Volltext: Sechstes Bändchen (6. 1916)

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mit Vergnügen die Kraut- und Fleischschüsseln einer großen Pfarrei blank und leer. 
Einmal erzählte er nicht ohne Spott, daß er sich „heute schon durch das ganze 
große Dorf Schindlau durchgefressen habe, ohne satt zu werden. In meinem Vater- 
hause verzehrte er einmal eine große Schüssel Milch mit Brot, ohne sich darnach 
zu bedanken. Als er fortging und meine Mutter leise bemerkte: „Nicht einmal 
bedanken tut er sich", öffnete er noch halb die Türe und sagte: „Ist ohnehin 
nicht der Mühe wert gewesen, mein' Bäurin". Wann er gestorben ist, weiß ich 
nicht zu sagen und auch sonst niemand „wann er noch ging und nicht mehr ging", 
aber am Beginne meiner Studien im Jahre 1863 sah man ihn nicht mehr; er soll 
in Lichtenberg an einer Wurst, die er zu hastig verzehrte, erstickt sein. 
Noch vor ihm muß der 
 
„Stigitzed Hiasl" 
d. i. der stotternde Hiasl, gestorben sein, den ich nur noch als ganz kleiner Schul- 
knabe, etwa um 1862, kennen und fürchten gelernt habe. Er war nach meiner 
Erinnerung klein und triefäugig und hatte eine helle aber stotternde Sprache. Er 
hielt sich beim „Bratl-Bartl" im sogenannten Bratl-Häusel beim Märzenkeller in 
Aigen auf und starb als Pfründner in Aigen. Seine Hauptbeschäftigung war der 
Natternfang, um Natternschmalz und die Haut der Ringelnattern zu gewinnen, 
die er den gefangenen Tieren abstreifte und dann auf Spazierstöcke aufzog 
und verkaufte. Viele Aigner trugen in jener guten alten Zeit solche „Natternstöcke", 
wenn sie Sonntag nachmittags zur Unterhaltung ins Panihans, in den Märzen- 
keller, nach Haag oder ins Zieglwaldl gingen. Wir Kinder fürchteten den Mann 
der Nattern wegen so entsetzlich, daß wir im weiten Bogen vor ihm flohen, 
weil wir den Sack, den er immer bei sich trug, voll von Nattern wähnten und 
er war boshaft genug, uns mit seinen kläffenden Zurufen und Drohungen zu 
schrecken. Eine Bäuerin, die um das Jahr 1830 gestorben ist und den „stigitzenden 
Hiasl" einst als Hirtbuben in Dienst hatte, wußte eine förmlich haarsträubende 
Geschichte aus dieser Zeit von ihm zu erzählen: „Eines Tages schickte ich ihn mit 
einer Haue auf einen Acker, um Schrollen (Erdklumpen) zu zerschlagen. Dabei ging 
immer die Haue vom hölzernen Stiele ab und der Hiasl, der sich schon von jeher das 
Fluchen angewöhnt hatte, geriet darüber in eine solche Wut, daß er unter fort- 
währendem, gräßlichen Fluchen die Haue zusammenrichtete und weiterklopfte. Da, 
plötzlich sah ich ein kleines Hündchen um ihn herumspringen und je mehr er fluchte, 
desto lustiger tanzte es um ihn herum, sprang an ihn hinauf und ich sah mit 
Entsetzen, daß das Hündchen sogar auf die Haue saß und trotz Emporheben und 
Niederschlagens nicht herunterfiel. Ich fragte ihn zu Mittag, ob er das Hündchen 
bemerkt habe, was er ganz erstaunt verneinte. Als ich ihm meine Beobachtungen 
erzählte, erbleichte er und ich hörte ihn später doch nicht mehr in so schauerlicher 
Weise fluchen." 
Gestorben ist er hochbetagt im sogenannten Nitschehäusel oberhalb der Kalvarien- 
kapelle in Aigen, wo man ihn verkehren ließ, weil ihm der Aufenthalt im Spitale 
in Aigen nicht behagte. 
 
Der Stoanhauer-Gregor. 
Der bayerische Wald hat seinen bayerischen Hiasl, Niederösterreich seinen 
Grasl und beiden in Fach und Wandel können wir den Gregor Kirschner, 
der sich als „Steinhauer-Gregor" weitum in bedauerlicher Weise einen Namen 
gemacht hat, zur Seite stellen. Ich selbst kannte weder ihn noch seine Komplizen
	        
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