Volltext: Kaiser Franz Joseph von Österreich

zeit eine sichere deutsche und gemäßigt liberale Mehrheit 
im Zentralparlamente zu sichern. In Schmerling lernte 
Franz Joseph nunmehr zum ersten Male einen deutschen 
Parteipolitiker der fortschrittlichen Weltanschauung von 
großem Zuschnitt kennen. Das in Schmerling verkörperte 
liberale Element scheint Franz Joseph, der sich in diesem 
Falle als guter Menschenkenner erwies, von Anfang an 
nicht sehr ernst genommen zu haben. Schon in seinen 
ersten Unterredungen mit dem neuen leitenden Staats¬ 
manne erkannte er, daß dieser sich in seinem Bestreben, 
seine autoritäre deutsche zentralistische Reichspolitik den 
Ungarn gegenüber durchzuführen, nicht dadurch stören 
lassen würde, daß er die von der Wiener liberalen Presse 
und einem gewissen, nicht allzu breiten Kreise des Wiener 
Mittelstandes vertretene scharfe liberale antikatholische 
Politik zu der seinigen machen und sich so mit dem Kaiser 
in Konflikt bringen würde. Als Zentralist und unbedingter 
Verteidiger der Reichseinheit gegen die föderalistischen 
Tendenzen der Adelsfraktion beider Reichshälften ge¬ 
wann Schmerling das Vertrauen des Kaisers schnell. Das 
neue von Schmerling im Ministerrate gegen die unga¬ 
rischen Minister durchgesetzte Werk, das mit kaiser¬ 
lichem Patent vom 26. Februar 1861 erlassen wurde, be¬ 
deutete eine entscheidende politische Niederlage der un¬ 
garischen Adelspartei. Die nunmehr stattfindenden Wahlen 
zum ungarischen Landtag zeitigten sodann das erstaun¬ 
liche Ergebnis, daß kein einziger Vertreter der Altkonser¬ 
vativen in den Landtag einzog. 
Alle Abgeordneten ohne Ausnahme lehnten beide Reichs¬ 
verfassungsgesetze Wiens unbedingt ab. Der Landtag 
teilte sich in zwei fast gleich starke Parteien, von denen 
die eine sich um Franz Deäk scharte, den schon damals 
als den großen Weisen der Nation verehrten Führer des 
liberalen Flügels des Revolutionslandtags von 1848, wel¬ 
cher jederzeit die Politik der strengsten Legalität ver¬ 
treten hatte und auch jetzt das Prinzip der unverbrüch¬ 
lichen „Rechtskontinuität“ zum Losungsworte der ganzen 
Nation im Kampfe gegen Wien machte. 
Nun aber enthüllte sich Franz Deak, der schon seit 
zwanzig Jahren eine beherrschende Stellung im öffent¬ 
lichen Leben Ungarns einnahm, als wahrhaft providen- 
tieller Staatsmann. Er ist einer jener ganz seltenen politi- 
271 
k 
4
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.