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ein Reitergefecht mit den Schweden stattgefunden hat, welche diesen Uebergaug
suchen oder benützen wollten, ist es möglich, daß ein reiterloses Pferd sich in die
Waldwildnis verirrte und dort zugrunde ging.
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Wo werden nun etwa noch in der Zukunft Ortschaften entstehen? Vielleicht
daß noch die jetzt nach Aigen gehörigen „Berghäusel", von denen im Jahre 1830
noch kein einziges gestanden ist, als eigene Ortschaft genannt werden? Oder daß
die Häuser vom jetzigen Pfairhose in Aigen angefangen bis nach Schlögl, die
sämtlich ein ebenso junges Gründungsdatum tragen, sich als „Neu-Aigen" eine
Verwaltung anmassen, was jedoch recht unwahrscheinlich ist. Viel wahrscheinlicher
wäre es, daß nach Ueberquerung des Waldes mit einer Bahn nach Böhmen hinter
dem Holzschlag eine Ortschaft „Mitterwald" entsteht oder auf den Höhen der
„blauen Gais" ein „Windpassing".
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Unsere Bauern-Etikette.
(Von Pfarrer Johannes Winkler, Oepping)
Die gegenwärtige Zeit bringt Stadt und Land wieder näher, so nahe, als
sie vordem niemals gewesen. Der Bauer wird wieder gesucht und erkannt als
Lebensmittelspender und man sieht Stadtleute mit Körben am Arme und Geld auf
der Hand in Bauernstuben treten, flehentlich bittend, nur einige Eier, nur ein Kilo
Butter und einige Kartoffel käuflich zu überlassen. Noch vor kurzer Zeit spielten
die „Herrenleute" manchen Trumpf gegen den Bauern aus, belachten sein Benehmen
und spöttelten über seine Ausdrucksweise und doch ist unsere Mundart in ihrer Kraft,
ihrem Wohllaut und ihrem Wortreichtum der letzte Rest der mittelhochdeutschen
Sprache und das moderne Schriftdeutsch kann sich in keiner Weise messen mit
unserem Dialekt. Das wissen freilich nur die Professoren in den Städten und be-
achten es wieder nur ein kleiner Bruchteil derselben. Leider schleift sich diese unsere
Mundart immer mehr ab und nähert sich in Form und Ausdruck immer mehr
der Schriftsprache und leider ist das auch der Fall bei den Umgangsformen
unserer Bauernleute. Sie gehen noch schneller verloren, als ihre markante Mundart.
Welcher Unterschied schon jetzt und vor 50 Jahren! Sie sollen wenigstens in der
Erinnerung festgehalten werden. Mag der Städter oder Märktler diese alte Form
des Umganges belächeln wie er will, sie sind viel sinniger, vernünftiger und oft
viel feiner als der französische Eindringling in das deutsche Volk, „Etikette" ge-
nannt. Man betrachte einmal das sittige, stille Benehmen des Bauernkindes bei
Gelegenheit eines Besuches oder beim Essen mit dem Ungestüm des Stadtkindes
und das Urteil über das eine und das andere wird nicht schwer fallen.
Wenn ich mit diesen Zeilen die Reste der alten, angestammten Umgangsformen
noch in einen Rahmen zu bringen suche, so habe ich die Zeit meiner frühesten
Jugend, etwa die Sechzigerjahre des 19. Jahrhunderts, im Auge. Damals hielt
sich der Bauer noch ganz an das alte Herkommen im Benehmen und nur mühsam
bequemte man sich an das „herrische Benehmen", wie man sagte; und ich war
ein Bauernknabe und mußte beides lernen und üben.
Unser Bauer ist ehrlich, etwas zugeknöpft, vorsichtig, überlegend, hat ein
goldenes Herz und das alles spiegelt sich
im öffentlichen Benehmen.