Volltext: Kaiser Franz Joseph von Österreich

parlamentarischen Kreisen das Wort um: der Kaiser fürchte 
einen solchen Ausgleich mehr als er ihn wünsche, denn, 
so habe seine Tochter Erzherzogin Marie Valerie gesagt, 
„wenn sich Deutsche und Tschechen verständigen, dann 
wird’s wohl wie in Ungarn werden und der Kaiser ver¬ 
liert auch dort seine Macht“. Koerber war dem Kaiser 
besonders wichtig, weil er imstande war, das Zoll- und 
Handelbündnis mit Ungarn mittelst juristischer Kunst¬ 
griffe auf der Grundlage tatsächlicher Reziprozität für 
sieben Jahre zu sichern. Die hierzu notwendigen T*e- 
setze ließ Koerber als kaiserliche Notverordnungen er- 
scheinen. Die Verfassung blieb also tatsächlich suspen¬ 
diert, die Bürokratie regierte unumschränkt, um den „Staat 
zu erhalten“. In diese Bürokratie als Ganzes brachte Koer¬ 
ber — und das war gewiß sein großes Verdienst — mehr 
neuzeitlichen Geist, zumal in den wirtschaftlichen Fragen, 
und ein beschleunigtes Tempo der Arbeit. Er griff in alle 
großen und kleinen Angelegenheiten der Verwaltung per¬ 
sönlich ein, denn er war eine durchaus selbstherrliche 
Natur. Daher zog er die Entscheidungen aller irgendwie 
wichtigen Geschäfte aller Bessortminister mehr und mehr 
in sein eigenes Büro, das sogenannte Ministerrats-Präsi- 
dium, das sich auf diese Weise zu einem „Überministerium“ 
entwickelte. Dadurch jedoch wurden viele gute Traditionen 
der österreichischen Bürokratie und das Gefühl der Ver¬ 
antwortlichkeit der Ressortchefs zweifellos arg geschwächt. 
Am liebsten wollte Koerber alles, was den Staat betraf, 
möglichst persönlich besorgen und entscheiden. Dieses 
System aber führte von selbst dazu, daß mehr und mehr 
die gesamte Staatsverwaltung bis in ihre Details von 
Politik, und zwar von nationaler Parteipolitik, durchtränkt 
wurde und als das wichtigste Instrument zur Förderung 
der jeweiligen politischen Ziele des Ministerpräsidenten von 
diesem gehandhabt wurde. Dieses System setzte also die 
übrigen Ressortminister zu bloßen Gehilfen des Premiers 
herab und dieser wurde so eine Art moderner Richelieu, 
ein unumschränkt gebietender „Kanzler“ des Staates. 
Das entscheidende Merkmal dieses Systems aber war 
doch, daß es, und zwar für die breite Öffentlichkeit ganz 
unsichtbar, unter eifriger Mitwirkung der Mitglieder des 
Parlamentes ausgebildet wurde und daß so der gesetzliche 
Schein konstitutioneller Regierung und ihrer verfassungs- 
396
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.