Volltext: Kaiser Franz Joseph von Österreich

nisse, die das Südslaventum auf beiden Seiten der Grenz¬ 
ströme betrafen, gründlich. Dennoch widerstrebte er da¬ 
mals dem Gedanken einer Erweiterung der österreichischen 
Machtsphäre durch Angliederung Bosniens und der Herze¬ 
gowina sowie den auch mehrmals vorhandenen Möglich¬ 
keiten, zugleich mit diesen Ländern auch den durch dyna¬ 
stische Kämpfe zerrissenen serbischen Staat mit seinem 
Reiche zu vereinigen. Franz Joseph hielt alle diese Länder 
für „unprofitabel“. Nunmehr aber änderte er seine Stel¬ 
lung gegenüber dem Balkanproblem mit aller Vorsicht 
aber doch grundsätzlich vollständig. Die Voraussetzung 
war eben gewesen, sollte die Monarchie nicht in unabseh¬ 
bare Gefahren gestürzt werden, daß mit Rußland ein 
freundschaftliches Verhältnis hergestellt werde. Auf 
dieses Ziel war des Grafen Andrässy Politik von Anfang 
an gerichtet, das er aber ohne Opfer von Lebensinteressen 
Österreich-Ungarns auf der Balkan-Halbinsel erreichen 
wollte. Daher schloß sich an den Besuch des Zaren 
Alexander in Wien schon im folgenden Jahre (1874) dessen 
Erwiderung durch Franz Joseph in Petersburg. Daß Franz 
Joseph, am Sarge Nikolaus I. tief erschüttert ein stilles 
Gebet verrichtete und daß Zar Alexander II. ihn in die 
unverändert erhaltenen Wohnräume seines Vaters führte, 
waren sicherlich für beide Herrscher menschlich stark 
empfundene Erlebnisse. Auf diese Weise waren immerhin 
die peinlichen Erinnerungen von zwanzig Jahren ausge¬ 
löscht worden. In politischer Hinsicht brachte dies den 
großen Vorteil, daß die gewiß unvermeidlichen künftigen 
Schwierigkeiten und Konfliktmöglichkeiten von vornher¬ 
ein auf ein Feld friedlicher Verständigung zwischen den 
beiden Herrschern gestellt erschienen. 
Franz Joseph hatte jedenfalls dadurch eine gewisse 
Sicherung für den Fall, daß er durch die Verhältnisse auf 
der Balkanhalbinsel genötigt sein würde, neuerdings Ru߬ 
land gegenüber die Interessen und die Expansionswünsche 
Österreich-Ungarns zu vertreten. Daß aber der Gedanke 
der Ausdehnung des Reiches nach 1870 schneller und 
stärker hervortrat, war nicht nur die Folge des 1875 in 
Bosnien ausgebrochenen Aufstandes der christlichen Be¬ 
völkerung und der seit dem Regierungsantritt des jungen 
Fürsten von Serbien Milan hervortretenden Bestrebungen 
nach Ausdehnung des serbischen Staates. An diesem Auf¬ 
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