Volltext: Kaiser Franz Joseph von Österreich

konservativer Sozialreform, einen kühnen Plan, den er 
längst gefaßt hatte, zu verwirklichen, indem er den Mini¬ 
sterpräsidenten dafür gewann.; Er schlug vor, durch eine 
Reform des parlamentarische]!!" Wahlrechtes in weitest¬ 
gehendem demokratischen Sinne die nationalistische Strö¬ 
mung innerhalb aller Völker und ihrer politischen Parteien 
zurückzudrängen und dadurch den wirtschaftlichen und 
sozialen Bewegungen freien Raum zu gewähren. S Der Ge¬ 
danke war zweifellos groß, wurde aber durch den stark 
konservativen Einschlag in Dr. Steinbachs Denken arg 
verkrüppelt. Taaffe und Steinbach entschlossen sich näm¬ 
lich, das allgemeine Wahlrecht mit der Erhaltung der be¬ 
denklichsten Reste der Schmerling’schen Wahlordnung 
von 1861 zu verkoppeln. Das Abgeordnetenhaus sollte in 
Zukunft auf Grund des allgemeinen, gleichen und direkten 
Wahlrechts in Stadt und Land gebildet werden, dabei soll¬ 
ten aber die körperschaftlichen Wahlrechte des Gro߬ 
grundbesitzes und der Handelskammern mit ihren rund hun¬ 
dert Mandaten in Kraft bleiben. Wie leider so oft im alten 
Österreich glaubte man überdies auch in diesem Falle an 
das Geheimnis in der Vorbereitung großer Reformen als 
beste Bürgschaft des Erfolges. Die Parteien des „eisernen 
Ringes“, auf die sich die Regierung durch eineinhalb Men¬ 
schenalter gestützt hatte, würden von der Reform ebenso 
vollständig überrascht wie die deutschen Parteien, als am 
10. Oktober 1893 Graf Taaffe seinen Gesetzentwurf im Ab- 
geordnetenhause einbrachte. Die unvermeidliche Folge 
war ein förmlicher Aufstand der mit Taaffe so lange und 
so intim verbundenen Führer der katholischen Partei, der 
Polen und der Tschechen. In wenigen Tagen kam zu 
weiterem höchsten Erstaunen der Öffentlichkeit eine Ver¬ 
ständigung der Deutschen mit den „aufständischen“ kon- 
servativen Parteien zustande, die sich die Verhinderung 
dieser demokratischen Wahlreform zur Aufgabe machte. 
So blieb Graf Taaffe nichts übrig, als dem Kaiser, der die 
Pläne Dr. Steinbachs längst vollständig gebilligt hatte, 
seine Demission anzubieten. Nun schlossen die gesamten 
großen Parteien, Deutsche und Slaven, Kirchenfeinde und 
Klerikale eine Koalition, und so blieb Franz Joseph, wollte 
er „konstitutionell“ bleiben, nichts übrig, als eine Regie¬ 
rung dieser Koalition zu berufen, zu deren ^Cirmterpräsi- 
denten er den Fürsten Windischgrätz designierte, einen 
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