Volltext: Sechstes Bändchen (6. 1916)

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wie er mit ernsthafter Miene mit seiner rechten Hand den linken Arm „abspannte". 
Gewöhnlich lautete seine Diagnose: „O, da fehlts weit!" Aber Hilfe hat er immer 
versprochen, ob die Leidenden sie erhalten haben, ist eine andere Frage. Kam da 
einmal eine Jungfrau mit heftigen Zahnschmerzen, zu einem Zahnarzte wollte sie 
nicht gehen, denn der hätte ihr den Zahn gerissen und mit der Schönheit wars 
vorbei gewesen. Der Schneider sagte einfach: „Mußt alle Tage neun Vaterunser 
beten und zwar sieben Tage hindurch, wenn es nicht hilft, mußt wieder kommen. 
Wirklich kam sie wieder mit dem alten Uebel und das Rezept lautete auf noch- 
mals neun Tage beten. Erst am zwölften Tage wurde sie geheilt, aber ich glaube, 
daß es mit zwölf Tagen auch ohne Wunderdoktor gegangen wäre. Der Besitzer 
des Schauhofes in Schönberg, Pfarre Rohrbach, konnte mir auch ein Beispiel von 
der Wunderkraft des Hammer-Schneiders erzählen. In seinem Hause wurde vor 
mehreren Jahren eine bedeutende Summe Geldes gestohlen und um den Täter zu 
finden, ging man zum Wunderdoktor. Dieser zog sein Zauberbüchlein hervor und 
fand bald ein Mittel, das verlorene Geld wieder zu erhalten. In einer windigen 
Nacht mußte das Hintergestell eines Wagens in den Hof gestellt, darauf ein Brett 
gelegt werden und um die Mitternachtstunde wird auf dem Brette das gestohlene 
Geld liegen. Alles hat man erfüllt und man freute sich schon, als gegen 11 Uhr 
der Wind leise zu säuseln begann, vom Gelde aber hat man bis heute keinen 
Heller. Man hat ganz recht getan, daß man sich in einem weniger höflichen 
Briefe für die „O, bedankte. Manchmal hat er wirklich geholfen, weil er den 
Leuten Salben gab, wir Knaben haben ihm dazu Krebse fangen müssen. Der 
Spanner besaß ein Kruzifix, an dem alle Jahre ein Wunder geschah, wie er sagte. 
Um das Haupt des Gekreuzigten war nämlich eine Krone, die alle Jahre gerade 
im Winter grün wurde und frisch austrieb. Ich selbst habe mich öfter überzeugt 
davon; woher das Grün kam, konnte ich mir nicht enträtseln und der Schneider 
hat es auch nicht gesagt. Der Spanner begnügte sich nicht mit den zehn Ge¬ 
boten Gottes, sondern fügte als elftes hinzu: Du sollst dich beim Stehlen nicht 
erwischen lassen, ein Gebot, das besonders jetzt viele eifrig befolgen. Vor dem 
Lebensende fürchtete sich unser Schneider nicht, denn die heilige Barbara habe 
ihm gesagt, wann es mit ihm zu Ende gehen werde, sie komme öfter zu ihm und 
setze sich auf einen Stuhl neben ihm und da werde geplauscht über allerhand 
Dinge. Er muß aber doch nichts gewußt haben über sein Ende, denn man fand 
ihn am 29. Juni 1916 tot in seinem Sessel sitzend auf, aus seinem ansge- 
dunsenen Gesichte ragte nur die Nasenspitze heraus, die schwarze Zunge hing ihm 
aus dem Munde. Die Leute, die zu ihm „beten" gingen, fürchteten sich vor ihm, 
meine Schwester konnte einige Nächte nicht schlafen. Daß ihn aber der Teufel 
geholt hat, wie viele sagten, ist ein Urteil, daß kein Mensch fällen darf, weil 
Gott allein Richter ist. Der Schneider ist übrigens alle Sonntag in die Kirche 
gegangen. Die letzte Osterbeicht hat er allerdings versäumt. Mein Schwager und 
Tischler in St. Stephan hat ihm ein Grabkreuz mit der sinnreichen Inschrift gesetzt: 
Hier lieg ich als Mensch begraben, 
Wo ich bin, kann niemand sagen; 
D'rum, o Mensch, urteile nicht, 
Weil Gott allein dein Richter ist. 
 
Der Bedan-Franzl. 
Eine Person, die in der heutigen- Zeit, wo es so viele Kriegswucherer und 
Kriegsgewinner gibt, wohl selten zu finden ist, war der Bedan-Franzl. Er besaß
	        
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