Volltext: Kaiser Franz Joseph von Österreich

keineswegs geschwächt. Denn auch der jetzt geschaffene, 
so unbefriedigende Zustand in Ungarn war vom Kaiser 
selbst von vornherein wieder als Experiment, als ein pro¬ 
visorischer Zustand bezeichnet worden. Alle Hoffnungen 
auf kommende Beilegung des Konfliktes zwischen dem 
Kaiser und dem Lande beruhten von vornherein auf dessen 
Sinnesänderung. Von der augenblicklichen Regierung 
Schmerlings und dem neugeschaffenen Schmerlingschen 
Parlamentarismus sowie von der ihn stützenden Verfas¬ 
sungspartei erwartete und verlangte man nichts. 
So trat der seltsame Zustand ein, daß nun Franz Joseph 
die eine Hälfte seines Reiches, nämlich Ungarn, wieder als 
Selbstherrscher regierte, während der aus den österreichi¬ 
schen Ländern durch Maria Theresia gebildete Einheits¬ 
staat. unter der scheinkonstitutionellen Reichs Verfassung 
von 1861 stand. Franz Joseph ertrug diesen fast absurden 
Zustand deshalb leicht, weil das, was Anton von Schmer¬ 
ling durch sein „Februarpatent“ den österreichischen Völ¬ 
kern angeboten hatte, doch nur ein fadenscheiniger Kon- 
stitutionalismus war, den überdies nur die liberalen Deut¬ 
schen, keineswegs die katholisch-konservativ gesinnte 
deutsche Bevölkerung anerkannte. Die Polen erschienen 
zwar in der ersten Session des Zentralparlaments, jedoch 
nur, um gegen die Verfassung zu protestieren. Von 1863 
an nahm der in Rußland ausgebrochene große Polenauf¬ 
stand die Kräfte und das Interesse auch der österreichi¬ 
schen Polen vollständig in Anspruch, so daß sie sich um 
den Wiener Parlamentarismus nicht kümmerten. Die 
Tschechen unter der Leitung ihres hochbegabten Führers 
Dr. Rieger, vereinigt mit der feudalen Adelsfraktion, legten 
gleichfalls ihr Veto gegen die zentralistische Verfassung 
ein, reklamierten die durch Schmerling willkürlich be¬ 
seitigte föderalistische Verfassung des Oktoberdiploms und 
zogen sich schon 1862 dauernd aus dem Wiener Zentral¬ 
parlament zurück. Nur die liberale Partei der Deutschen 
war kurzsichtig genug, das von Schmerling zur politischen 
Unterwerfung der Slaven und Magyaren geschaffene In¬ 
strument als Erfüllung ihrer Forderung nach politischer 
Freiheit anzusehen und sich unter dem Namen der „Ver¬ 
fassungspartei“ vollständig mit dem konstitutionellen Ex¬ 
periment Franz Josephs zu identifizieren. Allerdings, sehr 
bald verbreitete sich auch unter dem fortschrittlichen 
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