Volltext: Achtes Bändchen (8. 1923)

Beiträge 
zur 
Landes- und Volkskunde des Mühlviertels. 
 
Mühlviertler Sagen. 
(Von Alois Oeller in Oberneudorf.) 
 
In den vier langen Kriegsjahren hatte ich oft genug Gelegenheit, mich mit 
Heimatskollegen über Heimatkunde zu unterhalten und in den langen und traurigen 
Winterabenden in der verschneiten Stellung droben auf hohen Gebirgskämmen 
wurden die von den Großeltern übernommenen Geschichten und Sagen, an denen 
das Mühlviertel so reich ist, beim warmen Schwarmofen ausgekramt und jeder 
brachte etwas Neues und ich als treuer Forscher der Heimatkunde habe alles ge- 
treulich aufgezeichnet und jetzt lasse ich eine Reihe solcher neu erhorchter Sagen folgen. 
 
Die Vision der Jungfrau. 
Aus der Zeit, wo die ersten Missionen in unserem Mühlviertel von den 
Patres Jesuiten abgehalten wurden und in einzelnen Gemeinden schon Missions, 
kreuze aufgepflanzt wurden, weiß sich das Volk gar sonderbare Dinge zu erzählen. 
Die geistliche Gewalt jener Bußprediger rühmend, erzählen sich die Leute, wie sie, 
Gespenster und Kobolde bannend, den Lebenden Friede und Ruhe schafften und wie 
sie tiefe Einblicke in das Innere der Gläubigen taten. Nachstehende Sage sei als 
Beleg angeführt. Auf den Friedhof vor einer Pfarrkirche (es wird bald Peilstein, 
bald Kollerschlag genannt) hatten sich die Missionäre ihre geistliche Rednerbühne 
aufgeschlagen und es wurden von dort die Zuhörer mit eindringlicher und kräftiger 
Rede zu Reue und Buße ermahnt. Es wurden nun in der Folge die bestaubten 
Akten des früheren Lebens der genauesten Durchsicht unterworfen und jede Falte 
des Herzens mit der ängstlichsten Gewissenhaftigkeit durchsucht, um den vielleicht 
lang entbehrten Seelenfrieden wieder zu erlangen. Da war nun auch eine unter 
diesen bußfertigen Seelen, die in den Tagen, von denen besonders bei Jungfrauen 
gesagt werden möchte: „Sie gefallen mir nicht", schon etwas weiter vorgerückt war. 
Sie war nicht ohne zeitliches Vermögen und eines unbescholtenen, tadellosen Wandels. 
Auch sie warf sich voll Reue und Demut in Angelegenheit ihres Seelenheils dem 
Bußprediger im Richterstuhle der Buße zu Füßen. Schließlich gab ihr der fromme 
Pater folgenden Auftrag: „Von heute an bringe drei Nächte im Gotteshause betend 
zu und was du dort sehen wirst erzähle mir dann getreulich. Doch sei ohne Furcht, 
es wird dir nichts zu Leid geschehen." Beklommenen Herzens machte sie sich nun 
abends auf, nach dem Auftrage des Missionärs die erste Nachtwache in der Dorf- 
kirche zu halten. Der Schein des ewigen Lichtes leuchtete gar düster durch die 
heiligen Hallen; alles war stille und öde, so daß sie laut den Schlag ihres eigenen 
Herzens hörte und inbrünstig betend ein Kügelchen ums andere an der Schnur 
ihres Rosenkranzes heruntergleiten ließ. Es schlug die Mitternachtsstunde; das
	        
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