Volltext: Kaiser Franz Joseph von Österreich

empfindlich an, so sehr diese ihn zeitweise seinem Gefühl 
nach vor dem Auslande beschämte. Solange es noch mög¬ 
lich gewesen wäre, durch Erweiterung der zweifellos als 
lebens- und leistungsfähig erwiesenen konstitutionellen 
Selbstverwaltung der Länder das österreichische Problem 
im innersten zu erfassen und vor allem die über alle Maßen 
übertriebene Frage der Amtssprache mit Hilfe seiner gro¬ 
ßen kaiserlichen Autorität in modernem Sinne zu lösen, 
unterließ er durchaus solche Politik. Als es dafür zu spät 
war, öffnete er allzu leichten Herzens durch das allgemeine 
Wahlrecht den nationalistischen Demokratien der Völker 
die Türe, durch die sie bis ins Innerste des alten Herr¬ 
schaftsapparates eindrangen und diesen in seinen Grund¬ 
festen lockerten. Den Verfall der Bürokratie merkte Franz 
Joseph nur allzu deutlich, aber nun fühlte er sich zu alt, 
um noch an große Eeformen denken zu können. 
Wenn Erzherzog Franz Ferdinand öfter seine persönliche 
Stellung zu seinem Oheim und Kaiser im vertrauten Kreise 
mit der eines Fideikommißanwärters verglich, der ruhig 
Zusehen muß, wie der greise Besitzer der großen Güter 
des Hauses die Wälder ausroden, die Felder herunter¬ 
kommen und die Gutsbeamten gewissenlos wirtschaften 
läßt, so war dieser Vergleich in mancher Hinsicht ganz zu¬ 
treffend. Ob das von Franz Ferdinand verkörperte neue 
Herrschertum den Zusammenbruch des Erbes gehindert 
hätte, ist allerdings zweifelhaft genug. Franz Joseph aber 
blieb bis zu seinem letzten Erdentage der Herr im alten 
Sinne, der Monarch der alten Schule, als der er sich 
fühlte. Die letzte Auswirkung der Tragik seines Schick¬ 
sals selbst noch zu schauen, ist ihm erspart geblieben. 
So kann man sagen: er hat den unentrinnbaren Konflikt, 
in welchem er von Anfang an zu den Ideen und Kräften 
seiner Zeit stand, schließlich doch durch seine Willens¬ 
kraft zu überwinden vermocht. Tatsächlich blieb er der 
neuen Zeit gegenüber Sieger. Nur brach zwei Jahre nach 
seinem Tode das Reich und die Kaiseridee, für deren Er¬ 
haltung er allein die ganze Last seines Lebens getragen 
hatte, völlig zusammen. So ist die Tragik im Wesen und 
Schicksal Franz Josephs eigentlich erst posthum klar her¬ 
vorgetreten. Er ist sich und der einzigen Idee, die es für 
ihn gab, bis zum letzten Tage treu geblieben. Die großen 
Triebkräfte innerhalb der österreichischen Völker, der 
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