ten geschaffen werden. Yon Anfang an behielt Kronprinz
Rudolph die ganze Sache in der Hand, ward von einer An¬
zahl Mitarbeiter ersten Ranges unterstützt und verfaßte
selbst für die ersten Bände mehrere interessant geschrie¬
bene Aufsätze. Dem Ganzen lag ein politischer Gedanke
des Kronprinzen zugrunde, der ihn offenbar schon
lange beschäftigte. Der Charakter des habsburgischen
Reiches als einer Vereinigung vieler Völker von ganz in¬
dividuellem Gepräge, besonderer Sprache und altgeschicht¬
licher Kultur sollte mit aller Schärfe hervortreten. Der
Kronprinz hatte das wahre Gesicht des selbständigen Un¬
garn zweifellos früh erkannt und verstand, daß der schran¬
kenlose Magyarismus die übrigen Völker der Monarchie
notwendigerweise der Dynastie und dem Reichsgedanken
mehr und mehr entfremden müsse. Ob ihm klar war, daß
auch den Tschechen und Südslaven gegenüber Deutschen
und Italienern volle Gleichberechtigung gebührte, scheint
zweifelhaft. Wie denn überhaupt der ganze Plan dieses
großen Werkes und vollends seine tatsächliche spätere
Ausführung einen gewissen optimistischen Dilettantismus
zeigen, wohl auch vielfach eine Art von literatenhaftem,
den Schärfen und Komplikationen des tatsächlichen
Lebens der Völker förmlich ausweichenden Ästhetizismus.
Während der Thronerbe sich so seinen vielseitigen In¬
teressen hingab, in politischen Dingen immer mehr in
eine gegen die Regierung seines Vaters gewendete Hal¬
tung geriet, was seine alte Abneigung gegen die am Hofe
maßgebenden Persönlichkeiten verstärkte, steigerten die
Ereignisse dieser Jahre in Franz Joseph das Selbstgefühl
des Herrschers. Schon 1873 hatte die Feier seines fünfund¬
zwanzigjährigen Regierungsjubiläums Franz Joseph von
allen Seiten Beweise einer weder erzwungenen noch ge¬
heuchelten Loyalität weiter Kreise der Bevölkerung, zu¬
mal auch Wiens, gebracht. Das Bewußtsein von dem kräf¬
tigen Aufschwung, den das ganze Wirtschafts- und Kultur¬
leben der Völker seit 1867 genommen hatte, war bis in
die breiten Massen hinein verbreitet. Die Reformen in Ge¬
setzgebung und Verwaltung hatten viele früher nieder¬
gehaltene Kräfte zu voller Entfaltung gebracht. Öster¬
reich war erst jetzt ein modernes Staatswesen geworden.
Namentlich wurde auch der konstitutionellen Haltung des
Kaisers ein vollbemessener Anteil an dieser erfreulichen
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