschriftbandes gleichmäßig zwischen 
Namen und Titel der beiden Herrschergestalten aufgeteilt ist. Bei Tas: 
silo wird das DVX besonders hervorgehoben. Er selbst bezeichnet sich 
in den Urkunden als „vir inlustris‘‘ nach dem Beispiel der merowin- 
gischen Könige. Seine Tätigkeit ist „regnare‘* (regieren); auf eigene 
Faust führt er Krieg mit den Nachbarn. Liutpirga bezeichnet sich auf 
dem Inschriftband als „VIRGA REGALIS“, also als einen Königsspros- 
sen, der keinen Vasallen, sondern nur Seinesgleichen heiratet. Auch 
trugen spätere Urkunden neben "Tassilos Namen den ihrigen. Dazu 
beachte man am Kelch folgendes! Über der Inschrift sind die Haus- 
patrone angebracht und über diesen läuft die Arkadengirlande, die so 
auffallend aus dem übrigen Kelchschmuck heraustritt, mit dem immer- 
grünenden Efeu, der am Kelch sonst nirgends vertreten ist und in der 
damaligen Zeit im Blätterschmuck :noch selten aufscheint. Ja, man 
muß, um den richtigen Eindruck zu vollenden, seine Augen noch höher 
heben, zur Kelchkuppe im Glanze der Majestas Domini als Vorbild der 
irdischen Majestas .. . Diese Sprache dürfte deutlich genug sein, wenn 
man dazu. die politischen Vorgänge bei der Hochzeit des edlen Herr- 
scherpaares im Auge behält. 
768 kamen im Frankenreich Karl und Karlmann zur Regierung. 
Es drohte ein Krieg zwischen den beiden Brüdern. Ihre Mutter Berta 
verhinderte. vorläufig den Streit. Sie suchte aber noch eine andere Ge- 
fahr zu bannen. 770 reiste sie über Bayern nach Italien zu Desiderius, 
dem König der Langobarden, und vermittelte die Heirat Karls mit Desi- 
derata (auch. Irmingard genannt), dessen Tochter [17]. Die Hochzeit fand 
noch im selben Jahr statt. Warum dieser Umweg nach Oberitalien? 
Warum diese auffallende Vorsorge, da Karl doch schon eine rechtmäßige 
Gemahlin hatte? 769 war Tassilo denselben Weg zu Desiderius gegangen 
und im selben Jahr ist er wieder im Besitz der südlichen Alpengaue Norit- 
hal und Vintschgau, die an die Langobarden verloren worden waren. Man 
schließt wohl mit Recht daraus, daß um 768—69 die Hochzeit zwischen 
Tassilo und Liutpirga stattgefunden hat und letztere als Morgengabe 
die umstrittenen Alpengaue mit in die Ehe brachte. So stand im Osten 
ein Bund, — schon zu Theodelindens Zeiten bewährt — der dem inner- 
lich gespalteten Frankenreich gefährlich werden konnte. Daher die Reise 
Bertas über Bayern nach Italien und die so rasch folgende Heirat zwi- 
schen Karl und Desiderata. Aber auch der Lebensbund zwischen Tassilo 
und Liutpirga bedeutet in diesem Zusammenhang mehr als eine. ein- 
fache Hochzeit, Man denke nun an den Inhalt des Inschriftbandes auf 
dem Kelch, an.die Art der Verteilung von Rang und Titel, an die Haus- 
patrone und an die darüber laufende Girlande von immergrünendem Efeu! 
Ja, das Bild Mariens auf dem Kelch scheint sogar anzudeuten, daß der 
Lebensbund des fürstlichen Ehepaares unter besonderen. Gelöbnissen an 
die hl. Jungfrau vor. sich gegangen ist. Maria hält eine Rolle in der 
linken Hand — etwas ganz Ungewöhnliches bei ihren Darstellungen — 
weist mit dem Zeigefinger auf den Namen Liutpirgas hin und erhebt die 
Rechte zur feierlichen Versicherungsgeste. In diesem Zusammenhang 
dürfte es also wohl begründet sein, den Tassilokelch als den Familien- 
kelch des herzoglichen Hauses der Agilolfinger aufzufassen, der das 
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