Volltext: Kaiser Franz Joseph von Österreich

kein Staatsmann, von Schmerling und seinen Freunden 
wollte Franz Joseph nichts wissen. Wie aber der Kaiser 
jetzt doch den Ausweg aus diesem Wirrsal fand, erregte 
überall größte Überraschung, und doch war dieser Ausweg 
für den, der Franz Josephs Persönlichkeit richtig verstand, 
keineswegs so unerklärlich. In den letzten Oktobertagen 
1866 ließ Franz Joseph durch seinen Kabinettsdirektor, den 
Staatsrat Braun, vollkommen geheim, dem bisherigen säch¬ 
sischen Ministerpräsidenten, dem Freiherrn von Beust, die 
Frage stellen, ob er gewillt sei, das Portefeuille des Mini¬ 
steriums des Äußern in Österreich als Nachfolger Mens- 
dorffs zu übernehmen. Beust, dessen Entfernung aus dem 
sächsischen Staatsdienste eine der von Bismarck beim 
Friedensschlüsse gestellten besonderen Forderungen ge¬ 
wesen war, nahm höchst überrascht mit Freuden den Ruf 
an. Am 4. November wurde die bis dahin geheimgehaltene 
Ernennung in Wien veröffentlicht. 
Was hatte Franz Joseph zu diesem ungewöhnlichen 
Schritte veranlaßt, einen Nichtösterreicher in diesem Augen¬ 
blicke auf den wichtigsten Posten seiner Regierung zu be¬ 
rufen? Einen Mann, der durch viele Jahre gegen Preu¬ 
ßen und die für das kleindeutsche Programm arbeitende 
Einheitsbewegung alle diplomatischen Mittel in Bewegung 
gesetzt hatte, derselbe Beust, dessen Lieblingsgedanke die 
Umgestaltung des Deutschen Bundes in eine „Trias“ ge¬ 
wesen, die auch den deutschen Königreichen und Mittel¬ 
staaten einen vollen Anteil an der Führung Deutschlands 
geben würde, und der für diese Idee alle seine Kräfte 
eingesetzt hatte. Warum hatte jetzt Franz- Joseph diesen 
leitenden Staatsmann Sachsens, der sein engeres Vater¬ 
land beinahe zur Vernichtung gebracht hatte, zu seinem 
ersten Ratgeber gemacht? Der ausschlaggebende Grund 
hierfür war doch, daß Franz Joseph sich mit dem durch 
die Schlacht von Königgrätz gefällten Schicksalsspruch 
innerlich nicht im geringsten zufrieden gab. Ebenso wie 
er die durch Solferino geschaffene Entscheidung nicht als 
endgültige ansah, hielt er jetzt die durch Bismarck voll¬ 
zogene Lösung der deutschen Frage nicht für abschlie¬ 
ßend. Vielmehr war er vom ersten Augenblicke an bereit, 
das Seinige zu tun, um diesen Richterspruch des histo¬ 
rischen Geschickes umzustoßen. Kein Zweifel kann dar¬ 
über bestehen: vom ersten Tage an war das Gefühl der 
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