Volltext: Kaiser Franz Joseph von Österreich

eine Besserung des seit zwanzig Jahren so sehr ge¬ 
spannten Verhältnisses zum russischen Zaren und seiner 
Regierung. Indem nun dieses Verhältnis sozusagen erträg¬ 
lich gestaltet wurde, war damit der erste vorbereitende 
Schritt getan für die Abwendung Franz Josephs von jeder 
aktiven Politik im Westen und für die Hinwendung zu den 
großen und so lange vernachlässigten Interessen Öster¬ 
reichs im Osten. Schon 1868 hatte Graf Beust die An¬ 
schauung vertreten, daß die dualistische' Monarchie ihre 
wahre Lebensaufgabe im Südosten, auf der Balkan-Halb¬ 
insel, erkennen und finden müsse. Seit der Gründung des 
Deutschen Reiches trat Franz Joseph diesem Gedanken 
näher. Man begann in den regierenden Kreisen von einer 
Rückkehr zur Orientpolitik in der Zeit des Prinzen Eugen 
zu sprechen. Diese Idee ist insbesondere auch bei Franz 
Joseph vorhanden, aber ganz, der Nüchternheit seines 
Wesens entsprechend, von vornherein auf ein bestimmtes 
Ziel abgestellt, zum Leitgedanken der Wiener Außenpolitik 
geworden. Damit vollzog sich nun eine wahre Schicksals¬ 
wende, denn dieser neue, dem dualistischen Reiche Vor¬ 
gesetzte Zielpunkt auswärtiger Politik hat schließlich 
Franz Joseph Schritt für Schritt in den Mittelpunkt der 
gesamten europäischen Krise des 20. Jahrhunderts und 
schließlich in den Weltkrieg hinein- und der Zerstörung 
des Reiches entgegengeführt. Nur die Grundlinien dieser 
Politik und das Verhältnis Franz Josephs zu ihnen sollen 
hier eine — natürlich sehr gedrängte — Darstellung finden. 
Zar Nikolaus I. hat, wie wir wissen, schon in den Vier¬ 
ziger Jahren die unheilbare Krankheit des türkischen 
Reiches festgestellt und durch den Krimkrieg den ver¬ 
meintlichen Todeskampf möglichst abzukürzen versucht. 
Daraus war die erste große europäische Orientkrise ent¬ 
standen. Damals hatte Franz Joseph seinem Freunde Ni¬ 
kolaus gegenüber festgelegt, daß das Haus Habsburg be¬ 
stimmte Lebensinteressen auf der Balkanhalbinsel ver¬ 
folge, die Rußland nicht verletzen dürfe. Damals ging es 
zunächst um die Donaufürstentümer, aber auch schon zu 
jener Zeit war der Westbalkan die eigentliche Interessen¬ 
sphäre der habsburgischen Monarchie: Serbien und Monte¬ 
negro sowie die westlich gelegenen Provinzen der Türkei, 
Bosnien und die Herzegowina. Vor und nach dem Krim¬ 
kriege bildete die Rivalität zwischen Rußland und öster¬ 
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