Volltext: Kaiser Franz Joseph von Österreich

Enkel des Feldmarschalls und Retters der Dynastie im 
Jahre 1848. Dieser Schritt wurde dem Kaiser nicht leicht. 
Yom ersten Tage der neuen Regierung an wußte man, daß 
sie dem Kaiser ebenso mißfiel als die politisch geschulte 
Wählerschaft an dem unnatürlichen Bündnis ganz ent¬ 
gegengesetzter politischer Parteien schweren Anstoß nahm. 
1 Junutschechen und Christlichsoziale übernahmen die Rolle 
der Opposition, überzeugt, daß sie dabei die größten Ge¬ 
winne machen würden. 
Graf Taaffes Stern war also plötzlich verblichen: der 
längst schwer leidende Mann starb kaum ein Jahr nach 
seinem Sturze. Ihn kränkte es tief, daß der Kaiser ihn 
seit dem Ausbruch der Krise nicht mehr zu Rate gezogen 
hatte, auch nicht, als er den kranken Freund in dessen 
Haus besuchte — letzteres für Franz Joseph einer der 
seltensten Freundschaftsbeweise, den er seit dem Fürsten 
Schwarzenberg keinem Minister mehr erwiesen hatte. Im 
übrigen hatte Graf Taaffe unrecht: er mußte doch wissen, 
daß Franz Joseph schon seit Jahrzehnten es sich zum 
strengen Grundsatz gemacht hatte, mit einem verabschie¬ 
deten Minister niemals über aktuelle Fragen der Politik 
zu sprechen. Im übrigen war Franz Joseph von vornherein 
überzeugt, daß das neue Ministerium, dessen Charakter 
. als streng parlamentarische Parteiregierung für den Kaiser 
den unangenehmsten Rückfall in eine von ihm als über- 
| wunden angesehene Zeit bedeutete, keinen langen Bestand 
1 haben würde. Es gelang den vereinigten Parteiführern 
'• nicht, die ihnen vom Kaiser auferlegte „Aufgabe“ der 
Durchführung einer Wahlreform zu lösen. Ein an und für 
sich belangloser Streitfall zwischen Deutschen und Süd- 
L> slaven, der die Errichtung einer slovenischen Mittelschule 
betraf, genügte, um die Sprengung der Koalition schon 
nach weniger als zwei Jahren herbeizuführen. Dieses Ende 
der Koalitionsregierung bewies die Unanwendbarkeit der 
Prinzipien parlamentarischer Parteiregierung in einem 
Staate, in welchem der stetig wachsende Nationalismus 
alle Parteien zu einer oft ganz sinnlos anmutenden Feind¬ 
schaft gegeneinander antrieb. Wieder einmal konnte Franz 
Joseph seinen alten Spruch bewährt finden: „Österreich 
kann nicht parlamentarisch regiert werden.“ Natürlich war 
sein Sinnen darauf gerichtet, eine starke unparlamentarische 
Regierung zu ernennen, die dem von Franz Joseph gering 
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