Volltext: Erstes Bändchen. Beiträge zur Landes- und Volkskunde des oberen Mühlviertels. (1. 1912)

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einen Erdapfel. Ein langes Messer ans der Tasche ziehend, ging er eben so 
gravitätisch zurück, ließ sich nieder und zog eine Schublade neben sich heraus, ihr 
ein Bündel langer Federn entnehmend. Jetzt spickte er den Erdapfel ringsum mit 
Federn, schnitzte dann zwei Hölzer und steckte sie als Füße in den Knollen, machte 
vorne einen hölzernen Kopf daran und reichte mir dieses Ding mit den Worten: 
„Das is a Stadelhenn!" 
Zaudernd langte ich darnach, indes der Alte fortfuhr: 
„Also, wer den letzten Schlag tuat, muaß die Henn da unter die Drescher 
der Nachbarn in den Stadl werfen. Dann muaß er aba schaun, daß a weida 
kimt. Wird er nöt dawischt, so hat er ’n Bauan und ’n Haus Ehr g'macht, er 
kriagt a Trinkgeld, wanns grad is, vo da Bäurin aber etlö Krapfn, wird a aba 
dawischt, gehts eahm wia glei dem Franzl. Verstehst jatzt?" 
Mit wachsendem Eifer hatte ich zugehört; jedes Angstgefühl war gewichen, 
ja, ein Entschluß voll Heldenmut und Ehrgeiz schien sich in meiner Brust zu bilden. 
„Ja, und muß bei Euch auch einer die Stadelhenne vertragen?" meldete 
sich mein erwachter Heldenmut leise an. 
„Freilö, wer den letzten Schlag tuat, muaß d'Henn vertragn!" 
„Und wenn ich, sobald Ihr fertig werdet, eine Drischl nehme und den 
letzten Schlag mache, muß dann ich die Stadelhenne vertragen?" 
„Freilö!" erwiderte lachend der Bauer und zündete sich von neuem die 
ausgegangene Pfeife an. 
„Laßt mich die Stadelhenne vertragen. Ich laß mich sicher nicht erwischen. 
Ich getraue mich schon!" 
„Da würd dei Muada a schens Gsicht machn, wannst af oamal kohlschwarz 
und mit an ruaßign Gwandl hoam kamst!" wendete die kochende Bäuerin ein. 
Jetzt mischte sich auch der große Knecht ein, der den letzten Teil des Ge¬ 
spräches beim Hereintreten gehört hatte: 
„Koa Mensch denkt dran, daß der Schulmoastabna d'Henn bringt und bevur 
sö st bsinnan, is da Bua lang weg!" 
„Ja, laßt mich die Stadelhenne vertragen!" flehte ich, den Bauer, der halb 
ernst halb lachend mich anschaute, am Arm packend. 
„Wann a wart, bis di Drescha an da Hofseitn sand, kann er d'Henn leicht 
vo da Gartnseitn in ’n Stadl werfn." 
„Wannst da traust, meintwegn! Kumst halt morign namitta, tuast den 
letzten Schlag und dann muaßt halt schaun, daß da die Henn nöt zan Unglück wird!" 
So meinte lachend der Bauer und ging hinaus. Der Knecht sagte noch: 
„Ja, ja; du kimst nöt! Morgn is da lang schan d'Schneid in d'Hosn gfalln!" 
So meinte er und ging ebenfalls hinaus. 
Ich sagte nichts darauf, nahm die von der Bäuerin mir hingehaltene Milch 
und eilte schneller, als es meiner Mutter lieb sein mochte, heimwärts; denn bald 
veranlaßte mich die am Rock abfließende weiße Milch zu größerer Sammlung und 
Langsamkeit. 
„Du mußt besser aufpassen!" empfing mich meine Mutter und nahm mir 
den Topf aus der Hand. 
Als ich abends im Bette lag, ließen mich die tollsten Träume nicht zur 
Ruhe kommen. Bald war ich in einem Menschenknäuel, der mich umringte und 
wie einen Neger färbte. Bald ging eine Henne ans mich zu, so wild und schaurig, 
daß ich aufwachte. Aber endlich hielt mich ein lieblicher Traum gefangen bis zum 
Morgen. Ich saß in der Bauernstube, vor mir eine Schüssel Krapfen, umgeben
	        
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