Volltext: Fünfzehntes Bändchen (15. 1931)

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möglich, auch nur einen Schritt vor die Türe zu tun, — die 
Häuser sind förmlich in den Schneemassen begraben. 
Es war in einem stillen Bauernhäuschen zu Lackenhäuser. 
Drüben im Nebenzimmer, dem sogenannten „Stübl", hatte 
sich ein junges Ehepaar mit einem kleinen Mädchen einge- 
mietet. Der Mann stand anfangs der dreißiger Jahre, die 
Frau war etwas jünger, das Kind zählte nicht ganz vier 
Jahre. Erst vor fünf Jahren hatten sie geheiratet und waren 
sich in herzlichem Verstehen zugetan. Heute — es war ein 
schöner Sommermorgen — ist die Mutter besonders froh 
gestimmt. Geschäftig eilt sie hin und her, um alles zu ord¬ 
nen, denn im oberen Wald, dem sogenannten „Denkort", gibt 
es so viele Schwarzbeeren und da will sie heute mit einer 
Nachbarin hingehen, um recht viele von den kostbaren Früch- 
ten zu sammeln. Sonderbar, wie heute der Vater hustet! 
Seit längerer Zeit fühlt er sich schon nicht mehr recht wohl, 
aber heute sieht er besonders blaß aus. Doch — er war ja 
so vergnügt — krank konnte er nicht sein. Die Mutter war 
zum Fortgehen gerüstet, sie trug dem Gatten auf, auf das 
Kind zu achten und als Mittagessen „Reinnudeln" (eine in 
der dortigen Gegend gebräuchliche Mehlspeise) zu kochen. 
Nun nahm sie den Korb auf den Rücken und einen 
großen Topf in die Hand und verabschiedete sich, von Vater 
und Kind. Jetzt aber ging es schleunigst fort, die Nachberin 
wartete ja schon und sie mußten früh am „Denkort" sein, 
reiche Beute zu machen. Heiter und froh stieg die Mutter 
in Begleitung der Nachbarin die Berge hinan. Bald erscholl 
ein munteres Lied aus frischen Kehlen, dann unterhielten sie 
sich wieder über ihre Häuslichkeit und bis sie es selber recht 
merkten, waren sie an ihrem Bestimmungsort angelangt. Die 
Beeren waren sehr zahlreich vorhanden, daß die Freudinnen 
glaubten, sie könnten sich nicht mehr trennen. Mittags ver- 
zehrten sie ihr Stück Brot und tranken frisches Quellwasser 
— und wie abends die Sonne sank, traten sie mit voll- 
beladen Körben den Heimweg an. 
Lassen wir die beiden allein ihren Weg fort- 
setzen, stören wir sie nicht mehr in ihrer Unterhaltung und 
kehren wir im Geist in das bescheidene Stübchen zurück, das 
eine glückliche Gattin und Mutter am Morgen verlassen hat. 
Kaum war die Mutter fortgegangen, schmiegte sich das 
kleine Mädchen zärtlich an den Vater an. Immer wieder 
frug es ihn, was es heute zu essen gibt. Der Vater machte
	        
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