Volltext: Zweites Bändchen. (2. 1913)

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Der Müller hatte neun Söhne und eine Tochter. Die Burschen waren schmuck 
und stark wie die Eichen, gutmütig und sehr gefällig. In ihrer Jugend begegnete 
ihnen natürlich so manches und sie begingen die üblichen Jugendstreiche. Norbert, 
einer von ihnen, war einmal abends emsig mit dem Fischen beschäftigt. Da ging in 
Kolstatt und Umgebung ein gewaltiger Wolkenbruch nieder. Plötzlich kam das Wasser 
klafterhoch daher. Der Knabe konnte nicht mehr fliehen. In seiner Angst umfaßte 
er eine Erle und mußte die ganze Nacht daran hängen bleiben. Die Müllerin hatte, 
wie sie meinte, im Stall und in der Milchkammer viel von den Hexen zu leiden. 
Und doch war die Lösung des Rätsels sehr einfach. Nachmittags, wenn die Buben aus 
der Schule heimkamen, erhielt jeder von ihnen ein großes Stück Brot. Damit waren 
sie aber noch nicht zufrieden, sondern sie ließen sich in die mit Brettern verschlagene 
Milchkammer hinab, schöpften den Rahm ab und aßen ihn zum Brot. Lange Zeit 
kam die Mutter nicht hinter die Schliche ihrer Söhne. Die angebliche Hexerei hatte 
aber noch eine andere Ursache. Die einzige Tochter, Mirzl mit Namen, hatte die 
Aufgabe, die Kühe zu füttern. Sie war aber in diesem Stücke so nachlässig, daß sie 
zu faul war, den Kühen das Trank zu kühlen; sondern sie nahm einfach die Mistgabel 
und warf das gebrühte Futter oder Kraut dem Vieh auf die Köpfe in den Barren. 
Da kam einmal langsamen Schrittes der Kaplan von Breitenberg gegen die Seppen- 
mühle gegangen. „Grüß Gott", rief ihm der Sohn des Nachbarnhauses zu, „wo führt 
denn euer Weg hin?" „In die Mühle zum Stallaussegnen", lautete die Antwort. „Da 
müßt ihr aber einen Waschlappen mitnehmen", sprach der andere. „Warum denn?" 
fragte der Kaplan. „Damit ihr dem Vieh den Barren ausputzen könnt", war die 
Gegenrede. Und wirklich staunte der Kaplan über den Schmutz, der im Stalle herrschte, 
und meinte beim Weggehen: „Ihr müßt das Vieh reinlich füttern und seiner besser 
warten, dann wird euch die Hexe nicht schaden und ihr werdet Schmalz und Milch 
genug haben." Unsere Mirzl war sonst ein arger Schelm und hatte einen Grenzauf- 
seher zum Liebhaber. Diesem verriet und trug sie vieles über das Schwärzen zu, 
wofür sie öfters von den Brüdern blutige Schläge erntete. Als sie später heiratete 
und in der Mühle eine tüchtige Magd aufgenommen wurde, war die ganze Hexerei 
im Stalle vorbei. 
In dieser Zeit war es an der Grenze, namentlich in Schwarzenberg, so Mode, 
daß fast jeden Sonn- und Feiertag eine Prügelei vorfiel, ohne daß eine Anzeige 
erstattet wurde. Die Buben von der Seppenmühle bekamen fast allemal ihre Schläge. Da 
sagte eines schönen Tages der Müller zu ihnen: „Ihr müßt es doch einmal den Schwar- 
zenbergern heimzahlen. Wehret euch, sonst bekommt ihr von mir extra noch Schläge!" Das 
war etwas viel verlangt. Norbert und Xaver sollten es mit den einundzwanzig Burschen 
von Schwarzenberg aufnehmen. Aber es gelang ihnen und die beiden Brüder erlangten 
einen solchen Ruf ihrer Stärke, daß die Leute oft sagten: „Wenn die zum Militär kommen, 
die werden es gewiß zu etwas bringen." Es kam das Jahr 1866. Xaver mußte (der 
Seppenmüller und seine Kinder waren österreichische Untertanen) mit in den Krieg 
gegen die Preußen, machte die Schlacht bei Königgrätz mit, hatte aber keine Gele¬ 
genheit sich auszuzeichnen und starb bald darauf im 24. Lebensjahre. Sein Bruder 
Norbert hatte das Bräuerhandwerk gelernt, trank täglich seinen Vierteleimer Bier und 
mußte frühzeitig, schon im einundzwanzigsten Jahre seines Alters, sein Leben enden. 
 
7. 
Und nun zum Schlusse noch ein paar Worte über die „gute, alte Zeit". Ich 
habe sie selbst nicht mehr erlebt, aber ich habe noch solche gekannt, die von ihr zu 
erzählen wußten. Meiner Meinung nach sollte man besser sagen: „Die arme, zufriedene
	        
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