Volltext: Kaiser Franz Joseph von Österreich

Vorstöße, welche die Unabhängigkeitspartei gegen das 
Kernstück der dualistischen Verfassung, gegen die ge¬ 
meinsame Armee und die von dieser festgehaltene „schwarz- 
gelbe Tradition“ unternommen hatte. Tisza hatte schlie߬ 
lich, wenn auch nicht mit Begeisterung, diese Schwierig¬ 
keiten zu überwinden verstanden. Die alte Deäk-Partei, 
jetzt längst schon als „fusionierte Liberale“ bekannt, 
spielte ihre Rolle als Schützer des Dualismus noch immer 
leidlich und verstand es dabei ganz beträchtlich, „natio¬ 
nale Errungenschaften“ für das Magyarentum dem Kaiser 
abzuschmeicheln oder abzudrücken. Dreißig Jahre lang 
hatte sich Franz Joseph als König von Ungarn den Magy¬ 
aren immer nachgiebig und freundlich gezeigt. So hatte 
er die zweite Linie des Heeres in Ungarn, die sogenannte 
Honved, zu einer Art von magyarischem Heere ausgestalten 
lassen, was die Sprache betrifft, auf Kosten der nicht¬ 
magyarischen Mehrheit der Bevölkerung. Die liberale Par¬ 
tei begann aber alt und ängstlich zu werden, denn immer 
kräftiger wuchsen die Kossuthisten und die Unabhängig¬ 
keitspartei in die Höhe. Die Jugend fiel ihr zu, während 
die Liberalen sehr deutlich in eine politisch radikal ge¬ 
sinnte Mehrheit und eine konservative Minderheit sich 
schieden, als die erste der zweiten die Einführung der 
obligatorischen Zivilehe aufzwang. Franz Joseph wider¬ 
strebte dieser Neuerung mit aller Macht. Der Kampf 
dauerte mehrere Jahre und hatte den Sturz des Ministers 
des Äußeren, des Grafen Kälnoky, zur Folge, der sich als 
Gegner dieser kirchenfeindlichen Tendenz gezeigt hatte. 
Um so bitterer war es für den Kaiser, als er die Ein¬ 
führung der Zivilehe in Ungarn nicht verhindern konnte. 
Seine Ungnade war so deutlich, daß die Regierung Wekerle. 
die diesen Erfolg des Liberalismus zustande gebracht 
hatte, bald darauf ihren Platz räumen mußte. Zugleich 
traten Ereignisse ein, welche in Ungarn die „Unabhängig¬ 
keitsidee“ aufs stärkste vorwärts trieben. Der Tod Ludwig 
Kossuths im Jahre 1894, die feierliche Heimführung seiner 
Leiche nach Budapest und die Rückkehr seines Sohnes 
Franz Kossuth nach Ungarn, wo er sogleich an die Spitze 
der Unabhängigkeitspartei trat, steigerten die Abneigung 
aller Klassen des magyarischen Volkes gegen den Dualis¬ 
mus in einer die Besorgnisse Franz Josephs erregenden 
Weise. Der Gedanke der vollkommenen Selbständigkeit 
26 Redlich, Kaiser Franz Joseph 
401
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.