Volltext: Kaiser Franz Joseph von Österreich

ralen geschaffenen politischen Idealismus vollständig ver¬ 
loren ging, braucht ebenso wenig gesagt zu werden, als 
daß dieses System zugleich der schrankenlosen nationa¬ 
listischen und sozialistischen Demagogie in Österreich die 
Wege zur Macht gebahnt hat. Dies aber focht Koerber zur 
Zeit, als er regierte, wenig an. Er glaubte für den Kaiser 
und den Staat das Beste zu tun. Daß das „System“ 
ein sehr feines Gift der Korruption hervorbrachte, wel¬ 
ches den ganzen Staat und alle seine Völker tief durch¬ 
drang, wozu die Presse ein gutes Teil beitrug — die Jour- 
nalisten verstanden dieses Spiel weit besser als die Ab¬ 
geordneten, schrieben aber nichts darüber —, das blieb 
der breiten Öffentlichkeit verborgen. Am meisten wohl 
Franz Joseph, obgleich er hie und da von älteren Staats¬ 
männern hörte, daß die Methoden der Regierung Koerbers 
die innersten Stützen des Staatswesens angriffen, daß auf 
diese Weise der soziale und politische Radikalismus gro߬ 
gezogen würde. Der Konstitutionalismus Franz Josephs 
war ja von Anfang an sehr viel Schein und wenig Kern, 
aber jetzt war alles sozusagen Scheinwesen. Der Parla¬ 
mentarismus ebensogut wie die Regierung, die zwar stets 
die Pose der Kraft, Ehrlichkeit und des Zielbewußtseins 
festhielt, in Wahrheit aber doch nur das tat, was die¬ 
selben Parlamentarier, die das Parlament untätig ver¬ 
harren ließen, in den Ministerzimmern mit dem Premier 
und seinen Gehilfen in einem richtigen politischen Scha¬ 
chergeschäft ausgemacht hatten. Hatte ein witziger italieni¬ 
scher Abgeordneter die Regierung Taaffe als einen „luogo 
di traffico“ verhöhnt, so paßte dieses Wort jetzt noch 
viel besser auf die Regierung, die mit allen Parteien so¬ 
zusagen tagtäglich Kleinhandel trieb. 
Es ist nur zu begreiflich, daß gewissenhafte und weiter¬ 
schauende Politiker angesichts dieser fortschreitenden Ver¬ 
sumpfung des parlamentarischen Lebens und seiner Grund¬ 
prinzipien sowie der fortschreitenden Unterwerfung der 
Staatsverwaltung unter die jeweilige parteimäßige Politik 
des Premierministers nur mehr von einer Totalreform der 
Verfassung Besserung erwarteten. Vor allem von einer aus¬ 
giebigen Demokratisierung des parlamentarischen Wahl¬ 
rechtes. So wurde die Forderung nach dem allgemeinen, 
gleichen und direkten Stimmrecht in ganz Österreich, 
zumal bei der jüngeren Generation der Intelligenzkreise, 
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